Fritz Hausjell im Gespräch mit Hans Braun
Fritz Hausjell im Gespräch mit KOMMUNAL-Chefredakteur Hans Braun: "Vielleicht wäre ein ,Gemeinderat für Kommunikation' (insbesondere für die neuen Kanäle) nicht schlecht."
© KOMMUNAL/Thomas Max

Spiegel vorhalten ist Teil des Jobs

Wie wir reden und was wir sagen, ist das, was wir denken und dann auch tun. Und das definiert uns. Gerade politische Kommunikation ist dabei eine heikle Sache – und das war es auch schon früher. KOMMUNAL befasst sich seit 30 Jahren mit Kommunikation, unser „Geburtstag“ ist der richtige Zeitpunkt, sich darüber Gedanken zu machen. Ein Gespräch mit dem Kommunikationsforscher Fritz Hausjell.

Kommunikation verändert sich. Sie passt sich der Sprache und der Ausdrucksweise der jeweiligen Zeit an, die Menschen passen sich an. Politische Kommunikation auf lokaler Ebene ist dabei keine Ausnahme. Worte oder Begriffe, die vor 30 Jahren ganz selbstverständlich in Gebrauch waren, haben heute oft eine andere Bedeutung.

Diese Veränderungen geschehen oft sehr langsam und werden manchmal gar nicht richtig wahrgenommen. Aber wenn dann jemand sagt, „diese Art zu reden erinnert mich an früher“, wird die Veränderung augenfällig. Schlimm nur, wenn der „Jemand“ der Papst ist und meint, dass er „in Sorge (ist), weil man Reden hört, die denen von Hitler 1934 ähneln: ,Zuerst wir. Wir ..., wir ...‘ - das ist ein Denken, das Angst macht.“

Der Kommunikationsforscher Fritz Hausjell meint dazu, dass es nicht Aufgabe des Journalismus sei, zu sagen, man dürfe gewisse Phrasen nicht verwenden, „du darfst so nicht reden“. Aber darauf hinzuweisen, dass die Verwendung dieser Phrasen einen in die Nähe des Rechtsradikalismus rücke, sei sehr wohl Aufgabe der Medien.

Aber das war gar nicht der eigentliche Grund für das Gespräch mit Hausjell. Wir wollten mit einem Wissenschafter reden, wie sich die politische Kommunikation in den vergangenen 30 Jahren, seit KOMMUNAL das erste Mal erschienen ist, verändert hat – sprich der Wandel von der Schreibmaschine zum Computer. Hausjell definiert mehrere Trends:

Das Ende der Parteipublizistik

In die späten 1980er-Jahre fiel das markante, fast komplette Ende der parteilich gebundenen klassischen Medien. Die „Arbeiter Zeitung“ erlebte gerade ihre letzten Jahre, und auch sonst gab es bestenfalls noch Reste der Parteipublizistik.

Gleichzeitig fand eine ziemlich stark ausgeprägte regionale Fernsehpublizistik statt; der ORF ging mit seinen Landesstudios in die Regionen. Das waren Chancen, aber auch Herausforderungen, weil auf einmal „täglich in den regionalen Informationssendung Themen drinnen waren, die meine Stadt, meine Gemeinde betroffen haben und wo ich als Bürgermeister, als Bürgermeisterin möglichweise politisch zu agieren“ habe. Und dass man als politischer Amtsträger gegenüber der breiteren Öffentlichkeit eine gewisse Verantwortung hat, sei ja keine Frage.

Es sei jedenfalls eine deutliche Zunahme der „medialen Ausspielkanäle“ festzustellen. Und man könne es sich als Amtsträger letztlich nicht aussuchen, dass laufend die wesentlichen Dinge der Gemeindepolitik kommuniziert werden. Und vor allem in den späten 90ern wurde es Realität, dass plötzlich jemand mit einem Mikrofon dasteht und ein Statement haben will.

Gemeinden müssen mit allen Altersgruppen kommunizieren

In diese Zeit fällt auch das beginnende Internet-Zeitalter. „Vor allem die Jugend erwartet sich seitdem, dass ganz schnell alle wesentlichen Informationen verfügbar sind, die früher viertel- oder halbjährlich in einem Mitteilungsblatt kommuniziert wurden, auf der Homepage der Gemeinde abrufbar sind“, so Hausjell. Gleichzeitig sind die „alten“ medialen Kanäle ja nicht verloren gegangen.

„Als Gemeinde muss man auf die Jungen, die nicht mehr ganz Jungen, das Mittelalter und die Alten und ganz Alten Rücksicht nehmen. Das heißt bei einem dynamischen Medienwandel, dass das ältere Segment relativ beharrend bei den älteren medialen Informationswegen bleibt. Man muss sehr vorsichtig sein bei der Frage, wann ein printmedialer Kommunikationsweg aufgegeben werden kann. 

Fritz Hausjell
Fritz Hausjell: „Vor allem die Jugend erwartet sich , dass ganz schnell alle wesentlichen Informationen verfügbar sind.“

Zu bedenken sei, dass all diese Dinge mit Kosten und Know-how zusammenhängen. Wenn alle davon reden, dass viele der moderneren Kommunikationswege „billig“ geworden sind, stimme das nur bedingt. Wenn die programmtechnische Ausstattung der Infrastruktur einer Gemeinde ins Hintertreffen geraten ist, werden auch die Verantwortlichen in Gemeinden schnell merken, dass sie gewisse Dinge mit veralteten Programmen nicht mehr machen können.

Und es stellt sich schnell die Frage, ob man die entsprechend ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Gemeindeverwaltung habe. Diese Entwicklungen seien definitiv eine große Herausforderung für Gemeinden, wenn man sie über 30 Jahre überblickt.

Bürger wurden kritischer

Ob die beginnende Regionalität der Kommunikation in den 80er-Jahre in einem Zusammenhang mit den ständig schwindenden Vertrauenswerten der Bundepolitik zu tun habe, wollen wir wissen. Hausjell sieht den Vertrauensverlust als Problem der Politik nicht nur in dieser einen Dimension. Er meint, das etwas mitspiele, was er als „kritisches Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger“, als Demokratisierung, weniger Autoritarismus, bezeichnet.

Die Frage, was im positiven Sinne eine Autorität ist – ein hochgeschätzter Bürgermeister, eine Bürgermeisterin, denen man vertraut, und die das auch mit Recht in Anspruch nehmen dürfen, weil sie ordentliche Arbeit leisten und sich nichts zuschulden kommen haben lassen – ist das eine.  

In der Gemeinde ist Politik sehr konkret, weil die Entscheidungen einen sehr direkt treffen.

Die Frage der Verteidigung der Demokratie

Die Frage, wo eine Straße, ein Kanal gemacht wird, ob es einen Kindergarten gibt und wo der ist, trifft die Menschen viel unmittelbarer. Die Frage der Pensionspolitik wird auf einer höheren Ebene entschieden, aber beispielsweise machen die Gemeinden sehr wohl auch Sozialpolitik. Und auch die Frage der „Verteidigung der Demokratie“ ist im kommunalen Bereich wesentlich – und damit sind wir letztlich wieder bei der Frage der Kommunikation und der Information. Das ist aus Sicht Hausjells eine ganz zentrale Grundlage.

„Das braucht es, damit ich mir als Bürgerin oder Bürger nach der Amtsperiode, wenn wieder Gemeinderatswahlen sind, ein solides Bild machen kann, wem ich für die nächste Periode Vertrauen schenke. Genau dafür braucht es wesentlich eine gute Infrastruktur für Kommunikation. Und die ist wesentlich von den Kommunen selber zu schaffen und zwar – und das ist schon eine Herausforderung, ähnlich der nach einem öffentlich-rechtlichen Mediensystem.“

Die zentrale Aufgabe bestehe ja nicht darin, dass ich nur mich bestmöglich „verkaufe“. Dass das ein Bedürfnis ist von Menschen, die stolz sind darauf, was sie geschaffen haben, ist klar. Aber die Grundhaltung muss immer sein, dass alle – auch die anderen Fraktionen in der Gemeinde – immer einigermaßen zu Wort kommen. 

Verantwortungsträger brauchen Medienkompetenz

Ist die Angst vor der Beeinflussung der Wähler durch gesteuerte (Des-)-Information auf Sozial-Media-Kanälen, die längst Realität ist, auch nur eine Information, die darauf abzielt, den eigenen Kanal zu stärken?

Grundsätzlich ist Hausjell der Überzeugung, dass politische Verantwortungsträger möglicherweise etwas mehr ruhige Nächte hätten, wenn sie sich in ihrer Medienkompetenz etwas mehr bilden würden. Was bedeutet, man muss sich nicht vor allem fürchten.

Das bedeutet einerseits, ruhig bleiben aus dem Wissen heraus, dass bestimmte Dinge schnell wieder verpufft sind. Aber andererseits verpuffen manche Dinge nicht und werden nur schlimmer, wenn man nicht reagiert. „Das Problem habe ich besonders, wenn mir gewisse Grundverständnisse zur Medienwelt fehlen. Es hat zwar noch nie eine Gesellschaft gegeben, wo so viele Kommunikationskanäle im Spiel waren. Aber die Medienkompetenz ist deswegen nicht gestiegen“, meint Hausjell.

Kommunikation braucht Zeit

Als Bürgermeister, Bürgermeisterin ist man mit dem Wunsch der Menschen nach mehr direkter Kommunikation konfrontiert. Gleichzeitig kostet das aber auch viel Zeit – auch in kleinen Gemeinden hat der Tag nur 24 Stunden. Es geht nicht nur darum, zu reagieren, sondern auch um zu schauen und beobachten – und man muss sich oft schnell entscheiden, wie und ob überhaupt man reagiert.

Die Zeitintensität dieser Art Arbeit wird meistens unterschätzt. Wenn man sich auf Twitter oder Facebook einen Tag Zeit für die Reaktion lässt, habe man’s schon vergeigt. Wenn man das selber zeitlich nicht schafft, bleibe nichts über, als jemand anderen damit zu beauftragen. Besonders wenn man den Job in der Gemeinde nicht hauptamtlich macht und tagsüber sein Geld in seinem Brotberuf verdient.

Vielleicht – so Hausjell – wäre auch ein „Gemeinderat für Kommunikation“ (insbesondere für die neuen Kanäle) nicht schlecht. Das wäre vor allem für Gemeinden anzuraten, wo es keine absoluten Mehrheiten gibt und man auf Zusammenarbeit angewiesen ist. Hier sollten vorab die Kommunikationslinien besprochen werden. Womit wir fast schon bei öffentlich-rechtlichen Medien wären.

ORF statt Parteijournalismus

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk war nach dem Krieg die Antwort der Alliierten auf den verhetzenden Parteijournalismus der Zwischenkriegszeit. Der muss dann nach klaren und fairen Prinzipien funktionieren: Alle kommen zu Wort, es gibt keine parteiische Haltung, idealerweise so unabhängig wie möglich. Wenn wir sowas auf der kommunalen Ebene auch schaffen, wäre schon was zu gewinnen. Und zwar nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung.

Jede Fraktion soll weiterhin ihre Medienkanäle bespielen. Gedacht für diejenigen, die auf einem Blick nachlesen wollen, was die einzelnen Parteien im Gemeinderat zu einem Thema sagen. 

Die Aufgabe eines Special-Interest-Magazins wie KOMMUNAL

Abschließend fragen wir den Medienwissenschafter, wo er die Aufgabe eines überregionalen und überparteilichen Mediums wie beispielsweise KOMMUNAL sieht.  Das ist ein Special-Interest-Magazin.

„Sie bedienen ja zwei Zielgruppen. Zum einen die ‚eigenen Leute‘, die in der Kommune verantwortlich sind. Und zum anderen die ‚Dialog/Streit/wie-auch-immer‘-Partner auf den höheren politischen Ebenen von Land und Bund bis hin zur EU.“ Die Aufgabe eines Magazins wie KOMMUNAL sei auch, die Arbeit der „handelnden Personen“ (also der Bürgermeister) immer gut zu begleiten.

Und „gut“ heiße in dem Sinn immer ein Stück weit kritisch begleiten – im besten Sinne kritisch und konstruktiv. Nicht „heruntermachen“, sondern auch dabei helfen, einen „Tunnelblick“ – und den gibt’s in jeder Berufsgruppe, also auch der Kommunalpolitik – zu erkennen und zu vermeiden helfen. Immer ein bisschen auch den „Spiegel vorhalten“, das ist Teil des Jobs.  



Zur Person

ao. Univ.-Prof. Fritz Hausjell (geboren 1959 in Lenzing, OÖ) studierte Publizistik und Kommunikationswissenschaften sowie Pädagogik an den Unis Salzburg und Wien. Der Medienhistoriker ist stellvertretender Vorstand des Instituts für Publizistik an der Universität Wien. Seine bevorzugten Forschungsgebiete sind der Journalismus im Dritten Reich und seine Folgewirkungen.