
Edgar Wutscher fordert Maßnahmen, um Ärztinnen den beruflichen Alltag familienfreundlicher zu gestalten, etwa durch geregelte Mutterschutzregelungen, Vertretungsmöglichkeiten und Teilzeitmodelle.
© Jürg Christandl
Medizin am Wendepunkt: Der Landarzt als Standortfaktor
Ohne Hausarzt kein Zuzug, ohne Versorgung keine Zukunft: In seiner aufrüttelnden Keynote beim Kommunalwirtschaftsforum im Saalfelden plädierte Edgar Wutscher, Vizepräsident der Ärztekammer und Allgemeinmediziner im Ötztal, für ein radikales Umdenken in der medizinischen Versorgung ländlicher Regionen. Er sprach Klartext über den Ärztemangel, strukturelle Hürden und notwendige Reformen – und zeigte, warum der Gemeindearzt mehr ist als nur ein medizinischer Dienstleister.
„Ein Ort ohne Ordination ist ein Ort ohne Zukunft.“ Mit diesem Satz bringt Dr. Wutscher die Bedeutung medizinischer Versorgung in ländlichen Regionen auf den Punkt. Sinkende Bevölkerungszahlen in Regionen wie beispielsweise in Kärnten und gleichzeitig wachsender urbaner Zuzug zeigen: Die medizinische Infrastruktur ist ein Schlüsselfaktor für Standortattraktivität. Gemeinden ohne Arztpraxis verlieren nicht nur Familien, sondern auch wirtschaftliche Strukturen.
Demografie als Druckfaktor
Ein demografischer Wandel erschüttert die Ärzteschaft: Das Durchschnittsalter der Allgemeinmediziner steigt, eine Pensionierungswelle steht bevor. Gleichzeitig fehlt es an jungen Ärztinnen und Ärzten, die bereit sind, eine Kassenpraxis zu übernehmen – nicht zuletzt wegen unattraktiver Rahmenbedingungen und überbordender Bürokratie.
Die junge Generation von Medizinerinnen und Medizinern will mehr als nur den Beruf – sie fordert eine Balance zwischen Arbeit und Privatleben. Wutscher fordert daher neue Modelle wie Job-Sharing, Gemeinschaftspraxen oder flexible Arbeitszeitmodelle. Ein starres „Ein Arzt für eine Praxis“-Denken sei nicht mehr zeitgemäß.
Primärversorgung neu denken
Die Zukunft gehört laut Wutscher den Primärversorgungseinheiten (PVE): interdisziplinär, gemeinschaftlich und gut ausgestattet. Doch nicht nur diese Einheiten, auch Einzel- und Gruppenpraxen müssten finanziell unterstützt werden – mit Förderungen für die Einbindung von Physiotherapeuten, diplomiertem Pflegepersonal und mehr. Die Medizin wird weiblich – und das hat Konsequenzen für das System. Wutscher fordert Maßnahmen, um Ärztinnen den beruflichen Alltag familienfreundlicher zu gestalten, etwa durch geregelte Mutterschutzregelungen, Vertretungsmöglichkeiten und Teilzeitmodelle.
Zeit für Prävention und Gesprächsmedizin
Wutscher kritisiert die sogenannte „5-Minuten-Medizin“, die durch bestehende Kassenverträge befördert wird. Statt Masse müsse wieder Klasse im Fokus stehen: Mehr Zeit für Patientengespräche, bessere Honorierung präventiver Maßnahmen, mehr Raum für individuelle Betreuung – das sei der Weg in eine nachhaltige Versorgung.
Hausapotheken und Medikamentenabgabe: Praxisnahe Lösungen
Am Beispiel seiner eigenen Praxis im hinteren Ötztal zeigt Wutscher, wie weit Patienten teilweise für ihre Medikamente fahren müssen. Seine Forderung: flexiblere Regelungen für Hausapotheken, mehr Dispensierrechte für Landärzte und die Möglichkeit zur Medikamentenabgabe auch in PVE. Das spare nicht nur CO₂, sondern bringe auch Versorgungssicherheit.
Bürokratie abbauen, Versorgung sichern
Die zentrale Botschaft: Starre gesetzliche Vorgaben verhindern flexible und bedarfsgerechte Lösungen. Wutscher appelliert an Politik und Gemeinden, Ärzt:innen als Partner zu sehen – nicht als ausführende Organe eines unflexiblen Systems. Nur mit gemeinsamer Kraftanstrengung könne die medizinische Versorgung langfristig gesichert werden.