Straßenbahn zur PlusCity
Mobilitätsleitbilder wie „KUMM STEIG UM“ für die Region Linz sollen zu einer besseren Kooperation von Stadt und Umlandgemeinden führen.
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Der Ticketpreis allein ist nicht entscheidend

30. November 2020
Was darf der öffentliche Verkehr kosten? Wie viel ein Jahresticket für das gesamte Bundesgebiet? 3600 Euro wie in der Schweiz? Oder „nur“ 1095 Euro, wie für Österreich ab 2021 geplant? Dieser Frage ging ein kompetent besetztes Podium bei einem digitalen Forum der Mobilitätsplattform GSV nach.

Einig waren sich die Diskussionsteilnehmer, dass der Preis allein nicht entscheidend ist. Um die Autofahrer zum Umsteigen auf die Öffis zu bringen, muss in die Qualität der Öffis weiter investiert werden: in die Ausstattung der öffentlichen Verkehrsmittel, die Verkürzung der Wartezeiten, die Taktung der Fahrpläne und auch in die Verlässlichkeit.

GSV-Forum
1. Zeile: Ueli Stückelberger, (Verband öffentlicher Verkehr, Schweiz), Mario Rohracher (GSV), Günther Knötig (Land OÖ)
2. Zeile: Allegra Frommer (Salzburger Verkehrsverbund), Günther Steinkellner (OÖ Infrastruktur-Landesrat), Friedemann Brockmeyer (Civity Management Consultants)
3. Zeile: Alexandra Reinagl (Wiener Linien), Herbert Kasser (Generalsekretär BMK)

Die Konsequenz: Die Finanzierung des öffentlichen Verkehrs wird mehr Mittel erfordern. Auch deshalb, weil die Umsetzung der „Clean Vehicle Directive“ der EU den öffentlichen Verkehr deutlich verteuern wird. Durch den vermehrten Einsatz batteriebetriebener Busse etwa werden wegen der geringeren Reichweite mehr Fahrzeuge und damit mehr Personal erforderlich und man braucht eine eigene Ladeinfrastruktur. Die öffentliche Hand wird deshalb nach neuen Finanzierungsquellen Ausschau halten müssen.

Oberösterreichs Infrastruktur-Landesrat Günther Steinkellner in seinem Eröffnungsstatement: „Unsere Landeshauptstadt Linz hat mehr Beschäftigte als Einwohner, der Ausbau der Straßenkapazität stößt an Grenzen, also müssen wir den öffentlichen Verkehr ausbauen. Was aber hat dabei Priorität? Meiner Meinung nach eher eine Entflechtung der Verkehrsströme, beispielsweise durch ein günstiges Ticket außerhalb der Stoßzeiten, als das 1-2-3-Ticket!“

Unterschiedliche Anforderungen in Stadt und Land

Günther Knötig, Leiter von Gesamtverkehrsplanung und ÖV in Oberösterreich, verwies auf die höchst unterschiedlichen Erfordernisse zwischen dicht besiedelten Ballungsgebieten und dem ländlichen Raum. Deshalb seien gemeinsame Ziele und die Kooperation von Gemeinden, Städten und dem Land für den Umsetzungserfolg von Mobilitätsleitbildern wie „KUMM STEIG UM“ für die Stadtregion Linz unverzichtbar. Kerninhalt des Leitbildes: Umstieg auf nachhaltige Mobilitätsformen, bei denen vor allem die angebotene Qualität stimmen muss. Aber dennoch, nicht zu vergessen: „Auch der ÖV braucht gut ausgebaute und sichere Straßen!“

Friedemann Brockmeyer (Civity Management Consultants) berichtete über die aktuelle Situation in Deutschland. Die Bundesregierung habe sich extrem ambitionierte Ziele gesetzt wie z. B. die Verdoppelung der Nachfrage nach Öffis bis 2030 und auch die Finanzierungsbereitschaft dazu erklärt, in der Praxis drohe allerdings eine strukturelle Unterfinanzierung. Bei der Nutzerfinanzierung sei die Grenze bereits erreicht. Dazu kommt aktuell die Corona-Krise, die zu Einnahmenausfällen im ÖV von 10 bis 35 Milliarden Euro bis 2030 führen wird. Brockmeyer: „Ich sehe im Moment sogar den Status quo, die Erhaltung des Bestandsangebots, gefährdet!“

Die Schweiz setzt nicht auf Billig-ÖV

In der Schweiz hat die Nutzung des ÖV nach dem Sommer nach dem coronabedingten Einbruch wieder zugenommen. Ueli Stückelberger, Direktor des Schweizer Verbandes öffentlicher Verkehr: „Wir sind ein Land von Abonnenten.“

Rund eine halbe Million Schweizer haben ein Generalabo (Jahreskarte) um 3600 Euro, 2,5 Millionen (rund ein Drittel der Bevölkerung!) ein Halbtaxabo um 150 Euro, mit dem man alle Tickets zum halben Preis kaufen kann. „Wir setzen bewusst nicht auf Billig-ÖV“, viele Abonnenten nutzen, betriebswirtschaftlich gesehen, das Generalabo gar nicht aus, wissen aber den Komfort zu schätzen, einzusteigen, ohne über das richtige Ticket nachdenken zu müssen. Die Finanzierung erfolgt je zur Hälfte durch die Nutzer und die Steuerzahler.

Herbert Kasser, Generalsekretär im BMK, betonte vor allem die seit Jahren hohen Investitionen Österreichs in den öffentlichen Verkehr. „Wir investieren in den nächsten sechs Jahren 17,5 Milliarden Euro. Das ist in Österreich in etwa das Dreifache, was wir auf der Straße investieren. Die Priorität des öffentlichen Verkehrs ist unbestritten. Da stehen alle politischen Kräfte des Landes dahinter!“

Dennoch wolle man das ÖV-Angebot in den kommenden Jahren nochmals um 50 Prozent steigern und aus Bundessicht auch finanzieren, also von 800 Millionen Euro auf 1,2 Milliarden Euro in der nächsten Verkehrsdiensteperiode erhöhen. Zum 1-2-3-Ticket verwies Kasser auf das Regierungsprogramm. „Die Stufe 3, die uns rund 150 Millionen Euro pro Jahr kosten wird, kommt 2021, eventuell schaffen wir aber auch noch eine weitere Stufe. Es gibt derzeit Rückenwind für den ÖV, den sollten wir nutzen.“

Wien: 365-Euro-Jahresticket brachte kaum Neukunden

Alexandra Reinagl, Geschäftsführung der Wiener Linien, appellierte, nicht immer nur über den Ticketpreis zu reden. „Das 365-Euro-Jahresticket war gut fürs Marketing, hat aber kaum Neukunden gebracht, es kam vor allem zu Umschichtungen. Und jetzt kleben wir preispolitisch an diesem plakativen 365-Euro-Preis.“ Dabei sei nicht der Preis, sondern das Angebot das Wichtigste.

Ein Erfolg wurde das Ticket durch die gleichzeitige Angebotsverbesserung: „Wenn das Angebot stimmt, ist der Kunde auch bereit, einen angemessenen Preis zu bezahlen.“ Außerdem werde es ohne bewusste Erschwernisse für den Individualverkehr auf Dauer nicht gehen: „Es braucht alle Mobilitätsformen, nicht unbedingt ein eigenes Auto!“

Salzburg: Auch Anforderungen von Touristen berücksichtigen

Üblicherweise hätten Verkehrsverbünde komplizierte Tarifsysteme, die dem Umstieg auf den ÖV im Wege stehen, diagnostizierte Allegra Frommer, Geschäftsführung des Salzburger Verkehrsverbundes. Dieses Hindernis habe man im Land Salzburg, wo es durchaus einen Nachholbedarf beim ÖV-Ausbau gegeben habe, mit einer Salzburger Variante des 1-2-3-Tickets aus dem Weg geräumt und damit auch Neukunden überzeugen können. Speziell im Tourismusland Salzburg sei auch wichtig, beim Ticketsystem und bei den Fahrplänen die unterschiedlichen Anforderungen von Urlaubsgästen und Wohn­bevölkerung zu berücksichtigen.

Mario Rohracher, Generalsekretär der GSV, hielt abschließend fest, dass aktuelle und angedachte preisliche Vergünstigungen keinesfalls notwendige Infrastrukturinvestitionen in den Öffentlichen Verkehr gefährden dürften. Bei Erbringen einer hochwertigen und zuverlässigen Dienstleistung, gerade auch auf dem Land, dürften die ÖV-Kunden bereit sein, einen angemessenen Mehrpreis zu bezahlen - die Schweiz sei dafür ein gutes Beispiel.  

Video zur Ver­anstaltung unter www.gsv.co.at.