Norbert Totschnig
Norbert Totschnig: „Eine Erkenntnis ist, dass das Zusammenspiel von Bund, Ländern und Gemeinden entscheidend ist, damit Prozesse funktionieren können.“
© KOMMUNAL/Thomas Max

Regionalpolitik

Der Lebensraum Land muss auch leistungsfähig sein

KOMMUNAL sprach mit Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig über seine Regionenstrategie, die Pläne für einen Blackout und über die Probleme von zu viel und zu wenig Wasser.

Sie haben kürzlich eine neue Regionenstrategie vorgestellt. Was beinhaltet die Strategie?

Norbert Totschnig: Mit der Regionenstrategie wollen wir eine Initialzündung für einen neuen Aufbruch in den Regionen geben. Sie enthält drei Themenbereiche:

Erstens: Lebensräume nachhaltig gestalten. Hier geht es um lebendige Ortskerne, Bewusstseinsbildung für Baukultur oder auch um die Wichtigkeit landwirtschaftlicher Flächen und Bodenverbrauch reduzieren.

Zweitens: Lebensräume leistungsfähig gestalten. Hier geht es darum, regionale Wirtschaftskreisläufe und die Innovationsfähigkeit zu stärken, Arbeitsplätze zu schaffen, die holzbasierte Bioökonomie weiterzuentwickeln oder generell neues Arbeiten und Wirtschaften zu ermöglichen.

Drittens: Lebensräume attraktiv gestalten: Dazu gehören Daseinsvorsorge, die Sicherung der regionalen Lebensmittelversorgung, der Schutz vor Naturgefahren, verbesserte Betreuungs- und Bildungsangebote oder auch Unterstützung für freiwilliges Engagement

Zu der Strategie haben sie auch eine österreichweite Dialogtour gemacht. Was sind die Erkenntnisse aus dieser Tour?

Eine Erkenntnis ist beispielsweise, dass das Zusammenspiel von Bund, Ländern und Gemeinden entscheidend ist, damit Prozesse funktionieren können. Wir haben bei der Tour Gespräche mit zahlreichen Interessierten, mit Expertinnen und Experten, mit Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern sowie mit Menschen, die für innovative Ideen bekannt sind, geführt und Best-practice-Beispiele gesammelt. Die Dialogtour war das Herzstück der Initiative „MEINE REGION – Heimat. Zukunft. Lebensraum“, die Regionenstrategie ist das Ergebnis.

Wir werden jetzt eine Dialog-Plattform einrichten, damit sich Menschen besser vernetzen und voneinander lernen können. Denn es gibt in ganz Österreich bereits viele gute Initiativen, die aber wenig bekannt sind. Wir wollen sie anderen Regionen zugänglich machen.

Wie soll das erfolgen?

Auf der Homepage unserer Initiative www.meine-regionen.at gibt es die Regionenstrategie und laufend aktuelle Informationen wie auch Mitmachmöglichkeiten. Der nächste Schritt ist, Best practice Beispiele vorzustellen und zu vernetzen. 

In den Regionen und Gemeinden gibt es enorm viele engagierte Menschen, die wissen wollen, welche neuen Ansätze es gibt und was bereits umgesetzt wurde. Diese Menschen wollen wir unterstützen.

Unter Minister Rupprechter wurde der Masterplan für den ländlichen Raum beschlossen. Seither hört man wenig davon. Wird der Plan umgesetzt?

Die Initiative „Meine Region – Heimat. Zukunft. Lebensraum.“ mit der Dialogtour und der Regionenstrategie verstehen sich als Weiterentwicklung auf der guten Basis des Masterplans. Vor allem die Corona-Pandemie hat neue Anforderungen in und für Regionen aufgezeigt. Der nächste Schritt ist dann die Vernetzungsplattform.

Helmut Reindl und Norbert Totschnig
KOMMUNAL-Redakteur Helmut Reindl im Gespräch mit Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig.

Welche Pläne haben Sie noch, um den ländlichen Raum weiter zu stärken?

Mein Ministerium ist zuständig für die Koordinierung der EU-Regionalpolitik. Im Oktober habe ich das neue Programm gemeinsam mit EU-Kommissarin Elisa Ferreira in Wien vorgestellt. Bis 2027 stehen 600 Millionen Euro an EU-Mitteln zur Verfügung. Dazu kommen weitere 300 Millionen an nationaler Ko-Finanzierung. Dieser Betrag wird von privaten Projektträgern verdoppelt, sodass insgesamt 1,8 Milliarden Euro verfügbar sind.

Damit sollen Beschäftigung und Produktivität im ländlichen Raum gestärkt werden. Ein wichtiger Punkt ist die Transformation der Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität. Der dafür vorgesehene Betrag aus dem 600-Millionen-Euro-Topf wird über den neuen Just Transition Fund finanziert. Für Österreich hat die Europäische Kommission Gebiete in Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich und der Steiermark als solche Gebiete genehmigt, um Unternehmen bei der Transformation zu unterstützen.

Darüber hinaus gibt es im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik unter anderem Mittel für die Ortskernerneuerung oder für soziale Dienstleistungen. Für letztere stehen in dieser Periode 65 Millionen Euro zur Verfügung. Für LEADER-Projekte stehen 210 Millionen Euro bereit. Hier wurden die Mittel auf 42 Millionen Euro pro Jahr aufgestockt, und wir wissen, dass die LEADER-Regionen sehr initiativ sind.

Das Thema Blackout ist derzeit in aller Munde. Gerade in kleineren Gemeinden, wo es ohnehin keinen Nahversorger gibt, könnte es bei einem großflächigen Stromausfall schnell zu Engpässen kommen. Gibt es dafür Pläne?

Ende November habe ich gemeinsam mit Bundesministerin Gewessler zu einem Runden Tisch geladen, bei dem auch Vertreter des Innen-, des Verteidigungs- und des Wirtschaftsministeriums, der Nationalbank, des Gemeindebunds, des Städtebunds, der Wirtschaftskammer und des Lebensmitteleinzelhandels anwesend waren.

Es wurden dabei Maßnahmen für die präventive Blackout-Vorsorge besprochen und ein Plan festgelegt, was in den ersten drei Tagen eines sehr unwahrscheinlichen Blackouts zu tun wäre.

Außerdem arbeiten wir derzeit daran, das Lebensmittelbewirtschaftungsgesetz zu aktualisieren. Ziel ist es, den Anwendungsbereich des Gesetzes auf den Fall eines Blackouts auszuweiten.

Ein wichtiges Thema für Gemeinden ist die Siedlungswasserwirtschaft. Was sind hier Ihre Pläne?

Bei den Budgetplanungen ist es gelungen, dass zusätzlich 100 Millionen Euro für die Siedlungswasserwirtschaft zur Verfügung gestellt werden. Damit sollen Projekte für die Anpassung an den Klimawandel unterstützt werden. Denn um auf die zunehmende Trockenheit reagieren zu können, ist es wichtig, etwa neue Trinkwasserbehälter und Verbundleitungen zu bauen. Die Nachfrage aus den Gemeinden ist sehr groß.

Der Klimawandel führt zu immer häufigeren Hochwasserereignissen. Gibt es eine bundesweite Planung, um Gemeinden zu unterstützen, den Hochwasserschutz auszubauen?

Es gibt einerseits eine bundesweite Planung für den Hochwasserschutz und andererseits gibt es die Gefahrenpläne der Wildbach- und Lawinenverbauung, die laufend aktualisiert werden.

Das letzte Jahr hat gezeigt, wie wichtig Schutzbauten sind. Ich denke da etwa an das Hochwasser im Kärntner Gegendtal oder an die Unwetter in Tirol. Hätte es da keine Sperren und Rückhaltebecken gegeben, wären die Schäden viel größer gewesen. Jeder Euro, den wir in den Hochwasserschutz investieren, ist eine Investition in mehr Sicherheit.

Wie sieht es mit dem Rückbau von Flüssen aus, um Hochwasser-Katastrophen zu verhindern?

Der Bund stellt den Bundesländern Mittel für gewässerökologische Maßnahmen zur Verfügung. Ministerium und Länder haben gemeinsam erhoben, wo Bedarf besteht. Die Entscheidung, wo genau investiert wird, ist daher auch gemeinsam zu treffen. Es bedarf aber auch des Engagements der Gemeinden.

Immer öfter werden Photovoltaikanlagen auf landwirtschaftlichen Flächen errichtet, obwohl es dafür auch Dachflächen gebe. Manche Gemeinden, wie etwa wehren sich bereits gegen den Ausbau von Agro-PV. Was wäre aus Ihrer Sicht der richtige Weg?

In erster Linie sollen bestehende Dachflächen genutzt werden. Da gibt es in der Landwirtschaft noch viel Potenzial.

Zum Zweiten sollten bereits versiegelte Flächen genutzt werden. Also etwa Parkplätze oder entlang von Autobahnen.

Und drittens sollten die Möglichkeiten von Agri-Photovoltaik genutzt werden. Darunter versteht man die gleichzeitige Nutzung landwirtschaftlicher Flächen für die Nahrungsmittelproduktion und für die Stromerzeugung. Dabei dürfen maximal sieben Prozent der Fläche verbraucht werden. Der Abbau der Anlagen muss vollkommen rückstandsfrei möglich sein. Damit ist eine echte Zweinutzung möglich und effizient. Ein Beispiel dafür ist das „Sonnenfeld“ in Bruck an der Leitha.

Sie wollen auch die Biodiversitätsstrategie voranbringen – was bedeutet das für die Gemeinden?

Die zuständige Bundesministerin Gewessler hat kürzlich die „Biodiversitätsstrategie Österreich 2030+“ vorgestellt.

Als Landwirtschaftsministerium haben wir bei der Erarbeitung der Strategie eingebracht, wie und wo unsere heimische Land- und Forstwirtschaft weiterhin ihren Beitrag leisten kann. Denn unsere Bäuerinnen und Bauern sind Vorreiter bei der Biodiversität.
Das ist unter anderem deswegen möglich, weil es seit dem EU-Beitritt ein Agrar-Umweltprogramm gibt, an dem fast 80 Prozent unserer bäuerlichen Familienbetriebe teilnehmen.

Außerdem werden bei uns bereits 26 Prozent der Flächen biologisch bewirtschaftet, damit ist Österreich Europameister. Mit der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik werden die Biodiversitätsflächen zudem von 150.000 Hektar auf 230.000 Hektar ausgeweitet.