Finanzen
Gemeinden unter dem Diktat der leeren Kassen
Vor diesem Hintergrund hat der Österreichische Gemeindebund beim 70. Österreichischen Gemeindetag ein umfassendes Forderungspapier an eine neue Bundesregierung vorgelegt, das eine Vielzahl von Themen abdeckt, die die Stabilität der Gemeindehaushalte und die Lebensqualität im ländlichen Raum betreffen. Eine der wesentlichen Forderungen war der nach einem „Belastungsstopp für Gemeinden“. Das mangelnde Kostenbewusstsein und der „graue Finanzausgleich“ waren hier der Hintergrund.
Der Gemeindebund kritisiert in seinem Papier scharf, dass den Gemeinden immer mehr Aufgaben ohne ausreichende finanzielle Kompensation zugewiesen werden. Besonders stark betroffen sind hier Bereiche, die durch demografische Veränderungen und höhere Qualitätsstandards geprägt sind, wie etwa der Gesundheits- und Sozialbereich sowie die Kinderbetreuung.
Diese Aufgabenverlagerungen führen dazu, dass die Gemeinden zunehmend in finanzielle Bedrängnis geraten. Der sogenannte „graue Finanzausgleich“ umfasst hierbei Einnahmeausfälle durch Steuerreformen, wie etwa die Abschaffung der kalten Progression, und Änderungen im Umsatzsteuerrecht, die den Vorsteuerabzug kommunaler Gesellschaften einschränken.
Neben diesen Belastungen ist auch das Unterlassen von notwendigen Maßnahmen, wie die längst überfällige Valorisation der Einheitswerte bei der Grundsteuer oder die Anpassung der Gebühren im Personenstandswesen, ein großes Problem. Diese Untätigkeit führt dazu, dass Gemeinden immer mehr Aufgaben übernehmen müssen, ohne dafür adäquat entlohnt zu werden.
Aus diesem Unterlassen resultieren etwa geringere Erträge aus der Grundsteuer und höhere Aufwände für die Sozialhilfeträger. Gleiches gilt für die seit Jahrzehnten nicht angepassten Gebührensätze im Personenstandswesen (Standesamt), wodurch in diesen Angelegenheiten nur mehr ein Kostendeckungsgrad von nicht einmal 20 Prozent gegeben ist und die Gemeinden zur Erfüllung dieser Aufgaben mehr als 80 Prozent der Kosten durch den allgemeinen Haushalt finanzieren müssen.
Eine bessere Folgenabschätzung der finanziellen Auswirkungen neuer Gesetze auf Gemeinden, wie es im Bundeshaushaltsgesetz vorgesehen ist, könnte hier Abhilfe schaffen. Der Gemeindebund fordert zudem eine Reform der Verhandlungspflicht bei steuerpolitischen Maßnahmen, um Mindereinnahmen besser auszugleichen und neue Bundesabgaben wie die Digitalsteuer oder CO₂-Steuer gerechter zu verteilen.
Es bedarf dazu neben legistischer Korrekturen vor allem eines gesteigerten Kostenbewusstseins der Gesetzgeber sowie einer höheren Qualität bei Kostenfolgenabschätzung, wie sie etwa in § 17 des Bundeshaushaltsgesetzes vorgesehen ist.
Kostenauswirkungen fehlen oft
Während die finanziellen Auswirkungen von Gesetzesvorhaben auf den Bund in den Gesetzesmaterialien oftmals geradezu „wissenschaftlich“ dargestellt werden, fehlt diese Genauigkeit immer wieder, wenn es um Kostenauswirkungen bundesgesetzlicher Maßnahmen auf die Länder- und vor allem die Gemeindeebene geht. Deutschland beispielsweise deckt in einem neu entwickelten „Planspiel“ die Auswirkungen von Bundesgesetzen auf die kommunale Ebene auf und reagiert auch dementsprechend.
Bessere Folgenabschätzungen würden auch die Rechte der Gemeinden aus der Konsultationsvereinbarung stärken. So sollte, wie bereits in den Verhandlungen zum Finanzausgleich ab 2024 gefordert, eine Reform der bisher zahnlosen Verhandlungspflicht gemäß § 8 Finanzausgleichsgesetz bei steuerpolitischen Maßnahmen, die mit Mindereinnahmen der anderen FAG-Partner verbunden sind, in den Fokus rücken.
Anschubfinanzierungen mit hohen Folgekosten vermeiden
In den vergangenen Legislaturperioden wurden in zahlreichen Art.-15a-B-VG Vereinbarungen vor allem im Sozial-, Bildungs- und Kinderbetreuungsbereich sogenannte Anschubfinanzierungen vereinbart, die unmittelbar die Gemeinden und ihren Haushalt betrafen.
Der Österreichische Gemeindebund appelliert an den Bund und die Länder, Anschubfinanzierungen zu unterlassen, die bei den Gemeinden langfristig zu Verteuerungen der von ihnen übernommenen Aufgaben führen, sondern nachhaltige und langfristige Finanzierungslösungen vorzusehen.
Finanzielle und strukturelle Stärkung des ländlichen Raums
Die finanzielle Situation ländlicher Gemeinden ist besonders prekär. Die geringe Finanzkraft aus eigenen Abgaben und Ertragsanteilen im Vergleich zu urbanen Räumen führt zu einer strukturellen Benachteiligung. Der abgestufte Bevölkerungsschlüssel (aBS), der Gemeindebürger in Städten über 50.000 Einwohner um rund 45 Prozent höher gewichtet als in Gemeinden unter 10.000 Einwohner, vergrößert diese Einnahmenungleichheit noch mehr.
Obwohl größere Einheiten ihre Leistungen pro Kopf nicht wesentlich günstiger erbringen können als kleinere, wird dennoch am nur noch historisch begründbaren aBS festgehalten.
Im Finanzausgleichsgesetz finden sich darüber hinaus noch immer diverse weitere Verteilungsmechanismen, die den ländlichen Raum stark benachteiligen, so etwa die systemwidrige Regelung, wonach die KESt I (auf Dividenden) nicht nach dem Einwohnerschlüssel, sondern nach dem Aufkommen am Unternehmenssitz von Aktiengesellschaften und GmbHs verteilt wird (allein Wien lukriert daraus bis zu 200 Millionen Euro jährlich an Ertragsanteilen).
Ein weiteres Beispiel für eine grobe Benachteiligung ländlicher Gemeinden und Städte im Finanzausgleich sind die §24-Finanzzuweisungen für den öffentlichen Personennahverkehr (rund 115 Millionen Euro pro Jahr), die zu gut 90 Prozent in die Ballungsräume fließen.
Neben der Personalkostenentwicklung sind die 2023 und 2024 explodierten Transferzahlungen vor allem für den Gesundheit- und Sozialbereich finanziell besonders herausfordernd. Gerade in diesen Bereichen können die Gemeinden nicht mitbestimmen, müssen aber mitzahlen. Hier sind dringend Verhandlungen zu führen, die Gemeinden aus diesen Ko-Finanzierungsbereichen herauszunehmen und ihnen stattdessen zusätzliche Aufgaben etwa in der Kinderbetreuung zu übertragen.
Ein weiteres Problem zeigt sich bei der Schülerfreifahrt im ländlichen Raum. Die chronisch zu niedrigen Fördersätze des Bundes für den Schülertransport führen dazu, dass Gemeinden die Differenz oft aus eigenen Mitteln decken müssen. Auch hier fordert der Gemeindebund eine Reform, um den ländlichen Raum nicht weiter zu benachteiligen.
Dass der Bund die Gemeinden in den Krisen der vergangenen Jahre mit Kommunalinvestitionsgesetzen zur Aufrechterhaltung der kommunalen Investitionsfähigkeit und Infrastruktur unterstützt hat, ist zu begrüßen, dies gilt auch für den im Paktum zum Finanzausgleich 2024 bis 2028 geschaffenen Zukunftsfonds, der Ländern und Gemeinden frisches Geld für ihre Aufgaben zukommen lässt.
Angesichts der anstehenden Herausforderungen für die kommunale Infrastruktur und Aufgabenerfüllung muss mittelfristig jedoch eine deutliche vertikale Schlüsselerhöhung auf zumindest 15 Prozent (derzeit 11,883 Prozent) zugunsten der Gemeinde-Ertragsanteile erfolgen
Stärkung der gemeindeeigenen Abgaben: Reform der Grundsteuer!
Die Grundsteuer B ist seit Jahrzehnten nicht reformiert worden und entspricht nicht mehr den aktuellen Anforderungen. Der Gemeindebund fordert eine grundlegende Reform, die eine Vereinfachung des Bewertungsverfahrens vorsieht. Das vorgeschlagene „Flächenmodell“ würde es den Gemeinden ermöglichen, die Bewertung der Grundsteuer selbst durchzuführen, anstatt auf die überlasteten Finanzämter angewiesen zu sein.
Zudem sollen die Gemeinden autonom die Hebesätze festlegen können, um flexibel auf lokale Gegebenheiten reagieren zu können.
Dieses Modell würde die Gemeindeautonomie stärken und gleichzeitig eine dringend notwendige Modernisierung der Grundsteuer herbeiführen. Besonders im Hinblick auf die Mobilisierung von Bauland und die Förderung von leistbarem Wohnraum könnte eine differenzierte Gestaltung der Grundsteuer dazu beitragen, gesellschaftspolitische Ziele zu erreichen.
Kommunalsteuer und Zusammenarbeit zwischen Gemeinden und Bundesfinanzgericht
Die Verteilung der Kommunalsteuer ist seit Jahren ein Diskussionsthema. Vor dem Hintergrund der digitalen Transformation und des wachsenden Trends zum Homeoffice muss die Aufteilung der Kommunalsteuer neu verhandelt werden.
Eine Reduktion der Frist zur Anrechnung der Kommunalsteuer auf Personal-Leasing-Verträge wird ebenfalls gefordert, um die Benachteiligung von Beschäftigergemeinden zu reduzieren. Auch die Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden und dem Bundesfinanzgericht soll gestärkt werden, indem relevante Entscheidungen zu Kommunalsteuerverfahren schneller und transparenter an die Gemeinden übermittelt werden.
Zentrales Haushaltsregister (ZHR)
Eine der zentralen strukturellen Forderungen des Gemeindebundes ist die Schaffung eines Zentralen Haushaltsregisters (ZHR). Dieses soll sämtliche Haushaltsdaten der Gemeinden, Länder und ausgegliederten Einheiten sammeln und so die Verwaltung vereinfachen. Durch ein solches Register könnten Redundanzen in den Meldeverfahren vermieden und ein einheitlicher Datenbestand geschaffen werden. Dies würde nicht nur die Transparenz erhöhen, sondern auch die Effizienz der Verwaltung erheblich steigern.
Analyse und Fazit
Das Forderungspapier des Österreichischen Gemeindebundes zeigt klar die zunehmenden finanziellen Herausforderungen auf, vor denen die Gemeinden stehen. Vor allem die unzureichende Kompensation für übertragene Aufgaben, die strukturelle Benachteiligung des ländlichen Raums und das veraltete Abgabensystem belasten die kommunalen Haushalte enorm.
Der Gemeindebund fordert zu Recht mehr finanzielle Verantwortung von Bund und Ländern und legt konkrete Vorschläge für Reformen vor, die dringend umgesetzt werden müssen, um die finanzielle Handlungsfähigkeit der Gemeinden zu sichern.
Die politische Realität, dass Steuererhöhungen oder Anpassungen an die wirtschaftliche Realität oft aus wahlstrategischen Gründen abgelehnt werden, bringt die Gemeinden an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Langfristig wird es jedoch notwendig sein, einen neuen Konsens zu finden, der den Gemeinden ausreichend Mittel zur Verfügung stellt, um ihre vielfältigen Aufgaben zu erfüllen und die Lebensqualität in Österreich aufrechtzuerhalten – sowohl in städtischen als auch in ländlichen Gebieten.
Was ist der „Abgestufte Bevölkerungsschlüssel“?
Die Aufteilung der Gemeindeertragsanteile an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben erfolgt zum überwiegenden Teil auf der Grundlage des abgestuften Bevölkerungsschlüssels (aBS) und der Volkszahl.
Große Gemeinden erhielten pro Einwohner grundsätzlich mehr Ertragsanteile aus dem abgestuften Bevölkerungsschlüssel als kleine. Verteilungskriterien, die sich am Ausgleich regionaler Unterschiede oder an den tatsächlichen Aufgaben und Leistungen der Gemeinden orientierten, wurden gar nicht oder nur unzureichend berücksichtigt. Ein strategisch konzeptives Grundgerüst im Rahmen des Finanzausgleichs fehlt ebenso wie klare Ziele für den abgestuften Bevölkerungsschlüssel.