Kläranlage
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Was mit der EU-Abwasserrichtlinie auf die Betreiber zukommt

Andreas Hartmann ist Geschäftsführer der Stadtwerke Braunschweig. Er beleuchtete eine der umstrittensten EU-Richtlinien aus Betreibersicht: Die EU-Kommunalabwasser-Richtlinie, deren Fassung von 1991 aktualisiert werden soll. Es geht um Fragen, wie man eine dritte und vierte Reinigungsstufe anlegen kann. Oder aber, was es mit der Herstellerverantwortung auf sich hat.

Die Inhalte der neuen Abwasserrichtline (die alte aus dem Jahr 1991 wird neu geregelt) sind bekannt: Es geht darum, Normen für Mikroschadstoffe zu installieren, um zu vermeiden, dass dieses Mikroplastik in den Wasserkreislauf kommen. Es soll auch der Klimawandel berücksichtigt werden, die Starkregengefahr beherrscht werden, aber auch Trockenheit. Es geht auch um den Gesundheitsschutz, wie das Monitoring von Krankheitserregern, Stichwort Covid-19.

Die EU-Abwasserrichtlinie

Hintergrund der neuen Richtlinie ist, dass Europas rund 100.000 Oberflächengewässer geschützt werden sollen. Das sind Flüsse, Seen, Feuchtgebiete, Stauseen und dazu noch 12.000 Grundwasserkörper. Allesamt sind sie unverzichtbar als Trinkwasserquelle, für gesunde Ökosysteme und biologische Vielfalt. Und für Landwirtschaft, Industrie, Verkehrsträger und zudem wesentlich für Strom- und Wärmeerzeugung.

Ein weiterer Punkt, der (zumindest in Deutschland) für besondere Aufregung sorgt: Es soll ein System der erweiterten Herstellerverantwortung eingeführt werden.

Es geht um die Frage, wer die Kosten verursacht hat. Und hier hat man Hersteller von gefährlichen Stoffen im Blick – in der ersten Stufe sind das die Hersteller von Kosmetika und Arzneimittel. Und am Ende soll der gesamte Abwasserprozess energieneutral werden. Strom selbst erzeugt, Nährstoffe wie Phosphor und Stickstoff aus dem Klärschlamm herausgeholt werden und – wo es möglich ist – gereinigtes Abwasser für landwirtschaftliche Zwecke beispielsweise zur Verfügung zu stellen.

Seit 1. Oktober läuft das sogenannte Trilog-Verfahren. Parlament, Kommission und Rat verhandeln in einem Dreieck, was in der Abwasserrichtlinie schwarz auf weiß niedergeschrieben wird. Die Richtline soll vor der Europawahl im Juli 2024 in Kraft treten und dann in nationales Recht übersetzt werden, so die spanische Ratspräsidentschaft.

Massive Kritikpunkte

Erstens wird es von vielen Experten und Betreibern nicht für sinnvoll erachtet, eine vierte Reinigungsstufe pauschal zu fordern. Vor allem rein baulich betrachtet, dürfte sie auch nur schwer umsetzbar sein. Dazu gäbe es aber schon Alternativen.

Zweitens stoßen die verschärften Anforderungen für kleinere Kläranlagen, also ab 10.000 Einwohner, auf Widerstand. Besser wäre eine größere Schwelle etwa ab 50.000 Einwohner. Und die Betreiber, so Hartmann, wünschen sich eine abgestufte Relevanzbetrachtung.

Drittens werden die Fristen für die Umsetzung zur Eliminierung von Stickoxiden, Stickstoff vor allem wegen technologischer Anpassungen nicht für möglich gehalten. Das wünscht sich zumindest die Betreiberseite.

Viertens wird die Begrenzung der Mischwasserentlastung auf ein Prozent der Trockenwettermenge für umsetzbar gehalten.

Und auch die Frage der Energieneutralität wird kritisch betrachtet.

Es steht also ein Paradigmenwechsel ins Haus. In der bisherigen EU-Richtlinie stand die Verbesserung der Gewässerqualität im Vordergrund. „Das war das Ziel“, so Hartmann. „Jetzt kommen aber zusätzlich Treibhaus-Emissionen reduziert oder ausgeschaltet werden, Energiebilanzen erstellt, gesundheitliche Parameter überwacht werden – „das geht nicht über das generelle Ziel des Gewässerschutz hinaus, sondern ist zum Teil auch gegenläufig.“

Gegenläufig ist für Andreas Hartmann die Forderung nach einem höheren Reinigungsaufwand einerseits, wofür man mehr Energie benötigt, und gleichzeitig aber Energieneutralität verlangt.

Der Blick auf die Kanalisation

Bis zum 31. Dezember 2030 greifen müssen alle Gemeinden über 1000 Einwohner über eine Kanalisation mit 100 Prozent Anschluss verfügen. Es gibt (in Deutschland) viele kleine Gemeinden, in denen der Anschluss gerade von 100 Prozent noch weit entfernt ist. In Österreich sind laut Zahlen aus 2020 rund 96 Prozent der Bevölkerung an kommunale Kläranlagen angeschlossen. Hartmann: „Wenn man bedenkt, welche Kosten hier erforderlich sind, geht das so ohne Weiteres nicht.“

Dann ist die Grenze genannt von einem Prozent der jährlichen Trockenwettermenge eine Menge, die beispielsweise bei geringen Überläufen entlastet werden soll. Das soll erreicht werden bei kleinen Gemeinden ab 10.000 Einwohner bis 2040 und für große Anlagen bis Ende 2035.

„Da stecken eine Menge Baukosten dahinter. Das kann man auch nicht mit irgendwelchen Tricks erledigen. Das heißt Kanäle bauen, Rückhaltebecken vor allem in den Innenstädten bauen – und da sehen wir als Betreiber eine Diskrepanz. Ich habe das hier mal für Braunschweig berechnet. Ja, sie liegen jetzt zurzeit bei 1,32 Prozent. Also wenn wir in Mittel der letzten Jahre 192.000 Kubikmeter pro Jahr entlastet haben über Mischwasserentlastungen, hätten wir bei einem Prozent 145.000 Kubikmeter entlasten dürfen. Der Vorschlag der Betreiber war, statt der Mengenbegrenzung eine stoffliche Begrenzung zu sehen."

Andreas Hartmann
Andreas Hartmann, Geschäftsführer der Stadtwerke Braunschweig: „Die Phosphor- und Stickstoff-Reduzierung im Ablauf der Kläranlage ist ebenfalls eine Sache, die uns bisher Kopfzerbrechen bereitet.“

Hartmann weiter: „Die Phosphor- und Stickstoff-Reduzierung im Ablauf der Kläranlage ist ebenfalls eine Sache, die uns bisher Kopfzerbrechen bereitet. Also das Phosphor gesamt im Mittel auf 0,5 Milligramm pro Liter zu begrenzen und Stickstoff auf sechs Milligramm pro Liter ist eine harte Forderung und man wird letztlich auch mit einer Erhöhung der Salzkonzentration leben müssen. Auch hier wird die Frage zu beantworten sein, ob man hier in großer Form Erweiterungsinvestition am Ende bezahlen kann. Zumal eine ganze Reihe von Gewässern auch jetzt schon die EU-Meers-Strategien-Rahmenrichtlinie einhalten. Zum Beispiel hält der Rhein an der Grenze zu den Niederlanden bereits jetzt schon diesen Grenzwert von 2,8 Milligramm Stickstoff an der Staatsgrenze ein. Also auch hier wünschen wir uns eine Relevanzbetrachtung.
Das betrifft herauszufilternde Stoffe, wie VTA-Chef Ulrich Kubinger in seinem Statement schon angedeutet hatte, die in der Kommunal-Abwasserrichtlinie stehen, die um 80 Prozent reduziert werden. Das ist eins zu eins die Schweizer Lösung.
Das überkreuzt sich auch mit anderen Richtlinien, die es gibt, zum Beispiel die UQN-Qualitätsnorm (UQN steht für Umweltqualitätsnorm). Dort werden auch schon Konzentrationen in Grenzen von 0,01 bis 0,04 – wahrscheinlich werden es 0,04 – Mikrogramm je Liter genannt. Das wären ein bzw. vier Gramm pro 100.000 Kubikmeter.
Mikroplastik ist nicht geregelt. Da steht nur drin, Mikroplastik soll entfernt werden. Aber wie es gemessen wird oder welche Grenzwerte dafür erfolgen soll, ist noch unklar.
Auch in der Trinkwasserverordnung und Oberflächengewässer-Richtlinie gibt es Zahlen, die passen im Prinzip nicht zusammen, mit dem was jetzt in der Kommunalabwasser-Richtlinie steht."

Die vierte Reinigungsstufe

Auf jeden Fall sollen bis 2035 alle Anlagen ab 100.000 Einwohner mit einer vierten Stufe ausgestattet werden. Und was eben nicht berücksichtigt ist, ist der hohe Energieverbrauch und eine fehlende Emissions- und Relevanz-Betrachtung. Es gibt kein Verursacherprinzip an der Quelle, es gibt unterschiedliche Effizienzen bzw. für einzelne Mikro-Schadstoffe unterschiedliche Verfahrensweisen. Der Aufwand für Betrieb und Analytik ist immens. Der BDEW (Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaf) hat 2018 eine Studie durchgeführt und ist auf Mehrkosten von 1,2 Milliarden Euro pro Jahr gekommen.

Das, was seit 2018 passiert ist, ist noch nicht berücksichtigt. Da gab und gibt es ja Kostensteigerungen durch gestörte Lieferketten, durch Zinsen, durch Fachkräftemangel etc.

Erweiterte Herstellerverantwortung

Was wir wissen, ist, dass es durch den Infrastrukturerhalt, durch die Energiekosten, durch die Niederschlagswasserbewirtschaftung, durch weitergehende Abwasserreinigung, durch Klärschlammentsorgung von Rückgewinnung etliche Punkte gibt, die zu Kostenerhöhungen führen.

Man will seitens der EU aber für die Bürgerinnen und Bürger eine Absenkung der Gebühren und damit eine Erleichterung schaffen. Diese Kostensenkung soll mit der erweiterten Herstellungsverantwortung erreichen. Im ersten Schritt werden die Hersteller von Human-Arzneimitteln und die Hersteller von Kosmetika herangezogen.

Laut Artikel zehn der EU-Kommunalabwasser-Richtlinie sollen die Mitgliedstaaten einen geeigneten einheitlichen Durchsetzungsprozess zur ordnungsgemäßen Verwendung der vereinbarten Mittel schaffen. Die Arzneimittelhersteller sollen also zur Kasse gebeten werden und am Ende – ursprünglich war an 100 Prozent der Kosten gedacht – die vierte Reinigungsstufe etwa zu 80 Prozent die Kosten einer vierten Reinigungsstufe gedeckt werden.

Die Energieneutralität

Bis 2040 sollen alle kommunalen Kläranlagen Energieneutral arbeiten. Bis 2025 alle Anlagen über 100.000 Anlagen, bis Ende 2030 Anlagen über 10.000 über diese Fristen wird zurzeit diskutiert, ob die eventuell verlängert werden.

Was besonders interessant ist, ist, dass es nicht so sein wird, dass man diese Energie aus Windrädern oder PV-Anlagen gewinnen kann, die man vielleicht auf dem Gelände aufstellt. Diese Energie soll aus dem Abwasser recycelt werden. Nun weiß man, wird das im Rohabwasser etwa 160 bis 180 Kilowattstunden pro Einwohner und Jahr auf der Kläranlage ankommen. Für den Reinigungsprozess hingegen brauchen gute Kläranlagen vielleicht 40 Kilowattstunden.

Man hätte dann zumindest etwa eine Größenordnung von 100 Kilowattstunden übrig zu erzeugen. Aber wenn man das will, dann müsste man letztlich auch den Prozess der Abwasserreinigung umstellen – man müsste von Belebungsverfahren weg. Das geht aber so ohne Weiteres jedenfalls nicht und schon gar nicht bis 2030. Das Potenzial wird nach Meinung der Betreiber jedenfalls überschätzt, vor allem, wenn die Energie aus der Abwasseranlage selbst kommen soll.

Probleme bei der Energiegewinnung sind natürlich auch, dass komplizierte Steuer-, Emissions- und Energiewirtschaftsrecht und auch die die verschiedenen behördlichen Vorgänge zu bedenken sind. Wir müssen uns Gedanken machen darüber, wie wir mit Energie umgehen. Wie können wir Biogas verwerten? Man kann eine Verbindung zum Gasnetz führen, man kann eben auch Abwasserwärme nutzen. Man kann eine Kombination von Bioabfall-Vergärung durchführen und ähnliches.

Das sind, so Hartmann, komplexe Zusammenhänge, die auch rechtlich bewertet werden müssen.

Wasser- und Abwasser-Wiederverwendung, ein unterschätzter Aspekt

Hartmann drückte seine Verwunderung darüber aus, dass das Thema Wiederverwendung in der deutschen nationalen Wasserstrategie, die im März 2023 beschlossen worden ist, keinen Platz hatte.

Die Möglichkeiten, die sich hier ergeben, um der zukünftigen Anforderungen der Wasserwirtschaft zu begegnen und Wasser wieder zu verwerten, besonders in der Landwirtschaft oder auch in Parkanlagen, wird unterschätzt.

Das Wassermonitoring hat Erfahrungen aus den letzten Jahren der Covid-Überwachung gebracht. Die EU schlägt jetzt vor, dass beispielsweise das Covid-, das Polio-, das Influenza-Virus und andere Krankheitserreger und besorgniserregende Schadstoffe Roh-Abwasser weiter untersucht werden.  Man erhofft sich Hinweise über die Infektionsgefahr im Einzugsgebiet einer Kläranlage. Da fehlen aber letztlich noch Maßnahmen, wie man das Monitoring justiert, wie man einheitliche Methoden und Bewertungsgrundsätze festlegt und auch die Antwort auf die Frage, wer bezahlt das Ganze.

Es hat aus Sicht Hartmanns mit der Abwasserreinigung nichts zu tun, und ob das dann die Gesundheitsverwaltung bezahlt oder ob es dann doch eine Aufgabe der Abwasserbeseitigung wird, das muss noch rechtlich geklärt werden.