Mann schreit
„Wutbürger“ sind meist eher „Zornbürger“. Reinhard Haller erklärte den Unterschied.
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Herausforderung

Bürgermeister in der Rolle zwischen Gestalter und Seelsorger

Aggression, Zorn und Frustration: Immer häufiger werden Bürgermeister mit den Projektionen der Bürger konfrontiert. Was braucht es, um diesen Druck auszuhalten? Empathie, Gelassenheit und die Fähigkeit zuzuhören.

Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Österreich stehen heute vor vielfältigen Herausforderungen, die weit über ihre eigentlichen Aufgaben hinausgehen. Die jüngste Diskussion im Podcast „Amtsgeheimnisse“ verdeutlichte, wie stark die gesellschaftlichen Veränderungen das Amt beeinflussen und wie wichtig es ist, sich auf neue Rollen und Anforderungen einzustellen.

Bürgermeister erleben oft, dass sie für viele Missstände in der Gemeinde verantwortlich gemacht werden. Das Amt wird zur Projektionsfläche für persönliche und gesellschaftliche Frustrationen. Dabei ist es entscheidend, zwischen objektiver und subjektiver Wahrnehmung zu unterscheiden: Während ein Ereignis aus neutraler Sicht banal erscheinen mag, kann es für Betroffene emotional enorm aufgeladen sein. Bürgermeister müssen daher nicht nur als Gestalter ihrer Gemeinde auftreten, sondern auch als Vermittler und Zuhörer.

Psychologie und Empathie im Mittelpunkt

Reinhard Haller und Hannes Pressl
„Der Psychiater und der Bürgermeister!“ titelt die neue Folge des Gemeindebund-Podcasts „Amtsgeheimnisse“, den Gemeindebund-Präsident Hannes Pressl kürzlich mit Psychiater Reinhard Haller aufnahm. Rund eine Stande dauerte das Gespräch über zwischenmenschliche Konflikte, einen gesunden Narzissmus, die Kunst des Zuhörens und auch über Bürgermeister als Psychotherapeuten und Sozialarbeiter. 

Die psychologische Komponente spielt eine immer größere Rolle. Viele Probleme, die Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern begegnen, basieren auf persönlichen Kränkungen, Schuldzuweisungen oder einem Gefühl der Ungerechtigkeit. Dies führt dazu, dass sie in ihrem Amt verstärkt Fähigkeiten entwickeln müssen, die sonst Psychotherapeuten oder Mediatoren zugeschrieben werden. Die Kunst des Zuhörens und das Aufbringen von Gelassenheit sind dabei entscheidend, um Aggressionen abzubauen und das Vertrauen der Bürger zu stärken.

Die traditionelle Rolle des Bürgermeisters als „Macher“ und Gestalter hat sich erweitert. Heute übernehmen Bürgermeister zunehmend Funktionen wie die eines Pfarrers, Sozialarbeiters oder Mediators. Sie hören zu, schlichten Konflikte und versuchen, soziale Unterstützung zu organisieren. In vielen Fällen gehen sie dabei weit über die offiziellen Anforderungen hinaus – etwa, wenn sie persönlich Hilfe in Krisensituationen leisten, wie es in einer Anekdote über die Begleitung eines Alkoholikers ins Krankenhaus beschrieben wurde.

Umgang mit Aggressionen und „Zornbürgern“

Ein zentrales Thema im Podcast war der Umgang mit sogenanntem „Wutbürgertum“, das jedoch besser als „Zornbürgertum“ bezeichnet werden sollte. Während Wut kurzfristig ist, entsteht Zorn über einen längeren Zeitraum und richtet sich oft gegen wahrgenommene Ungerechtigkeiten. Um Eskalationen zu vermeiden, sollten Bürgermeister auf aggressive Äußerungen nicht emotional reagieren, sondern versuchen, die Situation zu versachlichen. Zuhören, Toleranz und persönliche Gespräche helfen, Spannungen abzubauen.

Die Rolle der Gemeinschaft und das Schlüsselwort Gelassenheit

Die Gemeinschaft kann einen entscheidenden Beitrag leisten, um Aggressionen abzubauen. Gerade in kleineren Gemeinden, wo weniger Anonymität herrscht, fühlen sich die Menschen stärker eingebunden und weniger entfremdet. Bürgermeister können diese Verbundenheit nutzen, um den Dialog zu fördern und Frustrationen zu kanalisieren.

Ein zentrales Fazit des Podcasts war, dass Bürgermeister mehr Gelassenheit entwickeln sollten, um den Belastungen ihres Amts zu begegnen. Dazu gehört auch das Bewusstsein, dass nicht alle Probleme lösbar sind. Wer sich selbst und die eigenen Reaktionen besser steuert, kann auch die Erwartungen und Emotionen der Bürger erfolgreicher managen.

Fazit

Der Bürgermeister als gesellschaftlicher Katalysator. Das Amt des Bürgermeisters hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Die Anforderungen reichen heute weit über Verwaltungsaufgaben hinaus und erfordern eine hohe emotionale Intelligenz, Gelassenheit und Empathie. Bürgermeister sind nicht nur Gestalter ihrer Gemeinden, sondern auch psychologische Stützen und Vermittler. Ihre Rolle als Ansprechpartner auf Augenhöhe ist essenziell, um den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken und Konflikte zu entschärfen.