Christian Konrad beim Vernetzungstreffen mit Bürgermeisterin in Wieselburg. Foto: Luiza Puiu

„Warm, satt, sauber – reicht nicht aus“

Flüchtlingskoordinator Christian Konrad über die Notwendigkeit, Flüchtlingen eine Perspektive zu bieten. Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern kommt dabei eine wichtige Funktion zu.

Die Asylfrage ist sicher eine der größten Herausforderungen unseres Jahrhunderts. Wie können Sie als Flüchtlingskoordinator hier helfen?



Der Herausforderung, mitzuhelfen für die schutzsuchenden Menschen in Österreich Quartiere zu organisieren, stelle ich mich. Wobei ein Dach, ein Bett, genug zu Essen und entsprechende hygienische und medizinische Standards hier nicht alleine das Ziel sein können. Warm, satt, sauber – reicht nicht aus. Die Menschen brauchen Perspektiven, brauchen eine menschenwürdige Aufnahme und die Möglichkeit, die Wartezeit auf den Ausgang des Asylverfahrens auch sinnvoll gestalten und nützen zu können. Deutschkurse von Anfang an, sind hier ein wesentlicher Punkt. Ich versuche der „Kurzatmigkeit“ vieler politischen Diskussionen, Sachorientierung und den Willen für Lösungen entgegenzusetzen. Meine Hauptaufgabe ist es, im Gespräch mit den politischen Verantwortlichen in der Regierung, in den Ländern und Gemeinden deutlich zu machen, dass wir auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig aktiv werden müssen und können. Das bedeutet auch, dass unabhängig von den notwendigen Maßnahmen in der Kriegs- und Krisenregion, hier in Österreich Gestaltungsmöglichkeiten bestehen.



Die Unterbringungsfrage scheint nach wie vor eines der größten Probleme zu sein.



Da ist schon viel geschehen, darüber hinaus brauchen wir eine Anstrengung, dass quer durch Österreich viele Gemeinden bereit sind Flüchtlinge aufzunehmen. Wenn es gelingt, viele kleinere Einheiten zu ermöglichen, brauchen wir keine Großquartiere. Solange aber viele Gemeinden nicht bereit sind, solidarisch mit den anderen Gemeinden zu Lösungen beizutragen, sind große Quartiere die einzige Möglichkeit die Obdachlosigkeit von Flüchtlingen in Österreich zu verhindern.



Kürzlich hat der Österreichische Gemeindebund zu drei Vernetzungstreffen zum Thema Asyl eingeladen, das erste hat in Wieselburg stattgefunden, was haben diese Treffen gebracht?



Fast 200 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister haben an diesen Treffen teilgenommen. Sie haben mir und einander Mut gemacht. Sie zeigen, dass dieser nicht einfache Themenkomplex „Flüchtlinge“ unter dem Gesichtspunkt „Normalität“ und nicht unter dem Titel „Ausnahmezustand“ behandelt werden muss.



Diese Bürgermeister haben Erfahrung, konkrete Modelle und Pläne für die Zukunft. Sie gestalten – und sehen sich nicht als Verwalter.

Das sind Menschen, die auf die Chancen achten, ohne die Herausforderungen klein zu reden. Diese Bürgermeister wissen, dass wir den Anfang einer Entwicklung erleben, die sie mitgestalten wollen. Hier habe ich Lösungswille und Sachlichkeit erlebt, das macht Mut.



Gibt es konkrete Ergebnisse?



Wohnen, Sprachkurse, Möglichkeiten zur Arbeit – es gibt viele erfolgreiche Initiativen in den Gemeinden und ein großartiges Engagement aus der Zivilgesellschaft. Viele Bürgermeister haben aber auch erkannt, dass diese Ressourcen in den Gemeinden vorher so nicht bekannt waren. Das müssen wir sehen, schätzen und weiterentwickeln.



Ich habe auch beobachtet, dass viele Bürgermeister Erfahrungen über neue Vernetzungen von Gemeinden in den Regionen auch bei diesem Thema miteinander geteilt haben. Das ist als neuer Trend sichtbar geworden. Dabei geht es um die Zusammenarbeit, z. B. besonders zur besseren Organisation und Unterstützung der Freiwilligen, oder auch um die Koordination von Deutschkursen.



Und Ihr Hauptanliegen Quartiere, waren Sie da erfolgreich?



Mein zentrales Anliegen ist es, zu einer Wohnbauoffensive zu ermutigen. Hier haben wir kleinere und größere Projekte vorgestellt, die bereits entwickelt und teilweise auch bereits umgesetzt sind. Von dieser Wohnbauoffensive sollen Ortsbevölkerung und Flüchtlinge profitieren, eine Win-Win Situation. Es geht um leistbares Wohnen, das können wir schaffen. Und hier habe ich bereits einige sehr positive Reaktionen bekommen.



Wie will man die Gemeinden, die noch keine Flüchtlinge aufgenommen haben, dazu bewegen sich zu engagieren?



Ich setze hier auch auf das Netzwerk der Bürgermeisterinnen und Bürgermeisterinnen. Sie werden diese Erfahrungen weitertragen. Dass es z. B. auch in kleinen Gemeinden möglich ist, Flüchtlinge aufzunehmen. Oder, dass eine gute Kommunikation und Vorbereitung viele Probleme gar nicht entstehen lässt.



Die Flüchtlingsfrage wäre ohne das Netzwerk der Freiwilligen nicht zu bewerkstelligen. Verlässt sich die „hohe Politik“ zu sehr auf die Freiwilligen und verlagert Dinge, die eigentlich vom Staat erledigt werden müssten?



Die vielen Freiwilligen haben mich mit ihrem Engagement sehr beeindruckt. Das war und ist noch immer die prägende Erfahrung der vergangenen Monate. Ich habe gerade bei den Bürgermeistertreffen dazu viele Gespräche geführt. Und ich denke, dass die Bürgermeister dieses Potential in ihren Gemeinden, das sie zum Teil so nicht erwartet und gekannt haben, nun vor neue Aufgaben stellt. Hier müssen neue – auch gemeindeübergreifende – Strukturen entstehen, z. B. in der Planung für Sprachkurse, Sachspendenorganisation, Kindergarten, Schule uvm. Aber auch in der Sozialbetreuung oder auch in der Supervision für ehrenamtliche Helferinnen und Helfer stellen sich neue Fragen.

Die Bürgermeister sehen das schon sehr genau. Und ich denke, dass sie diese Erfahrungen auch an die zitierte „hohe Politik“ weitertragen werden.



Im Mai wird mit einem neuerlichen Ansturm der Flüchtlinge gerechnet. Ist Österreich dafür gewappnet?



Wann wie viele neue größere Gruppen von schutzsuchenden Menschen an unseren Grenzen stehen werden, lässt sich aus heutiger Sicht noch nicht sagen. Ich hoffe, dass bis dahin jene, die in Österreich aktuell noch in Notquartieren sind, in menschenwürdigen Quartieren leben können und dass wir eine Wohnbauoffensive gestartet haben. Parallel dazu müssen die EU und die internationale Staatengemeinschaft auch in der Kriegs- und Krisenregion, in der Türkei und an den EU Außengrenzen Maßnahmen gesetzt haben. Was wir brauchen ist die Haltung, dass wir tun was wir können – und wir können viel tun - ohne zu überfordern!