Felderer spricht mit Redakteur Braun
Bernhard Felderer im Gespräch mit KOMMUNAL-Chefredakteur Hans Braun

„Den Gemeinden gehört die Zukunft“

Im Vorfeld der Kommunalen Sommergespräche 2015 sprach KOMMUNAL mit Professor Bernhard Felderer, der in Bad Aussee einen Impulsvortrag halten wird. Seiner Meinung nach soll die Gemeindeautonomie eher größer werden.

Ein Interview mit Bernhard Felderer, dem Präsidenten des österreichischen Fiskalrats, kann so manche Überraschung bergen. So begegnet er der Frage, wie er zur Abgabenautonomiediskussion steht, gleich eingangs mit einer Gegenfrage: Wie es denn mit den Kooperationsmöglichkeiten der Gemeinden untereinander aussehe? Ob es da noch Potenzial gäbe, will der Präsident wissen. Auf die Antwort, dass die Gemeinden bereits in vielen Bereichen eng miteinander kooperieren, die EU-Umsatzsteuer-Regelung überaus kontraproduktiv sei, nickt er wissend und ergänzt, dass der Gestaltungsspielraum der Gemeinden ohnehin praktisch nicht mehr vorhanden ist.



Felderer: „Die Gemeinden haben zusätzliche Aufgaben bekommen, und es ist auch vernünftig, dass diese Aufgaben bei ihnen gelandet sind, wie beispielsweise Kompetenzen im sozialen Bereich.“



Als Beispiele werden immer wieder auch die Kindergärten genannt. Gemeindebundpräsident Helmut Mödlhammer sagt, dass es ein ökonomischer Wahnsinn sei, wie viele Stellen mit dem Thema befasst seien. Die Gemeinden sollten sich um die Kinderbetreuung kümmern, im Ausgleich dazu sollte der Bereich „Pflege“ an den Bund gehen. Felderer meint, dass „Pflege“ seiner Meinung nach lokal organisiert werden müsste. Wer sonst als die Gemeinden weiß, wo welche Hilfe notwendig ist?

Auch das AMS kann sich Felderer nicht nur auf Landesebene vorstellen, das sollte vor Ort – oder lokal – angesiedelt werden. Wenn sich innerhalb eines politischen Bezirks eine Schwerpunktgemeinde finden lässt, sollte das AMS dort angesiedelt sein.



Angesprochen auf die derzeit viel diskutierte Abgabenautonomie meint Felderer: „Wir glauben, dass es eine gute Sache wäre, da stimmen wir auch mit etlichen Experten überein. Aber wie genau das gemacht werden sollte und wie viel die Gemeinden bekommen sollten, da gehen die Meinungen auseinander. Meiner Meinung nach soll die Gemeindeautonomie eher größer werden. Wenn ich mir anschaue, wo die öffentlichen Investitionen getätigt werden, ist klar: Die Gemeinden sind die größten Investoren im öffentlichen Bereich. Bei größeren Investition sollten die Gemeinden auf zusätzliche Mittel zugreifen können, für die allerdings eine obere Grenze zu fixieren ist damit immer ein gewisser Spardruck aufrecht erhalten bleibt“.



Felderers Vermutung geht aber dahin, dass bei den Ländern die Sparmöglichkeiten noch nicht ausgeschöpft sind. „Ich glaube, dass bei den Ländern noch viel Geld zu holen ist, weil dort der Spardruck – anders als beim Bund – noch nicht so hoch ist. Und der Druck wird für alle Gebietskörperschaften stärker werden. Dadurch wird die Frage der Allokation der Mittel dringlicher, und ich meine, dass wir in den Landesbudgets mehr Luft haben als in den Gemeindebudgets.“



Felderer spricht in dem Zusammenhang einen weiteren Punkt an, der vor allem dem Gemeindebund schon seit langem unter den Nägeln brennt. „Die Bürgermeister in kleineren und mittleren Gemeinden, die ja in der Regel nicht besonders gut verdienen, bringen manchmal auch nicht die Qualifikationen mit, wie sie ein mittlerer Manager haben sollte Der Bürgermeister sollte sich bei den unterschiedlichsten Dingen auskennen, beim Bauen, bei Fragen der Infrastruktur, in der Energieversorgung – er sollte alles Mögliche können. Das würde aber mehr Kooperation zwischen den Gemeinden voraussetzen, als wir jetzt haben. Im Grunde läuft es darauf hinaus, dass sich mehrere Gemeinden einen qualifizierten Manager leisten.“



Ein zentrales Argument von Felderer ist, dass die Verwaltung der Gemeinden durch die Vielzahl der Vorschriften immer komplizierter wird. „Das kann man ja von einem einzelnen, der noch dazu das Amt neben seinem Beruf als Beamter, Bauer oder Geschäftsmann ausübt, nur schlecht erwarten.“



Dieser Ansatz läuft auf eine massive Stärkung der Amtsleiter hinaus, die aber nicht gewählt werden. Ist das nach Meinung Felderers mit unserem Demokratieverständnis vereinbar? Wenn die ganze Verantwortung einem Amtsleiter/Sekretär/Manager übergeben wird, ist es ja im Grunde eine Art Entwertung des Bürgermeisteramts. Felderer: „Wir brauchen auf allen Ebenen der Verwaltung kompetente hauptberuflich arbeitende Personen, die sich naturgegeben nicht jede Gemeinde leisten kann. Diese Amtsleiter/Sekretär/Manager bleiben weisungsgebunden und können aber die Bürgermeister trotzdem qualifiziert beraten.“



Von der Kompliziertheit der Verwaltung ist es nicht weit zum „Finanzausgleich auf einem Bierdeckel“, wie es Mitte Mai der Linzer Professor Friedrich Schneider präsentierte. Felderer reagierte darauf allerdings skeptisch: „Professor Schneider schlägt vor, die direkten von den indirekten Steuern zu trennen und sagt, die einen müssen zum Bund, die anderen zu den Ländern. Die Einfachheit ist zwar faszinierend, aber ich bin nicht überzeugt, dass dies der richtige Weg ist.“



Felderer würde bei der „Aufgabenorientierung“ und damit bei den Ausgaben ansetzen, nicht bei den Einnahmen. Wenn man sich die Aufgaben ansieht, dann gibt es bei allen einen Grund, warum die zu den Ländern gewandert sind. Der Grund ist einfach: „Es ist praktikabler.“ Es sei einfach nicht sinnvoll, eine AMS-Verwaltung, eine Krankenhausverwaltung nur in Wien zu haben. Diese Leistungen müssten vor Ort erbraucht werden.



Aber dann müsste man, so unser Einwand, verlangen, dass auch die Bundesländer mehr kooperieren. Felderer bestätigt das und gibt auch gleich ein Anschauungsbeispiel, dessen Relevanz nicht von der Hand zu weisen ist: „Da wehren sich immer wieder einzelne Bürgermeister gegen die Schließung von einzelnen Stationen ‚ihrer‘ Krankenhäuser. Wenn man sich die Neurochirurgie-Abteilungen kleiner Spitäler ansieht, sind die erstens mit zu wenigen Ärzten besetzt, die dann zweitens nur relativ selten Eingriffe machen. Neuro-chirurgische Eingriffe zählen zu den kompliziertesten was es chirurgisch gibt und müssen daher sehr häufig vom selben Ärzteteam durchgeführt werden, damit die Fehleranfälligkeit gering bleibt.“ Ergo seien auch – über Österreich verteilt – nur wenige solcher Stationen sinnvoll. Ein Argument für über Landesgrenzen hinausgehende Spezifizierung der Spitäler, die, so Felderer, die Bundesländer bis heute kaum gemacht haben.



Was die Aufgabenorientierung betrifft, würde Felderer auch zuerst bei der Verteilung der Aufgaben ansetzen und dann erst sehen, was an Mitteln notwendig ist. „Der Finanzminister hat uns gesagt, dass er eine grundsätzliche Änderung des Finanzausgleichs möchte, die A intelligent ist und B sich nicht nach Parteikriterien orientiert“, so Felderer. Auf die Frage, ob das realpolitisch umsetzbar sei, mahnt er zur Geduld: „Warten wir ab, wie sich die Finanzausgleichsverhandlungen entwickeln werden. Es gibt genügend kluge Menschen die abseits ideologischer Unterschiede Lösungen finden sollten.“ Es sei sicher, dass gewisse Aufgaben am besten auf der untersten Ebene angesiedelt werden. Folgerichtig müsse man auch überlegen, wie viele finanzielle Mittel diese bekommen muss. Die Gemeindeaufsichten hätten dann eine wichtige Aufgabe, nämlich die Gemeinden zu beobachten, ob sie in eine finanzielle Schieflage kommen, und rechtzeitig korrigierend einzugreifen.



Mittlerweile haben wir uns im Gespräch aber von der Ausgangsfrage (die Abgabenautonomiediskussion im Hinblick auf die Stärkung der Kommunen) etwas entfernt. Felderer schlägt darauf zurückkommend als einen Punkt vor, beispielsweise Altenheime und ähnliche Einrichtungen in zentralen Gegenden zwischen Gemeinden zu bauen. Dafür gäbe es auch Betreibermodelle, seien das (private public partnership) PPP-Modelle oder gänzlich privat betriebene. Dafür gäbe es vom Staat auch zumindest partielle Zuschüsse.



Weiter identitätsstiftende und unwidersprochen wichtige Institutionen wie Feuerwehr oder Vereine müssten natürlich zusätzlich gesichert werden – soweit notwendig. Die „Sparfrage“ darf wohl gestellt werden, obwohl natürlich die Sicherheit nicht darunter leiden dürfe. Eine Stärkung dieser „ur-kommunalen“ Institutionen würde vermutlich auch der Abwanderung entgegenwirken.



Logischerweise kommen wir dann auch auf die Steuerreform zu sprechen. Vor allem die erwarteten Rückflüsse aus dem Konjunktureffekt und dem Sozial- und Steuerbetrugsbekämpfungspaket werden angezweifelt. Wie denn der Herr Professor dazu steht: „Ich sag‘s ungern, aber die Hoffnung auf eine Selbstfinanzierung im ersten Jahr in Höhe von 850 Millionen ist sicher übertrieben. Sie wird längerfristig mehr als 850 Millionen Selbstfinanzierung bringen. Was aber viel stärker in Gewicht fällt, ist die Betrugsbekämpfung. Wo will man hier fast zwei Milliarden Euro herkriegen? Das Thema Betrugsbekämpfung ist seit Jahrzehnten in jeder Regierungserklärung zu finden.“ Auch die Registrierkassenpflicht ist – so Felderer – kein Instrument das jeden Mehrwertsteuerbetrug bekämpfen kann.

Zu viel Macht bei den Landesparteivorsitzenden



In diesem Zusammenhang kommt das Gespräch auch auf den gelebten österreichischen Föderalismus (fast wäre uns hier der „freudsche Verschreiber ‚Förderalismus‘“ unterlaufen). Es geht um die „reale Macht der Länder“, die sie nach der Verfassung gar nicht haben.



Felderer: „Wir haben zwei Ebenen, denen die Zukunft gehört. Eine ist der Bund, der sehr viel Macht nach Brüssel delegiert hat, trotzdem aber noch viel davon hat. Die zweite Ebene sind die Gemeinden. Die Länder stellen eine Zwischenebene dar, die aber die derzeit wichtigste Instanz in Österreich geworden ist. Warum ist das so? Im Nationalrat stimmen die Abgeordneten eher für ihren eigenen Landesparteivorsitzenden als für die Bundesregierung – auch wenn die von derselben Partei sind. Aber was ist der Grund dafür? Der Parteivorsitzende im Land entscheidet vor der nächsten Wahl, an welcher Stelle wer gereiht wird. Das ist eine nicht demokratische Usance – und der Bevölkerung ist das nicht klar. Das ist ein Zustand, der nicht haltbar ist“, so Felderer, der auch gleich ein Mittel „dagegen“ parat hat: Landes-Vorwahlen mittels Vorzugstimmen für den Nationalrat. Dann würden vermutlich die besten Köpfe mehr Gewicht bekommen. Und sie wären auch im Nationalrat nicht zu überhören. Unter dem Strich würde das auch eine Stärkung der Demokratie bedeuten. Diese „regional starke Typen“ – wie Felderer sie nennt und sie in der Hauptsache den Bürgermeistern zurechnet – würden in der Bundespolitik auch neue Impulse setzen. „Solche ‚Primaries‘ (Vorwahlen) würde den Gemeinden ganz automatisch mehr Gewicht geben“, ist Felderer überzeugt.



Realistisch ist allerdings viel mehr, dass die Landesparteichefs das natürlich auch sehen und vermutlich alles tun werden, damit es genau das nicht gibt. Auch, wenn durch diese Vorwahlen die Verhältnisse in den Ländern selbst nicht tangiert werden.



Das Gespräch findet dann doch auch zu einigen Finanzthemen zurück: So kommentiert der Professor die Aussage des Finanzministers, der davon ausgeht, dass Österreich nach 2014 auch durchgehend bis 2019 die EU-Vorgaben zum strukturellen Defizit (maximal minus 0,5 Prozent des BIP) erfüllen wird wie folgt: „Sie haben es bis jetzt erfüllt, und zwar die Gemeinden mehr als die Länder. Es wird sehr davon abhängen, wie sich die Einnahmen- und Ausgabensituation entwickeln wird. Aber das alles ist nur schwer zu berechnen. Sollte es doch eng werden, dann stellt sich die Frage, wo man noch einsparen kann. Das wird zwar politisch schwierig, ist meiner Meinung nach aber noch immer möglich. Dadurch kann man Mittel frei bekommen, die für Investitionen genutzt werden müssen, die dem Menschen in den ländlichen Regionen zugutekommen.“



Und weiter: „Dass das österreichische BIP-Wachstum für 2015 (laut einer Berechnung der EU von Anfang Mai) weit unter dem EU-Durchschnitt liegt, ist leider ein Faktum, wird sich aber in der zweiten Jahreshälfte bessern.“



Es gibt folgende Überlegung: Seit vier Jahrzehnten sinkt das Produktivitätswachstum (der reale Zuwachs, den ein Arbeitnehmer in einer Stunde produziert) kontinuierlich. In der Krise hat dieser Produktivitätszuwachs einen besonders starken Einbruch erlitten. Dieser reale Zuwachs hängt aber eng zusammen mit der Investition, die vorher gemacht wurden. „Dazu sehen Sie sich am besten die Investitionen von Österreich auch im Vergleich zu anderen europäischen Staaten an: Die Investitionen der Privaten (und das sind über 80 Prozent aller Investitionen) sind massiv gesunken und liegen immer noch deutlich unter dem Niveau von 2007. Wir müssen uns fragen, warum das so ist. Inzwischen hat sich die Auftragslage verbessert, und trotzdem sind vor allem die privaten Investoren sehr zurückhaltend. „Um es in ein Bild zu bringen: Ohne Investitionen läuft die Maschine, bis sie tatsächlich kaputt ist.“