Walter Leiss
Walter Leiss: „Aktuell wird in einem Bundesland der Versuch unternommen, die Ab-fallbehandlung zumindest teilweise dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden zu entziehen. Unabhängig einer ökonomischen Betrachtung, ob derartige Überlegungen sinnvoll und vielleicht da und dort notwendig sind, wird damit ein Weg beschritten, der die Kernaufgaben der Gemeinden aushöhlt.“
© Philipp Monihart

Gemeindeautonomie

Kommunale Selbstverwaltung – wohin geht die Reise?

Als kommunale Selbstverwaltung wird die Selbstverwaltung der Verwaltungseinheiten der Kommunalebene bezeichnet. Gemeinden als eigenständige Gebietskörperschaften mit dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht der Selbstverwaltung und erste Verwaltungseinheit. Die Entwicklung der gemeindlichen Selbstverwaltung in Österreich geht auf die bürgerliche Revolution im Jahr 1848 zurück, welche zur sogenannten „oktroyierten Märzverfassung“ vom 4. März 1849 führte.  Die folgenden Jahrzehnte brachten zwar eine laufende Weiterentwicklung, die maßgebliche verfassungsrechtliche Grundlage für die Gemeinden wurde allerdings im Jahr 1962, also vor gut 60 Jahren, mit der BVG-Novelle 1962 gelegt.

Darin wurden die Stellung der Gemeinden im Staatsgefüge und deren Aufgaben neu definiert und festgelegt. Gemeinden als Gebietskörperschaften mit dem Recht auf Selbstverwaltung und zugleich Verwaltungssprengel. Wesentlich für die Selbstverwaltung ist die Aufgabenteilung in einen eigenen und einen übertragenen Wirkungsbereich. Das Wesen der Selbstverwaltung besteht darin, die übertragenen Aufgaben weisungsfrei, d.h. ohne Bindung an Weisungen von Bundes- und Landesorgangen, in eigener Verantwortung zu führen. Ursprünglich ohne ordentlichen Rechtsmittelzug an Landes- oder Bundesorgane ist nunmehr ein Rechtsmittelzug an die Landesverwaltungsgerichte eröffnet. 

Welche Aufgaben nun im eigenen Wirkungsbereich liegen, wird durch eine sogenannte Generalklausel umschrieben und umfasst alle hoheitlichen Angelegenheiten, die im ausschließlichen oder überwiegenden Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft gelegen und geeignet sind, durch die Gemeinschaft innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden. 

Insbesondere sind bestimmte Angelegenheiten in der Verfassung genannt, die zur Besorgung im eigenen Wirkungsbereich vorgesehen sind. Darunter fällt die Bestellung der Gemeindeorgane mitsamt der Durchführung von Wahlen, die Bestellung der Gemeindebediensteten, die örtliche Sicherheitspolizei, die örtliche Straßenpolizei und andere polizeiliche Agenden und die örtliche Baupolizei, Feuerpolizei und die örtliche Raumplanung.

Darüber hinaus sind den Gemeinden zur Besorgung im eigenen Wirkungsbereich in allen Bundesländern Aufgaben der sogenannten „Daseinsvorsorge“ im engeren Sinn vorbehalten. Darunter fällt die Abfallbehandlung, die Wasserbereitstellung und die Abwasserentsorgung. Auch der Betrieb von Kinderbetreuungseinrichtungen ist den Gemeinden in allen Bundesländern zugewiesen. 

Die europäische Dimension

Neben der nationalstaatlichen Anerkennung und Ausgestaltung der Aufgaben der Gemeinden finden sich auch auf europäischer Ebene Überlegungen der Mitgliedsstaaten des Europarates zur kommunalen Selbstverwaltung. Diese sind in der europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung aus dem Jahr 1985 festgeschrieben. Darin finden sich Erwägungen, „dass die kommunalen Gebietskörperschaften eine der wesentlichen Grundlagen jeder demokratischen Staatsform sind und die Überzeugung, dass das Recht der Bürger auf Mitwirkung an den öffentlichen Angelegenheiten einer der demokratischen Grundsätze ist, die allen Mitgliedsstaaten des Europarates gemeinsam sind, und dass dieses Recht auf kommunaler Ebene am unmittelbarsten ausgeübt werden kann“. 

Nicht unerwähnt bleiben soll auch der Artikel 5 der Charta, der den Schutz der Grenzen der kommunalen Gebietskörperschaften vorsieht und vor Änderungen die betroffenen Gebietskörperschaften anzuhören sind. 

Andere Zeiten, andere Aufgaben, andere Pflichten

Es ist durchaus bewusst, dass sich die Aufgaben, Anforderungen und damit auch die Strukturen der Gemeinden in den vergangenen 60 Jahren enorm geändert haben. Strukturreformen hat es in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts genauso gegeben, wie im letzten Jahrzehnt. Diese sollen auch gar nicht näher beleuchtet oder kritisiert werden, da die Gemeindegrößen, mit einer Vielzahl von Gemeinden unter 1000 oder unter 500 Einwohner sicherlich unter besonderem Druck stehen, die Herausforderungen der heutigen Zeit zu meistern.

Deswegen suchen auch viele Gemeinden den Weg der Zusammenarbeit im Wege von Kooperationen oder durch den Zusammenschluss zu Gemeindeverbänden, um eine effiziente und ökonomische Verwaltung für ihre Bürger bieten zu können. Unbestritten ist, dass in der Zusammenarbeit viele Effizienzpotentiale liegen, die es zu nutzen gilt. 

Nicht zu vergessen ist jedoch auch, dass die Rahmenbedingungen für ein effizientes Verwaltungshandeln vielfach durch Rahmenbedingungen, die durch Bundes- oder Landesgesetze vorgegeben sind, bestimmt werden. Egal ob es sich um eine Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie mit Auswirkungen auf den Betrieb von Abwasserbeseitigungsanlagen oder um Vorgaben für den Betrieb von Kindergärten handelt, die Einhaltung dieser Vorgaben erfordert mehr Mittel, die oftmals nicht im erforderlichen Ausmaß bereitgestellt werden.

Es erscheint jedoch als unzulässig, dies dann als Begründung für einen Entzug dieser Aufgabe von den Gemeinden und damit einer sukzessiven Abschaffung des Rechtes auf Selbstverwaltung zu sehen. Beispiele in der Vergangenheit lassen hier Böses erwarten.

Im Bauwesen wird beständig über die Notwendigkeit einer gemeinsamen Bauordnung für ganz Österreich und eine Kompetenzverschiebung auf die Bezirksverwaltungsbehörden diskutiert. Im Bereich der Raumordnung wurde den Gemeinden die Kompetenz im Energiewesen (Zonierung für Windräder und großflächige Fotovoltaikanlagen) entzogen, einfach mit der Begründung, dass hier Bereiche der überörtlichen Raumordnung betroffen wären.

Wo bleibt der Subsidiaritätsgedanke?

Aktuell wird in einem Bundesland der Versuch unternommen, die Abfallbehandlung zumindest teilweise dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden zu entziehen. Unabhängig einer ökonomischen Betrachtung, ob derartige Überlegungen sinnvoll und vielleicht da und dort notwendig sind, wird damit ein Weg beschritten, der die Kernaufgaben der Gemeinden aushöhlt. Kommt als nächstes die Übernahme der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung oder der Kindergärten in die Landeskompetenz? 

Was bleibt dann noch von der Gemeindeautonomie und dem Recht auf Selbstverwaltung? Den Subsidiaritätsgedanken hat man offenbar nicht mehr im Fokus. Allenfalls gegenüber der Europäischen Union, aber nicht mehr im eigenen Land. Eine Entwicklung, die nichts Gutes verheißt. Nur auf die Gemeinden in Krisensituationen wie zuletzt in der Pandemie zurückzugreifen, wird zu wenig sein und wird der Stellung der Gemeinden im Staatsgefüge nicht gerecht.