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Der letzte Kilometer
Bedarfsverkehr erobert Österreichs Gemeinden
Immer mehr Gemeinden setzen auf Bedarfsverkehr. Fast 300 Mikro-ÖV-Angebote bedienen inzwischen rund 1.000 Gemeinden in Österreich.
Als 2019 im Rahmen der Niederösterreichischen Landesausstellung in Wiener Neustadt selbstfahrende Busse durch Fußgängerzonen rollten, schien die Zukunft der ländlichen Mobilität zum Greifen nah. Auch in Salzburg, Klagenfurt und Pörtschach wurden autonome Fahrzeuge getestet, am umfangreichsten im Projekt „Digibus Austria“, wo in der Gemeinde Koppl sogar eine 1,4 Kilometer lange öffentliche Teststrecke in ländlicher Umgebung befahren wurde. Die Vision war verlockend: Autonome Mini-Busse sollten als Ortstaxi fungieren, Bürger auf Abruf von zu Hause abholen und zum gewünschten Ziel bringen – eine perfekte Lösung für die berüchtigte letzte Meile.
Die Ernüchterung folgte rasch. Ende Juni 2021 beendete Wien nach mehr als drei Jahren Forschung den Testbetrieb in der Seestadt. Die anderen Pilotprojekte wurden ebenfalls eingestellt. Die Probleme waren vielfältig: Zur Sicherheit musste immer ein Operator mitfahren, der im Bedarfsfall eingreifen konnte. Die Strecken mussten aufwendig erfasst und vom Bus „eingelernt“ werden. Die hochsensible Sensorik brachten bereits herabfallende Blätter aus dem Konzept, Schneelage, Starkregen oder Gewitter machten den Betrieb praktisch unmöglich. Und selbst wenn all diese Hürden bewältigt wären: Die Kosten müssten laut Berechnungen mindestens gedrittelt werden, um konkurrenzfähig zu sein.
Dabei ist der Bedarf an Mobilitätslösungen auf dem Land drängender denn je. In dünn besiedelten Regionen ist klassischer Linienverkehr schlicht unrentabel. Die Kundenfrequenz rechtfertigt die Kosten nicht, die Taktung ist zu gering, die Entfernungen zwischen Haltestellen zu groß. Die Folgen dieser Mobilitätsarmut sind weitreichend. Für viele Gemeinden wird die Verkehrsanbindung zum entscheidenden Standortargument – oder eben zum Grund für Abwanderung.
Statt auf futuristische autonome Fahrzeuge setzen deshalb immer mehr Kommunen auf eine pragmatischere Lösung: Bedarfsverkehr, auch Mikro-ÖV genannt. Diese Angebote fahren nicht nach festem Fahrplan, sondern nur dann, wenn sie gebraucht werden. Sie holen Fahrgäste oft direkt von zu Hause ab und bringen sie zum gewünschten Ziel – meinst innerhalb des Gemeindegebiets oder zur nächsten Anbindung an den öffentlichen Verkehr. Das Prinzip ist einfach: Ein Anruf oder eine Nachricht genügt, und das Fahrzeug kommt.
Wichtig ist die Abgrenzung: Nicht jedes gemeinschaftliche Mobilitätsangebot zählt zum öffentlichen Bedarfsverkehr. Mitfahrbörsen und Carsharing, von denen es in Österreich rund 100 Angebote für knapp 300 Gemeinden gibt, fallen nicht darunter. Bedarfsverkehr im engeren Sinn sind öffentliche Verkehrsangebote, die auf Bestellung fahren und bei denen mehrere Fahrgäste gemeinsam befördert werden können.
Die Vielfalt der Systeme ist beachtlich. Am häufigsten anzutreffen sind Anrufsammeltaxis, die auf vorgebuchten Routen zwischen Haltestellen verkehren. Daneben gibt es Gemeindebusse, die von Vereinen mit ehrenamtlichen Lenkerinnen und Lenkern betrieben werden, sowie Dorftaxis und GO-Mobile, die oft als Tür-zu-Tür-Service konzipiert sind. Manche Angebote fahren nach Fahrplan, aber nur wenn sie bestellt werden, andere völlig flexibel nach Bedarf. Die Bedienformen reichen vom reinen Haltepunkt-zu-Haltepunkt-Verkehr bis zum vollständigen Tür-zu-Tür-Service.
294 aktive Mikro-ÖV-Angebote bedienen inzwischen 995 Gemeinden in Österreich. Das Wachstum ist dabei konstant. Die meisten dieser Angebote sind relativ jung: Rund zwei Drittel wurden seit 2020 eingeführt, was den dynamischen Charakter dieser Entwicklung unterstreicht. Die Bedienformen spiegeln die unterschiedlichen lokalen Bedürfnisse wider. Mit absoluter Mehrheit dominiert der klassische Tür-zu-Tür-Service, gefolgt von Verbindungen zwischen Tür und Haltepunkt mit 22 Prozent. Jeder siebente Mikro-ÖV ist ein reines Haltepunkt-zu-Haltepunkt-Angebot nach Fahrplan, das aber nur auf Bestellung fährt.
Bei der Organisation setzen 59 Prozent der Angebote auf Verkehrs- oder Taxiunternehmen, die beauftragt werden. 22 Prozent arbeiten mit freiwilligen Fahrerinnen und Fahrern. Nur 16 Prozent nutzen Software zur Disposition, obwohl diese die Effizienz erheblich steigern könnte. Immerhin 9 Prozent der Systeme können per App bestellt werden, und 17 Prozent sind in die Verkehrsauskunft Österreich integriert. Allerdings gibt es auch Einschränkungen: Zwei von drei Mikro-ÖVs haben Limitierungen bezüglich Zielgruppe oder Betriebszeiten. Dies betrifft etwa Seniorentaxis, die nur für ältere Menschen zugänglich sind, oder Systeme, die nur zu bestimmten Tageszeiten oder an bestimmten Wochentagen fahren. Der tatsächliche Modal Split ist noch bescheiden: Durchschnittlich werden 0,16 Prozent der Wege mit Bedarfsverkehr zurückgelegt, mit einem Spitzenwert von 1,4 Prozent in besonders gut erschlossenen Regionen.
In der Marktgemeinde Euratsfeld und den umliegenden Germeinden betreibt ein Verein den Elektrobus EMIL (Elektromobilität in ländlichen Regionen). Das Besondere: EMIL setzt konsequent auf Elektromobilität und wird von ehrenamtlichen Fahrern gesteuert – ein Vereinsmodell, das soziale Kontakte zwischen Bewohnern stärkt. Die Finanzierung erfolgt über Mitgliedsbeiträge und Fahrtenentgelte. Das System bietet Tür-zu-Tür-Service für Menschen ohne eigenes Fahrzeug oder mit Mobilitätseinschränkungen. Anders als die meisten Mikro-ÖVs, von denen nur 20 Prozent Elektrofahrzeuge nutzen und 22 Prozent mit Freiwilligen arbeiten, kombiniert EMIL beide Ansätze und setzt damit auf nachhaltige, gemeinschaftsgetragene Mobilität.
Ein anderes Beispiel ist der Gemeindebus Gerersdorf in Niederösterreich. Mit freiwilligen Fahrerinnen und Fahrern sorgt der Verein dafür, dass Vereinsmitglieder Fahrtziele innerhalb der Gemeinde auch ohne eigenes Auto erreichen können. Sie werden im gesamten Ortsgebiet von zu Hause abgeholt. Eine Fahrt kostet 2,50 Euro. Der Bus fährt Montag bis Freitag von 7 bis 18 Uhr und bringt Mitglieder auch in die beiden Nachbargemeinden St. Pölten und Prinzersdorf. Solche vereinsbasierten Modelle funktionieren besonders dort gut, wo das Ehrenamt noch stark verankert ist und Gemeinden bereit sind, die Organisation zu unterstützen.
Während autonome Fahrzeuge noch Jahre von der Alltagstauglichkeit entfernt sind, haben Mikro-ÖV-Systeme ihre Praxistauglichkeit längst bewiesen. Die Zahl der Angebote nimmt stetig zu, immer mehr Gemeinden erkennen den Wert flexibler Bedarfsverkehre für die Daseinsvorsorge und als Standortfaktor. Verbesserungspotenzial gibt es noch vor allem bei der Barrierefreiheit, der digitalen Buchung und der Integration in überregionale Verkehrssysteme. Auch die Elektrifizierung der Flotten könnte schneller voranschreiten. Doch die Grundlage ist gelegt: Bedarfsverkehr hat sich als praktikable, kostengünstige und bewährte Lösung für die letzte Meile etabliert. Was autonome Fahrzeuge vielleicht irgendwann leisten werden, erfüllen Mikro-ÖV-Systeme schon heute: Sie bringen Menschen ans Ziel, die sonst isoliert wären.