Runder Tisch mit EU-Logo
Die EU muss viele Wünsche unter einen Hut bringen.
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Die Quadratur des EU-Kreises

Die Landeshauptfrau von Niederösterreich will EU-Regionalförderungen auch in reichen Regionen behalten und macht persönlich Lobbying bei Kommissionspräsident Juncker. Bundeskanzler Kurz und Europaminister Blümel sind gegen eine Erhöhung des österreichischen Nettobeitrags. Die Landwirtschaftsministerin wiederum will beides: Agrarförderungen in derzeitiger Höhe und den österreichischen EU-Beitrag trotzdem einfrieren. Allein Österreichs Wunschliste verdeutlicht, wie schwierig eine Einigung über den nächsten europäischen Finanzrahmen werden dürfte.

Auf der einen Seite steht eine Gruppe von Nettozahlern, darunter Österreich, Niederlande, Dänemark und Schweden, die trotz Brexit gegen eine Erhöhung der EU-Beiträge auftreten. Auf der anderen Seite stehen unter anderem Deutschland und Frankreich, die sich eine neue Prioritätensetzung wünschen und bereit sind, dafür auch mehr zu zahlen.



Dann gibt es jene Länder, die besonders von den großen Ausgabenposten Regionalförderung/Kohäsionspolitik und Agrarpolitik profitieren und hier am besten alles beim Alten belassen wollen.



Und schließlich muss die EU-Kommission einen Vorschlag vorlegen, der es allen ein bisschen recht macht, gleichzeitig aber so realistisch ist, dass er im EU-Gesetzgebungsprozess zügig abgearbeitet werden kann. Nichts ist schlimmer als ein Haushalt, das nicht rechtzeitig beschlossen ist.



Die Quadratur des Kreises also.

Vorschlag der EU-Kommission am 2. Mai



Der konkrete Vorschlag für den mehrjährigen Finanzrahmen der Jahre 2021-2027 wird erst Anfang Mai präsentiert. Vorarbeiten und Reflexionspapiere zirkulieren aber schon seit längerem, die Staats- und Regierungschefs widmeten dem Thema im Februar einen eigenen „Leaders-Summit“.



Der mehrjährige Finanzrahmen ist klar im Zusammenhang mit der EU-Zukunftsdebatte zu sehen, denn es stellt sich natürlich die Frage, wie vorhandene Mittel möglichst effizient einzusetzen sind, welche Politikbereiche in welchem Ausmaß weiter unterstützt werden und wie auf neue Herausforderungen reagiert werden kann. Weitermachen wie bisher? Weniger, aber effizienter? Oder doch viel mehr gemeinsames Handeln?

Bundesländer wollen Erhalt der Regionalförderung in allen Regionen



Die österreichischen Bundesländer, allen voran Niederösterreich, setzen sich stark für den Erhalt der Regionalförderung in allen europäischen Regionen ein. Eine Kürzung der Struktur- und Investitionsfonds, aus denen die Regionalpolitik bedient wird, steht überdeutlich im Raum.



Hauptbetroffen wären reiche Regionen, die in Zukunft leer ausgehen könnten. Unterstützung der regionalen Wirtschaft oder die Umsetzung von Energie- und Klimaprojekten, die letztlich auch den Standortgemeinden Nutzen bringen, werden oft durch EU-Anschubfinanzierung und die Angst, EU-Förderungen zu verlieren, wenn sie nicht abgeholt werden, erleichtert. Zwar profitieren nicht alle Gemeinden vom Kuchen, der EU-Regionalentwicklungsfonds EFRE schüttet aber über 536 Millionen Euro in den Bundesländern aus, im Zeitraum 2014-2020 kommen doch beträchtliche Summen auf lokaler Ebene an.

Weniger Geld für Agrarförderung?



Ähnlich verhält es sich bei der Agrarförderung. Durch Direktzahlungen werden landwirtschaftliche Betriebe und somit Arbeitsplätze am Land unterstützt, die ländliche Entwicklungspolitik fördert unter anderem die wirtschaftliche Diversifizierung, Breitbandausbau im ländlichen Raum oder Dorferneuerung.



Ändern sich die Prioritäten auf europäischer Ebene, verschieben sich auch die Förderungen. Wenn mehr Geld für den gemeinsamen Grenzschutz, Verteidigung, den digitalen Wandel, Forschung und Innovation oder Mobilitätsprogramme wie Erasmus+ ausgegeben wird, fließt absehbar weniger in den ländlichen Raum.



Wo bisher also Wirtschaftspolitik kofinanziert werden konnte, müssen wohlhabende Regionen in Zukunft mit Attraktivität, gut ausgebildeten Fachkräften und allenfalls eigenen Förderungen punkten.

Wie lassen sich neue Prioritäten in der Praxis umzusetzen?



Leider zeigt sich, dass zwar schon intensiv über die Mittelverteilung diskutiert wird, die Grundsatzdebatten jedoch hinterherhinken.



Denn auch wenn der nächste mehrjährige Finanzrahmen modernisiert und an neue Herausforderungen angepasst wird: Es sollte vorab kritisch hinterfragt und geklärt werden, ob neue Prioritäten in der Praxis so einfach umzusetzen sind bzw. ob zweckgebundene Gelder im gewünschten Ausmaß abgerufen werden können.



Und viele Mitgliedstaaten scheinen sich nicht mit der politischen Dimension von EU-Förderungen auseinander zu setzen: Gewinnen Nettozahler mehr, wenn sie weniger einzahlen, dafür aber wichtige Förderungen verlieren? Oder könnte eine moderate Beitragserhöhung politisch sinnvoller sein, weil traditionelle Politikbereiche weiterhin bedient werden?



Hätte die englische Politik den Mut gehabt, Vor- und Nachteile der EU-Mitgliedschaft ehrlich zu kommunizieren und zu diskutieren, würde sich der Rest Europas diese Debatte womöglich ersparen. Was sich die restlichen 27 jedoch nicht ersparen sollten, ist eine mehrdimensionale Betrachtung der eigenen Mitgliedschaft, bevor die Budgetverhandlungen so richtig losgehen.



http://ec.europa.eu/budget/mff/figures/index_de.cfm



https://ec.europa.eu/commission/publications/multi-annual-financial-framework_de