Verleihung des Landluft-Baukulturpreises
Die Preisverleihung fand am 23. September 2021 im Kuppelsaal der TU Wien statt.
© eSeL

Gemeinden, die Boden g’scheit nutzen

24. September 2021
Die Gewinnerinnen des LandLuft-Baukulturgemeinde-Preises 2021 sind gekürt. Aus den 37 Einreichungen prämierte die Jury in einem mehrstufigen Prozess acht Kommunen für ihr baukulturelles Engagement. Feldkirch (V), Göfis (V), Mödling (NÖ) und Thalgau (S) sind die vier Hauptpreisträgerinnen, über Anerkennungen dürfen sich Andelsbuch (V), Nenzing (V), Innervillgraten (T) und Trofaiach (ST) freuen. Zudem wurden neun Initiativen mit einem Sonderpreis gewürdigt.

Für den Verein LandLuft zählen dabei nicht nur schöne Bauwerke, sondern nachhaltige Ansätze in allen Gestaltungsbereichen einer Gemeinde: von Mobilität und Partizipation über Ortskernstärkung bis zu Strategien gegen Leerstand und Zersiedlung. Jede Kommune ist mit einer anderen Ausgangssituation konfrontiert. Die individuellen baukulturellen Lösungsansätze wurden von der Jury in drei Phasen begutachtet: Einreichung, Hearing und Juryreise.

„Alle neu gekürten Baukulturgemeinden sind Vorzeigebeispiele im Umgang mit der raren Ressource Boden. Österreich verbraucht rund elf Hektar pro Tag. Die Baukulturgemeinden wissen, dass dieser enorme Verbrauch in Zusammenhang mit den Klimaveränderungen untragbar ist. Aber nicht nur das – ihre nachhaltigen Strategien und ihre aktive Bodenpolitik sind die Basis für die Entwicklung zukunftsfähiger Orts- und Stadtgemeinden“, schildert LandLuft-Obfrau Elisabeth Leitner. „Wir gratulierten den Siegergemeinden ganz herzlich. Sie sind die neuen Baukultur-Botschafterinnen. Ihre Strategien sollen Inspiration für viele weitere Kommunen sein.“

Die Preisträgerinnen

G’scheite Bodennutzung in Feldkirch

Es ist beachtenswert, wie konsequent die Stadt Feldkirch (Vorarlberg) eine Innenentwicklung mit hoher Dichte forciert. Obwohl die rund 37.000 Einwohner*innen-Stadt laufend Zuwachs bekommt, meidet man den Bau auf der grünen Wiese wie beim neuen Mondforthaus. Stattdessen werden bestehende Areale wie beispielsweise der Bahnhof, die alte Spinnerei der Firma Hämmerle oder der ehemalige Bauhof der Firma Hilti & Jehle weiterentwickelt.

Feldkirch
Foto: LandLuft Lippzahnschirm Raneburger

Auch auf Mobilitätsfragen findet Feldkirch durchwegs innovative Antworten. Löblich sind zudem die großen Grundstücksreserven für die Zukunft, die im Interesse der Allgemeinheit geschaffen wurden. Bodenpolitik wird in Feldkirch also vorrausschauend betrieben.

Göfis schaut aufs Dorf

Die Gemeinde Göfis, unweit von Feldkirch, hat rund 3.500 Einwohner*innen. Sie zeichnet sich besonders durch die aktive Rolle der Bürger*innen in der Gemeindeentwicklung aus. So beginnt Baukulturvermittlung hier bereits bei den Kindern. Der Fokus liegt auf dem Ortskern, den die Gemeinde identitätsstiftend und mit Qualität entwickelt. Dem Vereinshaus, dem Schauplatz „Obst & Garten“, dem autofreien Dorfplatz und dem „bugo” mit Bibliothek und Café fallen hier zentrale Rollen zu.

Göfis
Foto: LandLuft Lippzahnschirm Raneburger

Raumplanung wird in Göfis ernst genommen. Die Grenzen der Siedlungsentwicklung werden aktiv gesetzt, im Kern wird verdichtet und das Bauen im Bestand forciert. Selbst bauliche Kriterien wurden festgelegt.

Mödling hat Historie und Zukunft im Blick

Die Nähe zu Wien und zum Wienerwald machen Mödling zu einer besonders attraktiven, aber teuren Stadt. Sie hat 24.000 Einwohner, davon ist ein beträchtlicher Anteil über 65 Jahre alt. Leistbares Wohnen für junge Menschen zu ermöglichen, ist ein großes Thema.

Mödling
Foto: LandLuft Lippzahnschirm Raneburger

In der Vergangenheit widmete Mödling konsequent kein zusätzliches Bauland, ging mit zu bebauenden Flächen sehr sorgsam um und blieb dem Gartenstadt-Konzept treu. Altes wird erhalten und Neues mit Bedacht und unter Einbindung der Bevölkerung und externen Gestaltungsbeirät*innen entwickelt. Außerdem schreckt Mödling nicht davor zurück, versiegelte Flächen wieder zu entsiegeln und versucht das Prinzip der Schwammstadt im öffentlichen Raum umzusetzen.

Mutiges, ideenreiches Thalgau

Thalgau ist mit seinen fast 6.000 Einwohnern kein Dorf mehr. Das Urbane lässt grüßen. Auf der guten Lage mitten im Grünen und unweit von Salzburg möchte man sich hier aber nicht ausruhen. Die Marktgemeinde hat viele engagierte Leute für die Mitarbeit gewonnen und zukunftsweisende Lösungen im öffentlichen Raum geschaffen.

Thalgau
Foto: Marktgemeinde Thalgau/BM Grubinger

Besonders mutig ging Thalgau mit der scheinbar unlösbaren Verkehrssituation um. Dort wo früher täglich rund 8.000 Fahrzeuge durch den Ortskern brausten, entstand ein fehlender Dorfplatz mit Aufenthaltsqualität. Zudem wurde die verlegte Landesstraße in eine „gelbe“ Begegnungszone mit Tempo 30 verwandelt. Projekte werden in Thalgau bodensparend und mit hoher Nutzungsflexibilität umgesetzt – so auch das verdichtete Bauvorhaben auf den Sagergründen und die multifunktionale Volksschule.

Anerkennungen

Miteinander und Füreinander in Andelsbuch

Andelsbuch in Vorarlberg findet maßgeschneiderte Lösungen für die Bedürfnisse seiner Bewohner – mit hoher Umsetzungsqualität. Die Anlage „Wohnen Hof“ mit 35 Einheiten inkl. betreutem Wohnen ist als Alternative zum Einfamilienhaus ein außerordentliches Beispiel für einen 2.800 Einwohner-Ort.

Das Vereinsleben und die Kultur sind spürbar – besonders im sanierten Bahnhof, einer Leerstandaktivierung. Der Werkraum Bregenzerwald, eine Kooperation von Handwerkern, hat mit dem Werkraumhaus in Andelsbuch einen Vermittlungsort für Handwerk geschaffen, der weit über die Region hinaus strahlt.

Andelsbuch
Foto: LandLuft Lippzahnschirm Raneburger

Alte Höfe neu gedacht in Innervillgraten

Der Erhalt der Kulturlandschaft und sanfter Tourismus sind den Menschen in Innervillgraten in Osttirol ein großes Anliegen. Da die steilen Hänge hier den Raum zum Bauen begrenzen, wurde es für die Nachkommen der fast 1.000 Einwohner immer schwieriger, zeitgemäßen Wohnraum zu finden. Gleichzeitig stellte sich die Frage nach der Nachnutzung leerstehender Höfe immer stärker.

In hoher handwerklicher Qualität sowie mit lokalen Materialen und in vielfältigen Formaten begann die Gemeinde alte landwirtschaftliche Bausubstanz wieder zu beleben und Besitzern leerstehender Bauernhäuser zu einem Umbau zu inspirieren. Neues Wissen wurde in Form von Studierenden-Gruppen oder der Leerstandskonferenz ins Tal geholt.

Nenzing: zum Wohle der Gemeinschaft

Die Marktgemeinde Nenzing mit nahezu 6.800 Einwohnern bemüht sich aktiv um Verdichtung im Ortskern und eine zentrumsnahe Versorgung für ihre Bürgerinnen und Bürger.

Als eine der ersten Gemeinden Österreichs hat Nenzing eine Gemeinwohlbilanz erstellt und wurde im Jahr 2017 zertifiziert.  Sie unterstreicht damit ihren hohen Anspruch an ihr kommunales Handeln. Eine sorgfältige Bodennutzung findet sich in vielen verschiedenen Projekten – von der Siedlungsentwicklung bis zur Generationenmeile. Zudem lebt die Vorarlberger Kommune eine enge Zusammenarbeit in der Region und setzt interkommunale Projekte um. Dazu zählt auch das Walgaubad, das gemeinsam mit 13 Gemeinden des Walgaus entstand.

Zurück ins Trofaiacher Zentrum

Im steirischen Trofaiach gilt es der Abwanderung und dem Ortskernsterben entgegenzuwirken. Die rund 12.300 Bürgerinnen und Bürger sind eingeladen, die Zukunft des Ortes mitzugestalten.

Innervillgraten
Foto: LandLuft Lippzahnschirm Raneburger

Sonderpreis für vernünftige Bodennutzung

Zusätzlich zum Baukulturgemeinde-Preis verlieh LandLuft erstmals auch einen Sonderpreis. Er steht ebenfalls unter dem Motto „Boden g’scheit nutzen“. Die Prämierungen gingen an neun Initiativen bzw. Einzelpersonen aus ganz Österreich, die ein außergewöhnliches Engagementfür Baukultur und Bodennutzung an den Tag legen.

Verein Lebensraum Land um Laa (NÖ)

„Jeder Leerstand ist eine Ressource“, betont Matthias Hartmann, Projektleiter des Vereins Lebensraum um Laa. Elf Gemeinden der Region im nördlichen Weinviertel haben sich zum Ziel gesetzt, Leerstand zu reduzieren, vorhandene Wohnraumressourcen speziell für junge Menschen zu nutzen und Ortskerne zu stärken. Sie kartieren Leerstände in der Region und vermitteln zwischen Angebot und Nachfrage, indem sie Eigentümer*innen über den Wert ihrer Ressource und Wohnungssuchende mit Möglichkeiten des Bauens und Adaptierens im Ortskern beraten.

Regionalentwicklungsverein Römerland Carnuntum (NÖ)

30 Gemeinden östlich von Wien haben sich die 2017 veröffentlichten Baukulturellen Leitlinien des Bundeskanzleramts zu Herzen genommen. Sie erarbeiteten eine gemeinsame Strategie und einen darauf basierenden, leicht zu vermittelnden Baukasten. Alle 30 Gemeinden verpflichteten sich den Grundsätzen, womit kluge Bodennutzung und qualitative Bauweisen nicht mehr Absichtserklärungen bleiben. In der Pilotregion Römerland Carnuntum wird demonstriert, was passiert, wenn die baukulturellen Leitlinien ernst genommen werden.

architektur:lokal e. G. (Tirol)

architektur:lokal, eine Gruppe Tiroler Architektinnen und Architekten, verbindet die Bodenfrage mit Leerstandsberatung und der Förderung des lokalen Handwerks. Das Kernteam widmet sich dem Bauen im Bestand und revitalisiert in Zusammenarbeit mit Bauhistorikern, Raumplaner, Energieberater und Handwerk Bauernhöfe und Bauten in der Region. Ihre Leerstandserhebungen, Exkursionen und Vorträge gaben vielerorts den Anstoß, um gegen Zersiedelung und das Sterben der Ortskerne vorzugehen. Hier leistet Architektur ihren gesellschaftlichen Auftrag im besten Sinne.

Bodenfreiheit (Vorarlberg)

Der Verein Bodenfreiheit hat eine ganz eigene, raffiniert einleuchtende Methode gefunden, Bewusstsein für irreversiblen Bodenverbrauch im Vorarlberger Rheintal zu schaffen. Um massiven Verbauungen entgegenzuwirken, kauft der 300 Mitglieder*innen zählende Verein mittels Crowdfunding kleine Grundstücke oder Rechte an strategisch wichtigen Flächen. „Wir wollen nichts verhindern, wir wollen es besser machen“, so Obmann Martin Strele, der damit bildhaft und medienwirksam auf Probleme der Raumplanung und Siedlungsentwicklung hinweist. 

vau | hoch | drei (Vorarlberg)

Die Initiative vau | hoch | drei strebt nach gemeinwohlorientierter Raumentwicklung, die Vorarlbergs Gemeinden und Landschaftsräume zukunftsfähig machen soll. „Der Anlass für unsere Gründung war die zunehmende Baulandhortung durch einige Ländle-Oligarchen und ein zu geringes Maß an Mobilisierung von Bauflächen”, erklärt Raumplaner Markus Aberer. Mit fünf konkreten Forderungen startete die fachkompetente Gruppe eine Petition, die mehr als ein Drittel der Bürgermeister*innen des Landes unterzeichneten und letztlich im Raumplanungs- und Grundverkehrsgesetz Beachtung fand. Die neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen helfen nun Bürgermeister*innen, der Zersiedelung und Bodenverschwendung entgegenzuwirken. 

Benjamin Altrichter (NÖ)

Der Architekturstudent Benjamin Altrichter hat eine Einmanninitiative gestartet, um sein Heimatdorf im Waldviertel neu zu beleben. Denn Kautzen ist nichts erspart geblieben: Donut-Effekt, Leerstand, verfallende Bausubstanz, viele Auspendler und Zweitwohnsitze sowie eine von Eigeninteressen und Gartenzaun-Mentalität getriebene Ortsentwicklung. Mit „Kautzen 90 | 20 | 50 – Gestern | Heute | Morgen?“ möchte er dem Ausbluten des Dorfs entgegenwirken. Fragebögen, Gespräche, Dorffrühstück und einfühlsame Hinweise auf Fehlentwicklungen erweckten das Interesse der Bevölkerung und ermutigten ihn, mit guten Ansätzen von einst und innovativen Ideen von morgen gegen den Identitätsverlust des Ortes vorzugehen.

Projektentwicklungsgemeinschaft Central Wohnen (Stmk)

Ein Parkplatz im Ortskern anstelle eines Hauses aus dem 15. Jahrhundert? So geht’s nicht, sagte sich eine Gruppe lokaler Bürgerinnen und Bürger in Irdning-Donnersbachtal. Sie kauften das sanierungsbedürftige „Fürstenhaus” am Hauptplatz einfach selbst, machten daraus ein architektonisches Schmuckstück, einen gastronomischen Treffpunkt und Wohnort für zehn junge Paare.

Architektin und Mitinitiatorin Caroline Rodlauer weiß: „Das ressourcenschonendste Haus ist das nicht neu gebaute Haus.“ Das Impulsprojekt soll nun den Anstoß für eine weitere Ortskernbelebung geben. 

Initiativgruppe Kanaltaler-Siedlung Villach (Kärnten)

Eine märchenhafte Geschichte mit Happy End: Sie beginnt mit dem drohenden Abriss der rund 80 Jahre alten, architekturhistorisch bedeutsamen Kanaltaler-Siedlung in Villach.

Eine Gruppe aus Mietern, Anrainern, Architekten und Bauingenieuren formierte sich mit dem Ziel, den Abriss zu verhindern und grundlegendes Wissen zu den Themenfeldern Leistbares Wohnen und Umbau statt Abriss zu sammeln. Daraus entstand Jahre später dank eines Forschungsauftrags der Leitfaden „Quartier & Wir“, der den Weg zur nachhaltigen Weiterentwicklung von Bestandsquartieren aufzeigt. Seit 2020 ist dieser in der Wohnbauförderung des Landes Kärnten enthalten und rechtsverbindlich verankert.

Julia Schmid (Salzburg)

Die Diplomarbeit der Architekturstudentin Julia Schmid hat die Grenzen der Hochschule verlassen. Nach einer Analyse ihres Heimatortes Hüttau entwickelte sie elf mögliche Maßnahmen gegen die Stagnation der Bevölkerungsentwicklung und den Leerstand. Sie verteilte Fragebögen und Ideenkarten an die Bewohnerin­nen und Bewohner, um sie sanft auf Fehlentwicklungen hinzuweisen und in Entscheidungen der Ortsentwicklung zu involvieren.

Das Thema Bodenknappheit wurde als seines der Kernprobleme erkannt. Aus den gesammelten Informationen erarbeitete Julia Schmidt einen Masterplan, der darstellt, wie Hüttau in 15 bis 20 Jahren ausschauen könnte. Sie entwickelte Maßnahmen zur Ortsbelebung, die nun nicht in der Schublade landen

Touren in die Vorzeigegemeinden

Die anregenden Geschichten und Entwicklungsschritte aller Vorzeigegemeinden werden von LandLuft in einer bildreichen Publikation aufbereitet.

Zudem tourt ab sofort eine Wanderausstellung durch ganz Österreich. Aber auch Exkursionen in die Baukulturgemeinden, Vorträge und Workshops werden von LandLuft angeboten.