Mann auf Rakete
Die Freizeitwirtschaft hofft auf ein Durchstarten nach der Krise.
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Der Tourismus wartet auf den Neustart

Tourismus- und Freizeitwirtschaft haben mit all ihren nachgelagerten Bereichen rund 15 Prozent Anteil an der Wirtschaftsleistung Österreichs. Keine Branche ist stärker von der Corona-Pandemie getroffen worden. Nachdem ein „Licht am Ende des Tunnels“ sichtbar war, hat die britische Mutation des Virus mit der Bezeichnung „B 1.1.7“ Pläne und Hoffnungen vorerst wieder zunichte gemacht. Allein mit den kommenden Impfungen scheint ein Neustart möglich. Wie die Situation derzeit aussieht und welche Möglichkeiten sich allenfalls bieten, hat sich KOMMUNAL angesehen und Tourismusministerin Elisabeth Köstinger zum Interview gebeten.

Österreichs Tourismus liegt am Boden. Der coronabedingte Lockdown hat den Fremdenverkehr in Österreich und ganz Europa einbrechen lassen – dieser Winter wird vermutlich als ein „Horrorwinter“ für den Tourismus in die österreichische Geschichte eingehen. Wie schlimm es derzeit ist, beschreibt Tourismus­ministerin Elisabeth Köstinger im Interview Mitte Jänner knapp: „Die Lage ist durch die Pandemie katastrophal!“

Interview Köstinger
KOMMUNAL-Chefredakteur Hans Braun mit Ministerin Elisabeth Köstinger und Pressesprecher Daniel Kosak.

Damit spricht sie aber nicht nur den Tourismus an, sondern auch die Gastronomie und die Veranstaltungswirtschaft. Es fehlen nicht nur dem Ferientourismus die Gäste. Keine Messen und Kongresse, keine Veranstaltungen, keine Möglichkeit zu verreisen: All das trifft nicht nur die Branche selbst existenziell, sondern auch all ihre Zulieferer, bis hin in die Landwirtschaft.

Durch den praktisch europaweiten Lockdown sind die Kontakte und die Mobilität de facto völlig  eingeschränkt – beides sind aber Grundvoraussetzungen für diese Wirtschaftszweige. „Nahezu alle Länder in Europa sind im Lockdown – und damit fehlt dem Tourismus die Geschäftsgrundlage“, so die Ministerin.

Messe- und Kongresswirtschaft rutscht in die Digitalisierung

Durch die neuerliche Verlängerung des Lockdowns, geschuldet der zunehmenden Verbreitung der deutlich ansteckenderen britischen Virusvariante B 1.1.7 auch in Österreich, wurde der Tourismuswirtschaft erneut der Boden unter den Füßen weggezogen. „Die Verlängerung des Lockdowns wird für den Tourismus zumindest bis März andauern“, so Köstinger in der Pressekonferenz der Fachminister am 17. Jänner, nur ein paar Tage nach dem Interview mit KOMMUNAL. Für die Messe- und Kongresswirtschaft beispielsweise sei es katastrophal, zusehen zu müssen, wie die ganze Branche Schritt für Schritt „in die Digitalisierung abrutscht“, so Köstinger.

Die einzige Möglichkeit, aus diesem Tal herauszukommen, sei „Zähne zusammenbeißen, zusammenhalten, durchhalten“. Köstinger meint damit die konsequente Einhaltung aller Maßnahmen, die die Regierung setzt, um die Infektionszahlen zu senken. Das ist für sie eine der drei Perspektiven, um Österreich als Tourismusland, als Kulinarikdestination und als Veranstaltungs- und Kongressland zu erhalten. Die zweite Perspektive ist: testen, testen und noch mal testen.

Tourismus-Mitarbeiter wandern ab

Am vermutlich wichtigsten ist die dritte Perspektive: die schnellstmögliche, umfangreiche Impfung der Menschen, beginnend mit den vulnerablen (verletzlichen/gefährdeten) Bevölkerungsgruppen.

Köstinger plädiert auch dafür, zusätzlich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Tourismusbetriebe so schnell wie möglich zu impfen – das sei „ein großer Wettbewerbsvorteil“. Sowieso würden immer mehr Hoteliers klagen, dass die besten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer stärker in andere Branchen abwandern. Je länger die Krise dauere, desto schlimmer werde das. Die Möglichkeit, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kurzarbeit zu schicken und damit für die Betriebe zu halten, sei hier ein wesentlicher Anreizpunkt. „Die Kurzarbeit rettet Arbeitsplätze und damit Hunderttausende Existenzen. Allein im Tourismus sind 130.000 Menschen in Kurzarbeit.“ 

Elisabeth Köstinger
Tourismusministerin Elisabeth Köstinger: „„Die Kurzarbeit rettet Arbeitsplätze und damit Hunderttausende Existenzen. Allein im Tourismus sind 130.000 Menschen in Kurzarbeit.“

Wegfall des Tourismus und der Gastronomie trifft auch Gemeinden

Nicht nur die Branche selbst, auch die Gemeinden sind betroffen. Der Wegfall des Tourismus und der Gastronomie hat die Gemeinden ebenfalls schwer getroffen. Nicht nur die Nächtigungszahlen, auch die Kommunalsteuer ist eingebrochen. Betroffen davon ist die ganze Wertschöpfungskette hinter dem Tourismus: die vielen Tausenden Klein- und Mittelbetriebe, die lokale Nahrungsmittelerzeugung und vieles mehr. Die große Frage ist, ob den Gemeinden dieses Minus irgendwie ausgeglichen werden kann.

„Wir haben mittlerweile das zweite Investitionspaket auf den Weg geschickt, das ist ja noch mal aufgestockt worden. Mit beiden Paketen haben die Gemeinden in Summe zweieinhalb Milliarden Euro zur Verfügung, die sie abrufen können. Auch der Strukturfonds, der kleinen Gemeinden mit geringer Finanzkraft zur Verfügung steht, ist mit 100 Millionen gefüllt. Das sind aber meistens nicht die großen Tourismusgemeinden“, wie die Ministerin auch einräumt.

Fehlende Ertragsanteile werden ersetzt

Das ist auch ein klares Bekenntnis zu den Gemeinden. Die fehlenden Ertragsanteile werden damit ersetzt – gemeinsam mit dem Liquiditätszuschuss, der Teil des zweiten Gemeindepakets ist, seien das entscheidende Unterstützungsmaßnahmen. Zentraler Punkt sei aber, und das betont die Ministerin, so gut wie möglich aus der Krise herauszukommen, damit der Neustart des Tourismus Fahrt aufnehmen kann.

Dass die Gemeinden die Möglichkeit annehmen, mit Investitionen für die Wirtschaft Anreize zu setzen, ist aus den Rückmeldungen des ersten Gemeindepakets ersichtlich. 2481 Projekte aus den Gemeinden sind bislang genehmigt (Stand: 15. Jänner), 262 Millionen Euro sind ausbezahlt, rund 730 Millionen sind noch verfügbar, Förderungen können noch bis 31. Dezember 2021 beantragt werden.

Die Rückmeldungen, so die Ministerin, seien sehr positiv, vor allem, weil es keine neuen Projekte sein müssen, sondern auch bestehende Projekte gefördert werden können, und weil nahezu alles möglich ist, vom Straßenerhalt bis hin zur Sanierung von Gebäuden oder der Anschaffung neuer Gerätschaften am Bauhof. 

Können sich Gemeinden breiter aufstellen? Und wenn ja, wie?

Vor allem in Westösterreich gibt es viele Gemeinden, deren (nahezu) einziges wirtschaftliches Standbein der Tourismus ist. Welche Chancen sieht die Ministerin für diese Gemeinden, sich breiter aufzustellen?

Es gibt bereits jetzt viele Kooperationen mit der lokalen und regionalen Nahrungsmittelversorgung. Aber klar ist, dass der Tourismus einer der wesentlichen Wirtschaftsfaktoren im ländlichen Raum ist. Große Industriegebiete werden vielleicht in Einzelfällen eine Option sein, aber sehr viele Gemeinden im ländlichen Raum leben vom Tourismus.

Der Tourismus ist ja auch nicht nur das einzelne Hotel oder die einzelne Pension, es ist die riesige Wertschöpfungskette dahinter. Von den Gästen leben auch der Friseur im Ort, die Bäckerei, die Zulieferfirmen bis hin zu den Bauern, die Fleisch, Milch, Eier, Obst und vieles mehr liefern. Wenn man das alles zusammenrechnet, ist der Tourismus ein so wichtiger Strukturfaktor in unserem Land wie keine andere Branche. „Wir werden alles tun, um Österreich nach dieser Krise an alte Erfolge heranzuführen“, betont Köstinger.

Viel hängt von den ausländischen Gästen ab

Die Krise trifft nicht nur Österreich. Solange sich praktisch ganz Europa im Lockdown befindet, wird sich nicht viel ändern. Abstimmungsgespräche vor allem mit deutschen und europäischen Stellen finden laufend statt, damit gemeinsam ein Weg aus der Krise gefunden wird. Allerdings ist die Situation in anderen Länder, wo der Tourismus regional stark ist, etwas anders. In Österreich macht der Tourismus 15 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung aus.

Vor allem die britische Mutation des Virus hat viel Unsicherheit in die künftigen Schritte gebracht. Aber nicht einmal Gesundheitsexperten können verlässlich abschätzen, wie sich die britische Variante B 1.1.7 entwickeln und welche Auswirkungen sie haben wird. Zumindest laut den Herstellern der zugelassenen Impfstoffe helfen diese aber auch gegen diese neue Variante des Virus. Allerdings ist auch eine weitere Mutation aufgetaucht, die vor allem in Brasilien und Japan grassiert. Über diese Mutation ist noch weniger bekannt.

Vor allem die Antigen-Tests können kurzfristig Erleichterung bringen, aber der große Durchbruch, der „Gamechanger“, wird die Impfung sein. Damit wird es schon im Sommer 2021 massive Erleichterungen geben, ist die Ministerin überzeugt. Vor allem die Option, bei wärmerem Wetter wieder mehr Aktivitäten im Freien abzuhalten, wird hier Entspannung bringen, wie schon der Sommer 2020 gezeigt hat. Das werde heuer ähnlich sein. „Wir haben schon im letzten Sommer gezeigt, dass man sicheren Tourismus gewährleisten kann, unter anderem auch mit großflächigen Testungen unter den Mitarbeitern.“

„An der Stelle auch ein großes Danke an die Gemeinden und die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die in den vergangenen Monaten sehr viel geleistet haben, nicht nur was den Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern betrifft, sondern auch in Bezug auf die Organisation der Massentests und die Unterstützung und die Vorbereitung der Impfungen“, so Köstinger. „Millionen Testungen wurden mithilfe der Gemeinden und ihrer Freiwilligen gemacht. Ohne die Kommunen und das Ehrenamt könnten wir diese Krise nicht bewältigen.“

Jobs im Tourismus attraktiver machen

Die Arbeitslosenzahlen sind besonders im Tourismus sehr hoch. In vielen Gebieten Österreichs ist der Tourismus von Arbeitskräften aus dem Ausland abhängig. Wäre das nicht eine Chance für österreichische Arbeitsuchende?

„Gerade die Frage der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat uns im Tourismus schon vor der Pandemie stark beschäftigt, und das wird auch weiter so bleiben“, bekräftigt Köstinger. Hier sei die Kurzarbeit eines der wirksamsten Instrumente, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Im Sommer hatte Österreich in manchen Regionen sehr gute Auslastungen, vor allem im Osten und im Süden, hier war aber die Nachfrage nach Mitarbeitern riesig. „Aus der Kurzarbeit heraus kann man Mitarbeiter viel schneller wieder aktivieren, auch stufenweise – das ist gerade in dieser Branche extrem wichtig.“

Unwidersprochen sei aber, so Köstinger, dass es in Zukunft sehr wichtig sein werde, die Jobs im Tourismus zu attraktivieren und mehr Bewusstsein für die schönen Berufe zu schaffen, in denen man den Servicegedanken und die Gastlichkeit, die Österreichs Tourismus ausmachten, umsetzen könne. „Jemand kann das schönste Hotel besitzen, mit den modernsten Zimmern und dem besten Wellness-Bereich – wenn er keine Mitarbeiter hat, die Gäste gerne bewirten, Herzlichkeit ausstrahlen und eine Leidenschaft für ihren Beruf haben, dann wird er nicht erfolgreich sein.“

Chance für sanften Tourismus

Was ist mit dem „kleinen“ Tourismus, dem „sanften“ Tourismus, wie es oft auch heißt? Oder anders gefragt: „Um welchen Gast wollen wir uns bemühen?“ Könnte die Epidemie auch eine Chance für eine Abkehr vom Massentourismus und eine Hinwendung zu individuelleren Formen des Tourismus sein?

„Absolut“, so Köstinger, „wir müssen jetzt die Weichen für die Zukunft richtig stellen. Was uns nicht passieren darf, ist, dass aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation ein Dumping-Wettbewerb einsetzt, der dann zulasten der Qualität im Tourismus geht. Österreich als Tourismusland war und ist erfolgreich, weil wir mit Qualität punkten.“

Gerade wir in Österreich müssten uns jetzt auf unsere Stärken im Tourismus besinnen, wir müssten alles dafür tun, den Qualitätstourismus weiterzuentwickeln. „Jetzt ist die Frage: Um welchen Gast der Zukunft wollen wir uns bemühen? Wenn es rein nur die Masse ist, wird die Qualität massiv darunter leiden,“ so Köstinger. Aktuell arbeitet ihr Ministerium gemeinsam mit der Österreich-Werbung und den Bundesländern ein Zukunftskonzept aus.

Was unser Bild nach außen betrifft, habe der österreichische Tourismus einen enorm guten Ruf, weil die Qualität so hoch ist. Und genau diese Qualität dürften wir nicht verspielen. Die österreichische Tourismus-Kombination aus Natur, Landwirtschaft, Regionalität biete im Gegensatz zu vielen Billig-Destinationen eine Chance, die Österreich weiter nutzen müsse.

Urlaub im eigenen Land

„Die Corona-Pandemie hat wahrscheinlich bei vielen Menschen die Überzeugung ausgelöst, dass man sich wieder auf die ursprünglichen Werte besinnen sollte“, so Köstinger. Das „Immer schneller, immer höher, immer mehr“, das in den letzten Jahrzehnten unser Leben bestimmt habe, sei abrupt durchbrochen worden. „Dieses Besinnen auf das Wesentliche, auf unsere Grundwerte, aber auch auf unseren Stolz auf das, was wir als Land sind, gibt uns eine gute Basis für die Zukunft“, ist Köstinger überzeugt. „Viele Menschen haben im letzten Sommer gesehen, wie wunderschön Urlaub im eigenen Land ist, wie vielfältig und liebenswert Österreich und seine Naturlandschaften sind.“

Gerade da seien aber die Regionen gefragt. So könnte die Entscheidung, ob eine neue Skipiste durch den Wald gebaut wird, nur vor Ort oder in der Region getroffen werden. Diese Fragen müssten gemeinsam mit den Menschen vor Ort besprochen und entwickelt werden – im Einklang mit strengen Vorgaben des Naturschutzes.

Das europäische LEADER-Programm verfolgt hier nach Ansicht Köstingers genau den richtigen Ansatz: „Hier wird gemeinsam in die Zukunft gedacht.“ Und das müsse nicht zentralistisch angegangen werden, sondern in der Region mit den Verantwortlichen und den Menschen gemeinsam.

Bewusstsein für regionale Produktion ist gestiegen

Die Krise hat immer wieder die Frage der Nahrungsmittelversorgung aufgeworfen, vor allem dort, wo Österreich von Lieferungen aus dem Ausland abhängig ist. Hat sich durch die Krise diese Situation gebessert?

Köstinger: „Das Bewusstsein für regionale Produktion ist stark gestiegen, auch der Zuwachs bei den Ab-Hof-Verkäufen oder auch bei der Direktvermarktung über das Internet war massiv. Das zeigt, dass die Bevölkerung in Österreich mehr Bewusstsein für die Landwirtschaft und die eigene Produktion von Nahrungsmitteln entwickelt hat. Wir haben versucht, dieses Momentum mit der Initiative dasisstoesterreich.at zu nutzen. Hier können Bauern, Wirte und Manufakturen, aber auch Bäcker und Fleischer, ihre Produkte auf einer Plattform anbieten.

Auch der Breitbandausbau hat da sehr ge­holfen. Zu Beginn der Pandemie wurde mit frischzumir.at ein digitaler Bauernmarkt geschaffen, wo man bei den bäuerlichen Direktvermarktern direkt bestellen kann. Das ist oft in Stunden ausverkauft, auch daran lässt sich die Beliebtheit ablesen.“