Lukas Mandl und Hans Braun
Lukas Mandl im Gespräch mit KOMMUNAL-Chefredakteur Hans Braun; „In Wahrheit haben wir alle ein Gefühl dafür, ob jemand, auch auf Gemeindeebene, etwas aufbauen will oder ob jemand nur alles kaputtmachen möchte.“

„Wir brauchen das Dach der Europäischen Union“

Lukas Mandl war Vizebürgermeister von Gerasdorf bei Wien und ist jetzt Abgeordneter zum Europäischen Parlament. Im Gespräch mit KOMMUNAL spricht er über Populismus, seinen Kampf für leistbares Wasser und über die Auswirkungen des Brexit auf Gemeinden.

Laut aktuellem Eurobarometer gibt es in Österreich ein Allzeithoch bei der Zustimmung zur Europäischen Union. Wie kann man so eine Stimmung nutzen?

Der Brexit ist so etwas wie ein Knochenbruch – und ein Knochenbruch gehört anständig behandelt, damit er gut zusammenheilen kann. Der Punkt ist, dass alles im selben Körper bleibt. Großbritannien wird weiter zu Europa gehören, und am Tag nach dem Brexit müssen wir beginnen, diese Knochen wieder zusammenwachsen zu lassen. Das ist sowohl im Interesse der EU wie auch im Interesse Großbritanniens.

Die Diskussionen um den Brexit haben dazu geführt, dass viele Menschen sagen, dass in der EU zwar Vieles reformiert werden muss, aber dass es besser ist, im gemeinsamen Haus Europa dabei zu sein und mitentscheiden zu können. 

Die Streitigkeiten in diesem gemeinsamen Haus Europa sind aber oft recht heftig. Einige wollen, dass – um bei dem Bild zu bleiben – das Haus wieder kleiner wird. Die nationalistischen Bestrebungen in Ungarn, Polen, Frankreich etc. sind sehr stark. Wie kann man denen entgegenwirken?

Populismus und Zentralismus sind die großen Bedrohungen unserer Zeit. Ich möchte beidem mit einer bürgernahen Politik entgegentreten. Mit einer Politik, die mehr Freiheit innerhalb Europas schafft, mit weniger Regulierung und weniger Verboten. Montesquieu hat das so formuliert: „Ist es nicht nötig, ein Gesetz zu machen, dann ist es nötig kein Gesetz zu machen.“

Ein wichtiger Punkt für mich ist, dass Europa nach außen stark sein muss. Denn wir vergessen oft, wie wichtig es für unsere Chancen und die Chancen unserer Kinder ist, dass Europa in der Welt gut dasteht. Das können wir nur gemeinsam schaffen.

Um beim Haus-Vergleich zu bleiben: Wir brauchen das Dach, auch wenn es tropft – und genauso brauchen wir das Dach der Europäischen Union, um im weltweiten Vergleich bestehen zu können.

Ich will dem Populismus keine Bühne bieten, und ich will dem Zentralismus eine Politik der Bürgernähe und der Subsidiarität entgegensetzen. 

Ich will dem Zentralismus eine Politik der Bürgernähe und der Subsidiarität entgegensetzen.“

Die EU hat ja das Problem, dass sie nur schwer zu den Bürgern durchdringt. Und beim Thema „Bürgernähe“ sitzen die Gemeinden ja an einer wichtigen Schaltstelle …

Ich war selbst Vizebürgermeister. Bürgermeister und Gemeindevertreter sind ein wichtiger Maßstab, weil sie bürgernahe Politik machen und täglich Feedback bekommen. Daher höre ich ihnen sehr genau zu, weil sie wissen, was die Menschen bewegt.

Subsidiarität ist nicht nur ein schönes Wort, sondern ein Grundbaustein der Europäischen Union. Es macht uns stark, wenn die lokale Ebene das entscheiden kann, was sie betrifft.

Es gibt auch Ebenen, die uns noch fehlen: Beim Klimawandel wird die EU, die sieben Prozent der Weltbevölkerung umfasst, alleine nicht viel ändern können. Hier wäre man eine globale Ebene nötig.

Meine parlamentarische Aufgabe als Abgeordneter ist nicht, die EU in Österreich zu vertreten, sondern ich vertrete Österreich in der EU. Dafür brauche ich die Inputs, die ich von der Gemeindeebene erhalte. 

Populistische Medien verdrehen in ihrer Berichterstattung oft die Dinge, die in der EU beschlossen wurden. So hieß es einmal, dass Kellnerinnen das Dekolleté verboten wird. In Wahrheit ging es nur darum, dass Menschen, die im Freien arbeiten, wie etwa Bauarbeiter, mit einem Sonnenschutz ausgerüstet werden müssen. 

Wir leben in einer Zeit, in der die Pressefreiheit manchmal in Frage gestellt wird, und in der ungefilterte Informationen aus den Social Media Kanälen quillen. Falsche Fakten gehören zum Populismus.

Ich musste kürzlich für einen Vortrag bei der CDU „Populismus“ definieren, weil das ein Allerweltsbegriff geworden ist, dem man dem politischen Mitbewerber andichtet. Ich habe dabei drei Dinge genannt, die meines Erachtens Populismus ausmachen:

  1. falsche Fakten
  2. Verschwörungstheorien
  3. eine insgesamt destruktive Haltung

In Wahrheit haben wir alle ein Gefühl dafür, ob jemand, etwa auf Gemeindeebene, etwas aufbauen will oder ob jemand nur alles kaputtmachen möchte. 

Die geplanten zusätzlichen Qualitätskontrollen für kleine Wasserversorger wurden ja abgewendet. Oder besteht weiterhin die Gefahr, dass es da neue Regelungen geben wird?

Das Thema liegt derzeit nicht beim Europaparlament, sondern beim Rat.

Durch über hundert Änderungsanträge ist es uns gelungen, viel Negatives abzuwenden. In einem Fall hat eine einzige Stimme eine Änderung in unserem Sinne möglich gemacht: Es ist uns gelungen, eine Kostenlawine für Österreichs Haushalte abzuwehren.

Ich habe dem Gesamtpaket aber trotzdem nicht zugestimmt, weil es einen Punkt gibt, der offengeblieben ist: Nämlich die Aufbereitungsanlagen, die zusätzlich errichtet werden müssen. Hier müssen wir daran arbeiten, dass es gelingt, im Trilog, also der Zusammenarbeit von Europaparlament, Kommission und Rat, ein besseres Ergebnis zu erzielen.

Wichtig war, dass es uns gemeinsam mit dem Bundesrat, dem Gemeindebund und mit Wasserverbänden gelungen ist, das Schlimmste abzuwenden. Niemand hätte verstanden, dass das Wasser in Österreich teurer wird, ohne dass es irgendeinen Zusatznutzen gibt. Denn die Initiative für mehr Kontrollen ist ja nur deswegen entstanden, weil in Teilen Europas die Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser haben. Für dieses Problem muss man natürlich eine Lösung finden, aber es bringt nichts, unser exzellentes Wasser zu verteuern. 

In Österreich nutzen wir nur einen Bruchteil des verfügbaren Wassers. Könnte man das nicht besser nutzen und Wasser vielleicht nach Norditalien pumpen, wo es immer wieder zu Wasserknappheit kommt?

Nein, die Sicherstellung der Wasserversorgung ist eine klassische lokale und regionale Aufgabe. Wir sind mit gutem Wasser gesegnet, das ist uns in den Schoß gefallen. Aber wir haben dafür auch eine gute Struktur geschaffen: Wir haben rund 5.000 Wasserversorger, die kleinräumig strukturiert sind. Österreich ist ja das einzige Land Europas, in dem es keinen einzigen Tropfen Oberflächenwasser in den Leitungen gibt, weil bei uns alles aus Quellen kommt.

Wir teilen aber gerne unsere Technologie mit anderen Ländern. Auch die Tatsache, dass die Wasserversorgung zu einem großen Teil in der Hand von ehrenamtlich tätigen Menschen ist, kann ein Vorbild sein. 

Europaweit gibt es einen Trend, dass Gemeinden immer größer werden. Darunter leidet aber das ehrenamtliche Engagement, weil Menschen sich größeren Einheiten nicht so verbunden fühlen. Kann man diese Entwicklung aufhalten?

Da bin ich optimistisch. Ich wohne selbst in einer Ortschaft, die zu einer Stadt mit rund 12.000 Einwohnern gehört. Dort sorgen die Freiwillige Feuerwehr, die Pfarre und das Wirtshaus für Zusammenhalt. Daher weiß ich, welchen Zusammenhang das Vorhandensein kleinräumiger Strukturen auf das Ehrenamt hat.

Optimistisch bin ich deswegen, weil die Digitalisierung dafür sorgen wird, dass viele Arbeiten disloziert gemacht werden können. Die Menschen werden also nicht mehr in die großen Städte ziehen müssen, um einen Job zu bekommen.

Zur Verwaltungsreform bin ich selbst betroffen und beteiligt, weil ich selbst im Landtag den Antrag auf Auflösung meines Bezirks Wien-Umgebung gestellt habe. Ziel war es, Geld einzusparen. Die Kommunikation dieser Reform war eine riesige Herausforderung, aber jetzt, nach vier Jahren, kann man sagen, dass die Zufriedenheit mit der neuen Situation sehr groß ist.

Dabei ist es mir aber wichtig, dass keine Gemeinde aufgelöst wurde und auch keine Außenstelle der Bezirkshauptmannschaft aufgelassen wurde. Gespart wurde nur auf der Verwaltungsebene und nicht bei der Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger.

Ende Jänner fiel der Startschuss für das Projekt „Digitales Amt“. Vor allem kleine Gemeinden haben das Problem, dass die dafür notwendige Glasfaserverkabelung nur schwer zu bewerkstelligen ist. Kann die EU hier helfen?

Im EU-Budget, dem mehrjährigen Finanzrahmen der EU, das möglichst bald nach der Europawahl stehen muss, muss die Entwicklung des ländlichen Raumes ein Schwerpunkt sein. Hier wird es darum gehen, dass erfahrenere Parlamentarier, das Gesetz des Handelns in die Hand nehmen und sicherstellen, dass die regionale Entwicklung Priorität hat. 

Gibt es eine realistische Chance, diese Konzentration auf die ruralen Gebiete durchzubringen, wenn viele Länder ja sehr zentralistisch organisiert sind?

Ja, weil man die Stärken stärken muss. Und es gehört zu den Stärken Europas, dass wir starke ländliche Räume und starke dezentrale Innovationsfaktoren haben. Es gilt, die Lebensqualität vor Ort und auch etwa die lokale Lebensmittelproduktion zu erhalten.

Natürlich haben einige EU-Staaten eine zentralistische Struktur, aber Subsidiarität ist ein Grundprinzip der Union, und wir sind mit der Dezentralität unserer Entscheidungsstrukturen und unserer Wirtschaftsstrukturen weltweit erfolgreich. Wir wären also verrückt, wenn wir hier etwas ändern würden und uns nur auf die Zentren konzentrieren würden.

Sie hatten vorhin eine Schulgruppe zu Besuch. Sollte man nicht mehr Schüler nach „Europa“ bringen?

Ich bekomme im Europaparlament sehr viel Besuch, auch von Schülerinnen und Schülern.

Erst kürzlich waren Jugendliche von der Tourismusschule Bad Gleichenberg in Brüssel und haben auch beim Österreich-Empfang, den das Land Steiermark ausgerichtet hat, das Catering gemacht. Es war das beste Catering, das ich jemals in Brüssel erlebt habe, ein Paradebeispiel für rot-weiß-rote Gastlichkeit.

Besucher im Europaparlament kommen in ihr eigenes Haus. Sie sind nicht Gäste in einem fremden Haus, sondern es ist das Haus der europäischen Bürgerinnen und Bürger. Das versuche ich immer zu vermitteln, wenn ich jemanden empfangen darf. Das ist besser, als wenn ich einen Frontalvortrag über die Union halte. Für die Schülerinnen und Schüler aus den Bundesländern gibt es ja eine Wien-Woche. Warum sollte es nicht auch eine Brüssel-Woche geben? Ich freue mich über jede Gruppe, die Interesse zeigt. 

Haben Sie Kontakt mit den Europa-Gemeinderäten, die ja in den Gemeinden die Ansprechpartner für Fragen zur EU sein sollen?

Erste gestern habe ich mich mit dem Europa-Stadtrat von Amstetten getroffen. Aus solchen Gesprächen kann ich viel mitnehmen, denn die Europa-Gemeinderäte sind Brückenbauer zwischen der kommunalen Ebene und der Europa-Ebene.

Ich war selbst Europa-Gemeinderat und habe dabei viel gelernt.

Kann man abschätzen, wie sich der Brexit auf Österreichs Gemeinden auswirken wird?

Es gibt zwei Positionen, wie der Verlust des britischen Mitgliedsbeitrags kompensiert werden kann: Die einen sagen, die verbliebenen Staaten müssen höhere Beiträge zahlen, die anderen – dazu gehört Österreich – will eher Einsparungen.

Heute zahlt jeder Mitgliedsstaat einen Mitgliedbeitrag von 1,0 Prozent des BIP. Verhandelt wird über das, was hinter dem Komma steht.

Zur schon länger bestehenden Allianz von Nettozahlerländern wie Holland, Schweden und Österreich haben wir nun auch Deutschland auf unsere Seite bekommen. Dadurch verbessert sich die Chance, dass es bei dem einen Prozent des BIP, das zu bezahlen ist, bleibt.

Für Gemeinden ist das durchaus relevant, denn konkret heißt das, für Förderungen nicht nur die bürokratische Abwicklung ein Kriterium sein kann. Denn jede Woche sagen mir Bürgermeister, dass Kosten und Nutzen einer Förderung nicht in Relation stehen, weil der bürokratische Aufwand viel zu hoch ist.

Zukünftig sollte die wirtschaftliche Hebelwirkung, die erzielt werden kann, Kriterium sein. Vor allem in Nettoempfängerländern ist diese Hebelwirkung oft sehr in Frage zu stellen.

Wenn zwar etwas mit Hilfe von EU-Förderungen auf der grünen Wiese gebaut wird, aber keine Folgewirkungen in Zulieferbetrieben, Gastronomie- oder Beherbergungsbetrieben entsteht, ist die wirtschaftliche Hebelwirkung nicht gegeben. Hier besteht Einsparungspotenzial.

Man wird Europa wahrscheinlich nie auf dasselbe wirtschaftliche Niveau bringen. Aber wenn man sie nicht unterstützt, treibt man sie in die Arme von China oder Russland.

Es muss Nettoempfängerländer geben. Mahnung muss uns aber das Beispiel Italien sein, wo seit Jahrzehnten Geld vom Norden in den Süden geschickt wird, ohne dass sich der Strukturunterschied ändert.

Es geht nicht alleine um Geld, sondern es braucht auch Bildung, mehr Rechtssicherheit, was Investitionen fördert, und vieles mehr!

Wenn es diesbezüglich in den Nettoempfängerländer zu einem Strukturwandel kommt, dann kann es zu einer Angleichung des wirtschaftlichen Niveaus kommen.

Also ja zur Kohäsion, aber mit wirtschaftlicher Hebelwirkung und nicht mit Geld, das irgendwo versickert. 

Das Aufregerthema der letzten Jahre ist Migration. Egal was man unternimmt, die Menschen, die vor der Not in ihren Ländern flüchten, werden einen Weg nach Europa suchen. Wie kann man diese Situation unter Kontrolle bekommen?

Innerhalb Europas muss man die Integration als große Aufgabe sehen.

Nach außen muss man zwischen Migration und Asyl unterscheiden. Asyl ist ein Menschenrecht, das gewährt werden muss. Migration dagegen können und müssen wir uns aussuchen.

Der Fokus muss darauf liegen, Fluchtursachen zu bekämpfen. Das heißt, dass man nicht nur Krisengebiete befrieden muss, sondern dass man, etwa in Afrika, auch Bildungsangebote, Arbeitsplätze und Rechtssicherheit schaffen muss. Sonst ist absehbar, dass sich dort noch mehr Menschen in Bewegung setzen werden.

Ich bin für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe, aber gleichzeitig muss ein attraktiver Ort wie Europa oder auch Australien, die USA oder Kanada auch einen Außengrenzschutz und klare Bedingungen für die Einreise haben. 

Die andere Seite der Medaille ist, dass wir für manche Bereiche zu wenige Leute haben, etwa im Pflegebereich. Wie bekommen wir die Leute, die wir benötigen?

Erfreulicherweise steigt die Lebenserwartung. Damit werden aber mehr Menschen für Gesundheits- und Pflegeberufe gesucht.

Einer solchen Entwicklung darf man aber nicht begegnen wie es die italienische Regierung macht, indem sie das Pensionsantrittsalter senkt.

Ich freue mich, dass die österreichische Bundesregierung eine Pflegereform angeht. Tatsache ist, dass wir dem Fachkräftemangel begegnen müssen – allerdings nach unseren Kriterien, das ist etwas anderes als das unbedingte Menschenrecht aus Asyl.