Das Thema Haftung von Gemeindemandataren ist auch bei Austrian Standards bekannt, wie Präsident Anton Ofner im Gespräch bemerkt. „Wir haben deshalb gemeinsam mit dem Städte- und dem Gemeindebund den ,Digitalen Lesesaal‘ geschaffen. Das ist ein ,Read only‘-Zugang und speziell für kleinere Kommunen gedacht.“
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Recht

Warum gibt es Standards?

Ohne genormte Produkte und Abläufe wäre das moderne Leben kaum denkbar. Dennoch gibt es immer wieder Vorbehalte, die nicht einfach von der Hand zu weisen sind. Ein KOMMUNAL-Interview zu einem heiklen Thema.

Ein paar Standards sind sicher jedem bekannt, beispielsweise A4. Dass ein Blatt Papier weltweit in jeden beliebigen Drucker passt, liegt an einem international anerkannten Standard. Oder – weil jetzt wieder die Zeit fürs Umstecken der Winterreifen auf die Sommerreifen war  – die Bestückung der Schlagschrauber: Dass die Schrauben jedes Autoreifens in die Nuss eines Schraubers passen, und auch das weltweit, liegt an einem Standard.

Es gibt aber auch Standards, die nicht jeder kennt, die aber nichtsdestotrotz wichtig sind: Wenn sich Handys mit einem WLAN verbinden, wenn FPP2-Masken so arbeiten, dass sie korrekt die Luft filtern, Youtube, Netflix & Co. immer ruckelfrei laufen oder wenn Container gestapelt und auf Lkw verladen werden können, dann liegt das auch an Standards. Schon diese paar Beispiele zeigen, wie wichtig Standards nicht nur für die Menschen, sondern vor allem auch für die Wirtschaft sind. Globale Warenströme wären ohne sie nicht denkbar.

Standards existieren für praktisch alle Lebensbereiche – rund 23.000 davon gibt es. Vor allem die, die im Bauwesen Anwendung finden, gehören zu jenen, die Gemeinden hierzulande des Öfteren Kopfzerbrechen bereiten – auch wenn ohne sie das komplette Bauwesen nicht denkbar wäre, ja es sogar gut ist, dass es sie gibt. Und damit kommen wir zum „Aber …“ im Titel.

Standards sind freiwillig. Sind Standards freiwillig?

„Das liegt am Gesetzgeber, aber grundsätzlich sind sie freiwillig“, so Anton Ofner, seit September 2021 Präsident von Austrian Standards, dem wichtigsten heimischen Institut für Standards. „Außer der Gesetzgeber verweist in einem Gesetz auf einen Standard oder auch nur einen Teil davon, dann wird’s verbindlich.“  Wenn Auftragnehmer und Auftraggeber sich allerdings (in einer Ausschreibung) auf einen Standard einigen, dann ist es eine „vertragliche Verbindlichkeit“.

Normen sind also keine Gesetze. Wenn es sich aber um Willensbekundungen des Gesetzgebers handelt, warum sind dann Normen oder Standards nicht gleich als Gesetz oder als Richtlinie formuliert?

„Das soll vor allem den Bürokratieabbau des Bundes fördern“, erklärt Ofner. Der Staat würde, wenn er Normen ausformulieren will, eine Armada von Fachleuten beschäftigen müssen – und zwar als Beamte. Diese wären, weil sie nicht in der täglichen Auseinandersetzung mit dem Thema sind, praktisch nicht in der Lage, mit der extrem kurzen „Halbwertszeit des Wissens“ Schritt zu halten. „Bei den meisten Materien handelt es sich um Dinge oder Techniken, die laufend weiterentwickelt werden. Man muss auch als Experte ständig am Ball bleiben, sonst kommt man mit den Änderungen nicht mehr mit.“

Anton Ofner
Anton Ofner, Präsident von Austrian Standards: „Der Staat würde, wenn er Normen ausformulieren will, eine Armada von Fachleuten beschäftigen müssen – und zwar als Beamte.“

Generell könne man sagen, so Ofner, dass die Standardisierung einen wesentlichen Beitrag zum Abbau der Bürokratie leiste. „Und dadurch, dass sich Akteure aus Wirtschaft und Praxis auf gemeinsame Regeln einigen, entlasten sie auch die Verwaltung.“

Nagende Unsicherheit der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister wegen der Haftungsthematik – der „digitale Lesesaal“ hilft. Wenn ein Streitfall aber, beispielsweise im Bauwesen, vor Gericht landet, werden Standards und Normen meist dennoch als Grundlage, als „Stand der Technik“, für Urteile herangezogen. Wie kann das sein, wenn sie doch „freiwillig“ sind?

Ofner: „Selbst bei der Freiwilligkeit greifen Sachverständige den Standard als Ausgangspunkt auf. Wenn man sich an den Standard gehalten hat, ist man auf der sicheren Seite. Wenn nicht, muss man im Detail darlegen (können), warum man das nicht gemacht hat.“ 

Wie kommt man zu Standards?

Das Thema Haftung von Gemeindemandataren ist auch bei Austrian Standards bekannt, wie Ofner im Gespräch bemerkt. „Wir haben deshalb gemeinsam mit dem Städtebund und dem Gemeindebund den ,Digitalen Lesesaal‘ geschaffen. Das ist ein ,Read only‘-Zugang und speziell für kleinere Kommunen gedacht. Bis zu zehn User haben für rund 380 Euro pro User und Jahr Zugang zu allen Normen.“

Der Preis richtet sich dabei nach der Anzahl der User – je mehr, desto billiger. „Gerade in Hinsicht auf die Haftungsfrage ist das ein ganz wichtiges Tool und wird von den Gemeinden auch sehr gut und breitflächig angenommen“, so Ofner. Für größere Städte oder Landeshauptstädte, die andere Anforderungen haben, gibt es ein eigenes Produkt, das auch internationale Normen umfasst.

Warum nicht gratis?

Wieso es für Gemeinden, die ja die dritte Ebene des Staates sind, keinen kostenlosen Zugang gibt? Ofner: „Vergleichbar ist, für den Erwerb des Wissens ein Buch zu kaufen. Das hat jemand geschrieben und produziert. Das sind im Vergleich zum Aufwand geringe Nutzungsbeiträge. Und es gibt das Urheberrecht. Vor allem, wenn Standards aus dem Ausland kommen (ISO-Standards beispielsweise), unterliegt man fremden Regeln und fremdem Urheberrecht.“ 

So entstehen Normen, da kommen sie her und darum sind sie so wichtig. „Austrian Standards ist ein unabhängiger Verein mit rund 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, der dafür sorgt, dass sich derzeit rund 4.500 Expertinnen und Experten an der Standardisierung von Dienstleistungen und Techniken beteiligen und vernetzen. Und das ehrenamtlich“, wie Ofner ausführt. „In den einzelnen Boards (derzeit etwa 150) sitzen Vertreter von Wissenschaft, Wirtschaft, Handel, Konsumentenschutz – bei Bedarf auch Interessenvertreter und Kammer. Rund die Hälfte der Expertinnen und experten kommen aber aus den KMU, denn dort ist oft die wahre Innovation zu Hause. Die Komitees sollen möglichst breit aufgestellt sein.“

Internationale Standards

Dennoch sind 92 Prozent der Standards internationalen Ursprungs, was auch der Grund ist, warum ein vorrangiges Ziel des neuen Präsidenten ein stärkeres Engagement der Unternehmen einerseits und eine stärkere Berücksichtigung der Standardisierungsthematik in der Bildung andererseits ist.

„Internationale Standards kommen, auch wenn wir nicht mitreden. Wenn wir aber unsere Werte und Vorstellungen berücksichtigt haben wollen, müssen wir mitreden, nur so können wir den maximalen Nutzen für unsere Volkswirtschaft erarbeiten“, ist Ofner überzeugt. Durch die sogenannten Spiegelgremien wird bei Austrian Standards dafür gesorgt, dass Österreichs Stimme in der Welt der Standardisierung gehört wird. „Standards sind zentrale Zukunftsthemen: Wer Standards setzt, hat den Markt!“ Das wirke wie ein Wachstumshormon für die Wirtschaft.

Standards der Zukunft betreffen Klimaschutz, Digitalisierung, Nachhaltigkeit etc.

Die Zukunftsthemen Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Steigerung der Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der Wirtschaft nach der Pandemie sind Zukunftsthemen für Austrian Standards. Aber wie kann man Klimaschutz standardisieren? „Es geht darum, dass wir, wenn wir etwas sagen, alle dasselbe meinen. Es geht hier beispielsweise um Messverfahren, etwa wie man den CO₂-Fußabdruck misst. Wenn man sich international nicht auf einen Standard einigt, würde jedes Land etwas anderes messen und der Kampf gegen den Klimawandel wäre von vorneherein verloren“, ist Ofner überzeugt.

Und auch wenn wir es in Österreich oft nicht schaffen, uns bundeslandübergreifend auf die lichte Höhe eines Türdurchgangs zu einigen,  hat man es international geschafft, sich auf ein Messverfahren für den CO₂-Fußabdruck zu einigen? Ofner: „Der Europäische Green Deal wäre ohne Standards völlig unmöglich. Eben weil hier Normen und Standards ausformuliert und vergleichbar gemacht wurden, wurde der Deal möglich.“

Standards müssen auch neu gedacht werden

Ofner kennt die diesbezüglichen Vorbehalte der Kommunalpolitik, vor allem im Bereich der Haftungsfragen. „Daher versuchen wir auch strukturell, Standards neu zu denken. Wir wollen verschiedene Klassen anbieten. Etwa in der Art: Mindeststandards, die sich mit dem politischen Willen decken, als Basis-Standard beispielsweise für den Schallschutz oder für die Beleuchtung oder die Belüftung in einer Schule. Dieser Mindeststandard muss eingehalten werden, aber es ist auch mehr möglich, etwa einen ‚Schallschutz Klasse 1‘ oder ‚Klasse 3‘ anzubieten. Wem für den Bau einer Schule der Basis-Standard zu wenig ist, kann in der Ausschreibung und Ausführung eine höhere Klasse anwenden.“

Als gute Nachricht für Gemeinden weist Ofner abschließend auf das Regierungsübereinkommen hin: Dort findet sich der Hinweis, dass die richterliche und staatsanwaltliche Regelausbildung um Umwelt- und Technikklauseln ergänzt werden soll – also ein pauschalisierter Verweis auf Standards künftig vermieden werden soll. „Der Norm ihre Freiwilligkeit wieder zurückgeben“, wie es Ofner nennt.