Apostolos Tzitzikostas
Apostolos Tzitzikostas: „Europa muss sich verändern, indem es seine Regionen und Kommunen in den Mittelpunkt stellt, oder es läuft Gefahr, dass ihm von den Bürgerinnen und Bürgern an den Urnen Veränderungen aufgezwungen werden.“
© European Union / Philippe Buisson

Europa muss endlich bürgernäher werden!

Eine größere Rolle der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften wird dazu beitragen, das Vertrauen der Bürger in die EU wiederherzustellen.

Die brutale Invasion in der ­Ukraine hat uns daran erinnert, dass die 27 Mitgliedstaaten der EU trotz ihrer Unterschiede durch ihr Bekenntnis zu Frieden, gemeinsamen Grundwerten, Demokratie und Solidarität eng miteinander verbunden sind. Dennoch ist das Vertrauen der Öffentlichkeit in die EU nach wie vor gering: 

Die jüngsten Ergebnisse der französischen Präsidentschaftswahlen sind ein Moment der Erleichterung, nicht der Freude, denn 41 Prozent der Wähler stimmten für die extreme Rechte. Am 9. Mai, am Europatag, war es nach einem Jahr der Diskussionen im Rahmen der Konferenz über die Zukunft Europas an der Zeit, ehrlich darüber nachzudenken, wie die ­Arbeitsweise der EU reformiert werden kann, damit sie wirksamer, reaktionsfähiger und näher an den Menschen ist, denen sie dient.

Die Pandemie und die humanitäre Reaktion auf den Krieg in der Ukraine haben gezeigt, dass die EU in Krisenzeiten auf ihre Regionen, Städte und Dörfer angewiesen ist. Die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften der EU unterstützen Millionen von ukrainischen Flüchtlingen, indem sie ihnen Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Wohnraum, Bildung und anderen sozialen Dienstleistungen verschaffen.

Der Krieg in der Ukraine ist überdies eine Belastung für die Energieversorgungssicherheit und verschärft die Energiearmut, von der bereits mehr als 30 Millionen Europäer betroffen sind. Die Entscheidung, weiterhin russisches Gas und Öl zu kaufen, um die Stabilität zu erhalten, ist in Frage zu stellen.

Angesichts der Sorgen der Bürgerinnen und Bürger und insbesondere der jungen Menschen über den Klimanotstand kann es keine Rückkehr zu fossilen Brennstoffen geben. Den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften kommt bei der Dezentralisierung der Energieerzeugung, der Förderung von Investitionen in saubere Energie und der Finanzierung der Renovierung von Gebäuden eine wichtige Rolle zu.

Gebietskörperschaften genießen das größte Vertrauen

Seit mehr als einem Jahrzehnt zeigen Meinungsumfragen, dass die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften die Regierungsebene sind, der am meisten Vertrauen entgegengebracht wird. Der Grund dafür ist einfach: Die kommunalen und regionalen Verwaltungen sind Teil des täglichen Lebens der Menschen, sie hören ihnen zu, gehen auf ihre Bedürfnisse ein und handeln entsprechend ihren Wünschen. 

Diese Schlüsselrolle wird jedoch in den Prozessen, in denen diese Gesetze auf EU-Ebene erlassen werden, nicht angemessen berücksichtigt. Es ist an der Zeit, dass diese wichtige Rolle aufgewertet wird, und zwar durch den Europäischen Ausschusses der Regionen, der über seine derzeitige beratende Funktion hinausgehen und in Bereichen mit einer eindeutigen territorialen Dimension eine verbindliche Rolle übernehmen sollte.

Nach einem Jahr der Debatten und der guten Absichten hat die Konferenz über die Zukunft Europas gezeigt, dass die Bürgerinnen und Bürger mehr Transparenz, mehr Inklusion, mehr Nachhaltigkeit und mehr Sicherheit fordern.

Vertragsänderungen sollten kein Tabu sein

Wenn es um grundlegende Bedürfnisse wie Gesundheit, Verteidigung oder eine effizientere Entscheidungsfindung der EU geht, sollten Vertragsänderungen kein Tabu sein.

Daher ist der Vorschlag des Europäischen Parlaments für einen neuen Konvent zur Zukunft Europas eine willkommene Gelegenheit, diesen grundlegenden Wandel in der Rolle der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften und des Europäischen Ausschusses der Regionen Wirklichkeit werden zu lassen. Die Verantwortung liegt bei Europäischem Parlament, Rat und Kommission, die zahlreichen Reformvorschläge ernsthaft zu prüfen. Sie müssen transparent ­kommunizieren, welche Vorschläge wann umgesetzt werden und warum welche Vorschläge nicht umgesetzt werden. 

Europa muss sich verändern, indem es seine Regionen und Städte in den Mittelpunkt stellt, oder es läuft Gefahr, dass ihm von den Bürgerinnen und Bürgern an den Urnen Veränderungen aufgezwungen werden. Wie die EU auf den Schutz von Flüchtlingen, die Bewältigung des Klimanotstands und die wirtschaftliche Erholung nach der Pandemie reagiert, wird die Meinung der Bürgerinnen und Bürger im Jahr 2024 prägen.

Angesichts der bevorstehenden Europawahlen werden die nächsten zwölf Monate entscheidend dafür sein, bei den Menschen das Gefühl zu stärken, dass die Europäische Union für sie, ihre Familien und ihr Leben tatsächlich von Bedeutung ist. Es ist an der Zeit, dass die EU näher an ihre Bürgerinnen und Bürger heranrückt.