Fragen, die sich aus dem Durchgriffsrecht ergeben

Die gesetzliche Lage ist einigermaßen verwirrend. Antworten auf folgende Fragen stehen noch aus.

Gemäß Art. 2 Abs. 1 hat jede Gemeinde im Bedarfsfall Plätze im Ausmaß von 1,5 Prozent der Bevölkerung bereitzuhalten. Der Bedarf wird mittels Verordnung festgestellt. Was unter Bereithaltung zu verstehen ist, ist weder dem Gesetz noch den Erläuterungen zu entnehmen.

Was bedeutet „Bereithaltung“? Müssen Gemeindewohnungen freigehalten werden, Zimmer in Beherbergungsbetrieben angemietet werden? Containerdörfer errichtet werden?




Gemäß Art. 2 Abs. 3 können Gemeinden desselben Bezirks zur Erfüllung ihrer Bereithaltungspflicht Vereinbarungen über die Unterbringung und Aufteilung von Flüchtlingen treffen.

Umfasst daher die „Bereithaltungspflicht“ auch die Unterbringung und Aufteilung? Wer trägt die Kosten hierfür? Was soll bzw. kann Inhalt einer derartigen Vereinbarung sein? Soll damit ein Flüchtlingsquotenhandel à la Emissionszertifikathandel etabliert werden?




Einzige Voraussetzungen für das Durchgriffsrecht des Bundes sind, dass die betreffende Länderquote und der jeweilige Bezirksrichtwert nicht erfüllt werden.

Welchen Sinn hat eine derartige Vereinbarung, wenn sogar Gemeinden, die den Gemeinderichtwert erfüllen, nicht davor gefeit sind, von der Durchgriffskeule des Bundes getroffen zu werden?




Gemäß Art. 2 Abs. 1 sind Flüchtlinge, die in Einrichtungen des Landes oder des Bundes untergebracht sind oder versorgt werden, in den Gemeinderichtwert einzurechnen.

Welche Einrichtungen sind damit gemeint? Auch Quartiere von Privaten, von Hilfsorganisationen? Sind alle Flüchtlinge einzurechnen, die vom jeweiligen Land grundversorgt werden? Sind jene Quartiere, die auf Grundlage des Durchgriffsrechts geschaffen wurden, einzurechnen?




Wie zu erwarten war, bezieht sich die am 1. Oktober in Kraft getretene Verordnung zur Feststellung des Bedarfs (1,5 Prozent) auf alle Gemeinden und nicht nur auf Gemeinden jener Bundesländer, die ihre Quote nicht erfüllen. Daher sind alle Gemeinden per 1. Oktober verpflichtet, Plätze im Ausmaß von 1,5 Prozent ihrer Bevölkerung bereitzuhalten, österreichweit daher 127.000 Plätze. Selbst unter Anrechnung der bereits bestehenden 55.000 Quartiere müssten weitere 70.000 Quartiere bereitgehalten werden.

Weshalb eine Bereithaltung in diesem Ausmaß, wenn im Augenblick immer nur ein Bruchteil gebraucht wird?




Wenngleich im Vorfeld wie auch in der Nationalratssitzung betont wurde, dass eine Verletzung der Bereithaltungspflicht weder strafrechtliche noch Kostenfolgen nach sich zieht, so ist das weder dem Gesetz noch den Erläuterungen in der notwendigen Klarheit zu entnehmen. Einzig in den Erläuterungen wird ausgeführt, dass sich „die Rechtsfolgen der Nichterfüllung des Gemeinderichtwertes aus Artikel 3 ergeben“. Abgesehen davon, dass der Bund auch in Gemeinden, die den Richtwert erfüllen, von seinem Durchgriffsrecht Gebrauch machen kann, ist darauf hinzuweisen, dass das in Artikel 3 festgelegte Durchgriffsrecht in den Erläuterungen als „ersatzweise Vornahme“ bezeichnet wird.

Ist das als Ersatzvornahme gemäß § 4 Verwaltungsvollstreckungsgesetz zu verstehen? Müssen daher Gemeinden, die den Richtwert nicht erfüllen, die Kosten des Durchgriffs zahlen?




Anders als die Länder (Art. 15a B-VG Grundversorgungsvereinbarung) haben die Gemeinden nunmehr im Asylbereich eine gesetzliche Pflicht.

Fällt die Erfüllung dieser Aufgabe (Bereithaltung, allenfalls auch Unterbringung und Aufteilung) in den Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung oder in die Hoheitsverwaltung? Amtsmissbrauch bei Nichterfüllung?




Der Bund darf auf einem Grundstück nicht mehr als 450 Flüchtlinge unterbringen. Liegenschaften bestehen nicht selten aus mehreren Grundstücken.

Was bedeutet Grundstück? Ist damit die einzelne Parzelle gemeint? Darf der Bund daher ein Vielfaches von 450 Flüchtlingen unterbringen, wenn eine Liegenschaft aus mehreren Grundstücken besteht?




Das Durchgriffsrecht umfasst die bescheidmäßige Anordnung der Nutzung und des Umbaus von bestehenden Bauwerken sowie die Aufstellung von beweglichen Wohneinheiten auf Grundstücken unter Außerachtlassung von Bau- und Widmungsrecht. Der Bescheid ersetzt alle nach bundes- und landesrechtlichen Vorschriften vorgesehenen Bewilligungen, Genehmigungen und Anzeigen.

Wie weit geht das Durchgriffsrecht materiellrechtlich? Ist auch die Genehmigung des Kanalanschlusses abgedeckt? Ist auch die erforderliche Aufgrabungsgenehmigung außerhalb des Grundstückes für den Anschluss umfasst? Was hat zu passieren, wenn der Auslastungsgrad der Kläranlagen überschritten wird?




Dass die erlassenen Bescheide auch nach dem Außerkrafttretenszeitpunkt des Gesetzes weiterhin gelten, erscheint unter dem Blickwinkel des gänzlichen Fehlens des Rechtsschutzes und der Rechtsstaatlichkeit in dem (zuvor nicht stattgefundenen) Verfahren mehr als bedenklich.

Was passiert mit Einrichtungen auf Grundlage des Durchgriffsrechts, wenn diese hernach nicht den bauordnungsrechtlichen, bautechnischen und widmungsrechtlichen Vorgaben entsprechen?