Othmar Karas
Othmar Karas: "Es gibt wenige Themen, bei denen eine derart breite Betroffenheit herrscht."

Bei der Pflegereform geht es um viel mehr als Geld

30. April 2019
Die Reform der Pflege ist eines der Schwerpunktthemen der Bundesregierung in diesem Jahr. KOMMUNAL hat Hilfswerk-Präsident Othmar Karas um seine Einschätzung der Pflegereform gebeten.

Das Thema Pflege ist seit längerem in aller Munde. Durch Ihre Funktion als Präsident des Österreichischen Hilfswerks haben Sie tiefen Einblick in die Praxis. Wie ist die Situation in Österreich?

Othmar Karas: Es gibt in Österreich derzeit 458.000 pflegebedürftige Menschen. Doch das Thema Pflege betrifft viele mehr. Betroffen sind außerdem mehr als 800.000 pflegende Angehörige, aber natürlich auch die Gebietskörperschaften. Gemeinden, Länder und der Bund. Es gibt wenige Themen, bei denen eine derart breite Betroffenheit herrscht.

Die Bundesregierung legt einen Schwerpunkt Ihrer Arbeit auf den Ausbau der Pflege. Wo sehen Sie als Präsident des Hilfswerks den größten Handlungsbedarf?

Ich begrüße sehr, dass die Bundesregierung sich dieses Themas annimmt. Die anstehenden Fragen können jedoch nicht vom Bund alleine, sondern nur in Zusammenarbeit mit Ländern und Gemeinden unter Miteinbeziehung von Expertinnen und Experten beantwortet werden.

Umso wichtiger ist es, dass bis Ende 2019 ein Konzept vorliegt. Viele Kommentatoren sprechen bislang nur über die Finanzierung. Aus meiner Sicht ist das aber nur ein Punkt von vielen. Es geht auch um eine leistungsfähige Versorgungslandschaft, um eine effiziente Steuerung und Organisation der Pflege und die Deckung des aktuellen und künftigen Personalbedarfs.

Warum ist es so wichtig, die Pflege zu Hause zu stärken?

Die meisten Leute wollen so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden bleiben. Hier kreuzt sich meine Funktion als Präsident des Hilfswerks mit meiner politischen Tätigkeit.

Der christlich-soziale Zugang ist, dass es Eigenverantwortung und Subsidiarität braucht. Subsidiarität bedeutet, dass wir als Gesellschaft Familien mit den vielfältigen Herausforderungen der Pflege nicht alleine lassen dürfen, sondern durch ein faires und leistungsfähiges Pflegesystem für Entlastung sorgen müssen.

Für viele ist es schlichtweg ein Anliegen, die eigenen Angehörigen zu pflegen. Das sollten wir als Gesellschaft bestmöglich unterstützen, und zwar nicht nur symbolisch in Form von Anerkennung und Wertschätzung, sondern ganz konkret durch handfeste Dienstleistungsangebote, auf die Betroffene und deren pflegende Angehörige zurückgreifen können.

In welcher Form sollte die Pflege zu Hause weiterentwickelt werden?

Mit Bedachtnahme auf den Bedarf von Betroffenen und deren Angehörigen gilt es, die derzeit etwas „holzschnittartige“ Palette an Pflegedienstleistungen stärker auszudifferenzieren. Nur so kann verhindert werden, dass Menschen frühzeitig in ein deutlich teureres Pflegesetting „kippen“.

Als Beispiel sei hier die mehrstündige Tagesbetreuung zu Hause angeführt, die für pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz eine echte Entlastung darstellen kann. Es geht aber auch um die Sicherstellung der Leistbarkeit von professioneller Pflege durch sozial gestaffelte Eigenbeiträge.

Das Hilfswerk ist eine der der größten österreichischen Anbieter sozialer Dienstleistungen. Was erwarten Sie sich generell von einer Pflegereform bzw. welche Rahmenbedingungen brauchen die Trägerorganisationen?

Wir wollen eine moderne Steuerung von Inanspruchnahme, Effizienz und Qualität von Pflegedienstleistungen.

Was wir nicht brauchen, sind Modelle einer bürokratischen Steuerung selbiger und den Aufbau von teuren Mehrgleisigkeiten durch die Dopplung von Strukturen in der Verwaltung, wie sie neuerdings in einigen Bundesländern angedacht sind.

Es braucht weniger Bürokratie dafür mehr Digitalisierung. Auch die freie Wahl der Dienste für die Nutzer sowie ein geordneter Wettbewerb und faire Verträge für die Träger erscheinen uns mit Blick auf eine nachhaltige Absicherung des heimischen Pflegesystems sinnvoll.