Primärversorgungseinheit
In Primärversorgungseinheiten arbeiten mindestens drei Allgemeinmediziner und diplomierte Pflegekräfte mit weiteren Berufsgruppen zusammen.
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Primärversorgungszentren - Die Alternative zum Landarzt?

Sollte es nicht sofort ein Bündel von Maßnahmen gegen den Ärztemangel geben, wird sich die Gesundheitsversorgung in den nächsten Jahren drastisch verschlechtern. „Aus heutiger Sicht ist es aussichtslos, diesen Bedarf auch nur annähernd zu decken, wenn nicht rasch und entschlossen gehandelt wird. Das gilt sowohl für die Allgemeinmediziner als auch für Fachärzte, sowohl für Kassenärzte als auch für Wahlärzte“, schlug Ärztekammer-Vizepräsident Johannes Steinhart kürzlich Alarm.

Und die Situation wird sich noch dramatisch verschärfen, denn innerhalb der nächsten zehn Jahre werden knapp die Hälfte der rund 4.000 niedergelassenen und mehr als die Hälfte aller Ärzte mit Gebietskrankenkassen-Vertrag in Pension gehen.

Besonders im ländlichen Raum könnte der Ärztemangel bald dramatisch werden. Ein Grund: Viele junge Mediziner wollen nicht aufs Land, weil sie eine geregelte Arbeitszeit in der Stadt der Arbeit als Gemeindearzt vorziehen. Die Regelungen zu Hausapotheken machen das Führen einer Ordination vielfach auch finanziell unattraktiv. 

Gesundheitsberufe arbeiten eng zusammen

Eine Ergänzung zur bestehenden hausärztlichen Versorgung und moderne Form der Kooperation zwischen den beteiligten Berufsgruppen sind die neuen Primärversorgungseinheiten (PVE). Dort arbeiten mindestens drei Allgemeinmediziner und diplomierte Pflegekräfte mit weiteren Berufsgruppen wie Physiotherapie, Psychotherapie, Diätologie, Sozialarbeit etc. eng zusammen.

„PVE haben zwei wesentliche Ziele: einerseits die Verbesserung der Versorgung für die Patienten durch erweiterte Öffnungszeiten und Koordination der Gesundheitsleistungen und andererseits die Entlastung der Spitäler für deren eigentliche Aufgabe, nämlich die Notfall- und die spezialisierte Versorgung“, erklärt Renate Reingruber, die im Niederösterreichischen Gesundheits- und Sozialfonds (NÖGUS) für die Koordination der PVE zuständig ist. „Zudem entspricht ein PVE einer modernen teamorientierten Zusammenarbeit, die Teilzeitbeschäftigung vor allem auch für Allgemeinmediziner ermöglicht.“

75 PVE österreichweit geplant

In fünf Bundesländern (Oberösterreich, Niederösterreich, Steiermark, Salzburg und Wien) gibt es bereits PVE. Insgesamt sind österreichweit bis 2021 75 PVE geplant.

Neue Standorte werden nach bestimmten Kriterien ausgewählt – etwa der Einwohnerzahl (Richtwert sind 6.000 Einwohner pro PVE, das entspricht drei Vertragsarztstellen), aber auch der Nähe zu Spitälern, um diese zu entlasten.

PVE sollen also vor allem in Gebieten errichtet werden, die aufgrund dichter Besiedlung ohnehin für Ärzte attraktiv sind bzw. wo es sowieso eine gute medizinische Versorgung gibt. Schon alleine aus dem letzten Grund kann eine PVE nur schwer ein Modell für eine Gemeinde sein, in der es keinen Arzt mehr gibt.

Das bestätigt auch Johann Hell, Bürgermeister in Böheimkirchen, wo vergangenen Oktober die erste PVE Niederösterreichs eröffnet wurde. „Wir hatten bereits ein Ärztezentrum, in dem mehrere Mediziner praktiziert haben. Jetzt haben wir zwei Ärzte und einen Sozialarbeiter dazubekommen. Für uns war die Errichtung des PVE keine gravierende Änderung, weil wir bereits eine gute Versorgung hatten“, meint Hell. Allerdings sei zu beobachten, dass jetzt vermehrt Patienten aus umliegenden Gemeinden, wo die Arztsituation nicht so gut ist, nach Böheimkirchen kommen.

Gute Erfahrungen in Enns

Das erste Primärversorgungszentrum Österreichs nahm Anfang 2017 in Enns den Betrieb auf. Damals stand das Krankenhaus vor der Schließung, und in der Stadt sah man sich gezwungen, grundsätzliche Überlegungen über die Zukunft der medizinischen Versorgung anzustellen. „Dabei hat uns unser Stadtarzt Wolfgang Hockl darauf aufmerksam gemacht, dass es immer schwieriger wird, Allgemeinmediziner zu finden, die eine eigene Praxis betreiben wollen“, erklärt Bürgermeister Franz Stefan Karlinger.

So entstand die Idee, ein Primärversorgungszentrum zu gründen, weil es dort geregelte Arbeitszeiten gibt und die Ärzte auch dadurch entlastet werden, indem sie nicht alle Hausbesuche selbst machen müssen, sondern viele Tätigkeiten auch von angestellten Krankenschwestern erledigt werden können.

Errichtet wurde das Zentrum auf einem gemeindeeigenen Grundstück, das einen Wert von einer halben Million Euro hatte und verkehrsgünstig gelegen ist. Als Anschubfinanzierung stellte die Stadtgemeinde eine weitere halbe Million Euro zur Verfügung. Mittlerweile arbeiten alle in der Stadt tätigen Allgemeinmediziner im Zentrum.

Bürgermeister Karlinger ist mit dem Erfolg des Projekts sehr zufrieden. „Die Öffnungszeiten der Ordinationen konnten verlängert werden und für die Patienten, die einen Facharzt benötigen, wurden die Wege kürzer und die Wartezeiten verringert“, erläutert er. Für kleinere Gemeinden, könnte der Erfolg der Primärversorgungszentren aber zum Bumerang werden. „Für diese Orte wird es in Zukunft vielleicht noch schwieriger, einen Gemeindearzt zu finden, weil die Ärzte lieber im Zentrum arbeiten“, kann sich Karlinger vorstellen. Das Zentrum in Enns ist bereits überlastet, sodass keine Patienten aus Nachbargemeinden aufgenommen werden.

Bürgermeister Karlinger, Enns
Franz Stefan Karlinger, Bürgermeister von Enns: „Für kleinere Gemeinden wird es in Zukunft vielleicht noch schwieriger, einen Gemeindearzt zu finden, weil die Ärzte lieber im Zentrum arbeiten.“

PVE-Netzwerke als Modell für unterversorge Regionen?

PVE können entsprechend den örtlichen Verhältnissen an einem Standort (Primärversorgungszentrum) oder als (Primärversorgungs-)Netzwerk an mehreren Standorten eingerichtet werden. In Niederösterreich wurden bisher nur Gesundheitszentren eingeladen, als PVE tätig zu werden. In einem nächsten Schritt sollen sich niedergelassene Ärzte zu einem Netzwerk zusammenschließen und gemeinsam die medizinische Versorgung übernehmen.

Ziele sind abgestimmte Öffnungszeiten und Bereitschaftsdienste sowie die Zusammenarbeit mit weiteren Gesundheitsberufen. Bestehende Standorte werden bei diesem Modell nicht aufgegeben. „Das wäre dann ein Modell, das auch für bisher unterversorgte Regionen interessant sein kann“, meint Expertin Reingruber. Allerdings muss auch hier sichergestellt sein, dass es eine Mindestzahl potenzieller Patienten gibt. Für entlegene Kleingemeinden wäre daher auch dieses Modell keine Alternative.