Der Baum als Gefahr
In den letzten Jahren hat sich die Zahl der Schadenersatzverfahren im Zusammenhang mit Schäden, die durch umstürzende Bäume oder herabfallende Äste verursacht wurden, deutlich erhöht. Höhere Gewalt und damit ein schadenverursachendes Ereignis, das in der Natur der Sache liegt und dessen Geschehen unabwendbar ist, gibt es nicht mehr.
Man kann zwar darüber streiten, ob die Rechtsprechung strenger oder weniger streng geworden ist, doch das ändert nichts daran, dass jeder, der Halter eines Baums ist, damit rechnen muss, dass er eines Tages haftungsrechtlich in Anspruch genommen wird.
Dass heute wegen „jedem und allem“ die Gerichte angerufen werden, hat mehrere Gründe: Rechtsschutzversicherungen, fehlende Eigenverantwortung, fehlendes Verantwortungsbewusstsein, Bildungs- und Erziehungslücken. Auch die Tatsache, dass die Rechtsprechung seit vielen Jahren einen Baum mit einem Gebäude gleichsetzt und damit die verschärfte Haftung des Gebäudehalters auf Baumhalter anwendet, trägt ihren Teil dazu bei.
Im Wesentlichen ist an drei Stellschrauben zu drehen:
- Der Bürger muss wissen, wie er sich zu verhalten hat (Aufklärung).
- Der Baumhalter muss wissen, was er wann zu tun hat (Information).
- Gesetz: Hier bedarf es insbesondere einer Abschaffung der Beweislastumkehr.
Wie in anderen Bereichen haben auch im Bereich der Baumgefahren die Eigenverantwortung und das Verantwortungsbewusstsein des Bürgers in den letzten Jahren und Jahrzehnten deutlich abgenommen. Eigenständiges Denken wurde durch die Erwartungshaltung zurückgedrängt, dass in allen Lebenssachverhalten und Eventualitäten für die Sicherheit gesorgt wird. Dieser negative Trend lässt sich nur durch Bildung, Erziehung, Aufklärung und Sensibilisierung umkehren.
Aber auch der Baumhalter muss wissen, dass er als Baumhalter Verantwortung zu tragen hat. Problematisch ist, dass es – abseits von Vorgaben, die die Rechtsprechung (jedoch immer nur auf den Einzelfall bezogen) festgelegt hat, und kostenpflichtigen ÖNORMEN, die kaum bekannt sind – keine praktikablen Leitfäden gibt, die aufklären, welcher Baumhalter hinsichtlich welcher Bäume was wann wie zu tun hat.
Aufgrund der Unsicherheit haben Baumsicherungsmaßnahmen in den letzten Jahren deutlich zugenommen (Baumkataster, Bestandserhebung, Bestandskontrolle, Sichtkontrolle, GIS-Anwendungen, Einzelbaumprüfung, Bohrwiderstandsmessungen, Schalltomografien etc.).
Zu betonen ist, dass all diese Maßnahmen zunächst von jenen Baumhaltern getroffen wurden, die den Sachverstand, das Personal und die Ressourcen haben. Diese Entwicklung führte dazu, dass sich ein „Stand der Technik“ herausgebildet hat, der wie so oft in ÖNORMEN seinen Niederschlag gefunden hat. Trefflich streiten ließe sich über die Frage, ob die einschlägigen ÖNORMEN tatsächlich den „Stand der Technik“ oder aber doch den „Stand des technisch Möglichsten“ abbilden.
Tatsache ist, dass zunehmend auch all jene den (noch dazu) immer strenger werdenden Vorgaben unterliegen, die weder Sachverstand, eigenes Personal oder Ressourcen haben. Diese sind angewiesen, für Baumsicherungsmaßnahmen Dienstleistungen Dritter teuer zuzukaufen.
Dieser Kostendruck, gepaart mit der Haftungsangst, führt letzten Endes zu dem aus Sicht vieler Baumhalter einzig möglichen Ergebnis: Fällung.
Als paradox und absurd zugleich ist es zu werten, dass inzwischen mehr Unfälle mit Personenschäden durch Kontroll-, Untersuchungs- und Baumpflegemaßnahmen zu verzeichnen sind als durch umstürzende Bäume oder herabfallende Äste. Daraus folgt, dass das Mittel (Baumpflege) zum Zweck (Gefahrenbeseitigung) eine größere Gefahr darstellt als die Gefahr, die man beseitigen möchte (!).
Wie entzieht man sich der Haftung?
Im Wesentlichen hat ein Baumhalter drei Möglichkeiten, sich der haftungsrechtlichen Problematik zu entziehen:
- Er hält alle (zunehmend rigider werdenden) Vorgaben, Regularien, teils normierten (ÖNORMEN), teils von der Rechtsprechung festgelegten Standards ein – das geht mit einem vielfach unerträglichen Aufwand und hohen Kosten einher („Kostenängste“),
- er unterbindet die vermeintliche Gefahr, die von einem Baum ausgeht, mit einem „Betretungsverbot“ (Sperren, Abzäunungen), wobei das nur sehr eingeschränkt möglich und zudem wiederum mit Unsicherheiten verbunden ist,
- oder er entledigt sich dieses Problems durch sogenannte Angstschnitte, die durch Haftungs- und Kostenängste ausgelöst werden.
Neben einer Aufklärung des Bürgers und einer Information des Baumhalters bedarf es aber auch legistischer Maßnahmen, so vordergründig einer Abkehr von der Beweislastumkehr des Baumhalters.
Es ist nicht nachvollziehbar, weswegen entgegen den allgemeinen Schadenersatzregelungen nicht der Geschädigte, sondern der Baumhalter den Nachweis zu erbringen hat, dass er alle erforderlichen Maßnahmen getroffen und nicht schuldhaft gehandelt hat. Dass diese verschärfte Haftung bei Gebäudehaltern Anwendung findet, ist durchaus gerechtfertigt, wenngleich man auch da – vor allem mit Blick auf denkmalgeschützte Gebäude, die vielfach gar nicht den „Stand der Technik“ erfüllen können – Einschränkungen überlegen sollte. Ohne Zweifel ist aber ein Baum nicht mit einem Gebäude gleichzusetzen.
Ziel sollte es jedenfalls sein, der Entwicklung Einhalt zu gebieten, dass aus Kostengründen und aus Sorge vor straf- und zivilrechtlichen Folgen Bäume gefällt oder ruinös zurechtgeschnitten werden. Gleichzeitig sollten Unfälle mit Personenschäden hintangehalten werden.
Baumhaltern Kosten- und Haftungsängste nehmen
Das Mittel zur Zielerreichung muss ein Maßnahmenmix sein und kann nicht nur aus einer einzelnen Maßnahme bestehen. Um diese negative Entwicklung zu stoppen, sind strategische, organisatorische, informative, aber auch gesetzliche Maßnahmen erforderlich. Neben einer Aufklärung des Bürgers ist es wichtig, den Baumhaltern die Kosten- und Haftungsängste zu nehmen. Letzteres muss im Wege einer Gesetzesänderung (Wegfall der Beweislastumkehr) und im Wege praktikabler Leitfäden erfolgen, die Information über kostenschonende, baumerhaltende Maßnahmen enthalten.