Euroscheine eingerollt
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Warum es nicht 946 Euro sind

26. April 2016
Die seit nun gut einem Jahr zwischen dem Bund, den Ländern und den Gemeinden geführten Finanzausgleichsverhandlungen kommen mehr und mehr in die entscheidende Phase.

Spätestens im Juli sollen die Eckpunkte des neuen Paktums zum Finanzausgleichsgesetz 2017 fixiert sein. Auch abseits der eigentlichen Verhandlungsgremien nimmt die Intensität der politischen Auseinandersetzung um die Finanzausgleichsmasse von mehr als 80 Mrd. Euro zu und immer öfter hört man die Forderung „Jeder Bürger ist gleich viel wert!“. Im Kontext der Gemeindeertragsanteile ist damit gemeint, dass diese im Finanzausgleichsgesetz (FAG) geregelten Anteile der Gemeinden an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben rein nach der Einwohnerzahl verteilt werden sollen. Nach dieser Forderung soll somit für jeden Bürger jeder österreichischen Gemeinde derselbe Betrag an Ertragsanteilen zugewiesen werden. Die nachstehenden Ausführungen sollen nun in der gebotenen Kürze verdeutlichen, wie sich die Auswirkungen in Zahlen ausdrücken würden. Vorerst aber einmal zur Ist-Situation.FAG Grafiken



Die Ertragsanteile je Gemeinde werden im Wesentlichen über einen zweistufigen Prozess ermittelt. Wie durch die Tortendiagramme rechts verdeutlicht werden soll, gibt es verschiedene Kriterien, wie die neun Ländertöpfe (Stufe 1) gebildet werden und die Mittel der acht Ländertöpfe (beim Wiener Topf nicht nötig) dann auf die einzelnen Gemeinden (Stufe 2) verteilt werden. Zu den nachstehenden Zahlen, die aus dem Finanzministerium stammen, ist darauf hinzuweisen, dass diese gemäß der Rechtslage 2014, also noch vor der Gemeindestrukturreform in der Steiermark, berechnet wurden. Auf die bereits zuvor (noch vor Stufe 1 und 2) erfolgte Ermittlung der 2014 rund 9,2 Milliarden Euro an Gemeindeertragsanteilen (davon Wien rund 2,4 Milliarden Euro) wird aus Platzgründen nun nicht näher eingegangen. Nur so viel: Die gemeinschaftlichen Bundesabgaben (2014 knapp 79 Milliarden Euro) werden weitgehend nach dem allgemeinen Schlüssel von 67,417%/20,700%/11,883% auf Bund, Länder mit Wien und Gemeinden mit Wien aufgeteilt.



Wie in den beiden Diagrammen rechnerisch zusammengefasst ersichtlich, ist der abgestufte Bevölkerungsschlüssel (aBS) sowohl für die Bildung der Ländertöpfe als auch deren Verteilung auf die Gemeinden (somit Stufe 1 und Stufe 2) das dominante Kriterium. Demgegenüber stehen große Teile des Fixschlüssels nach § 9 Abs. 7 Zi. 5 lit. b des aktuellen Finanzausgleichsgesetzes und die Verteilung der Grunderwerbsteuer (GreSt), die beide im Wesentlichen nur für die Bildung der Ländertöpfe (Stufe 1) relevant sind. Weiters ist an dieser Stelle noch der Getränkesteuerausgleich anzuführen, der sich sowohl auf die Höhe der landesweisen Mittel (Stufe 1) als auch die weitere Verteilung auf die Gemeinden (Stufe 2) auswirkt. Formal ist er zwar Teil des Fixschlüssels, wird hier jedoch aufgrund seiner enormen Bedeutung für mehrere hundert Tourismusgemeinden und Einkaufsstädte getrennt angesprochen.



Das aktuelle FAG führt sowohl länderweise als auch in der Betrachtung nach Größenklassen zu sehr unterschiedlichen Mittelzuweisungen je Einwohner. Tabelle 1 zeigt in weiterer Folge die errechneten Durchschnittwerte (die 12,7 Prozent an Gemeinde-Bedarfszuweisungsmitteln bereits abgezogen), deren Größenklassen stellen jedoch nur eine statistische Auswertung dar, die nicht FAG-relevant ist, jedoch gerne für politische Argumente in die eine oder andere Richtung herangezogen werden. Vor allem von Seiten der Städte wird man nicht müde zu betonen, dass kleine Gemeinden teilweise höhere Pro-Kopf Ertragsanteile aufweisen als etwa kleinere Städte. Was jedoch daran liegt, dass der Durchschnitt in der Klasse bis 500 Einwohner durch einzelne finanzstarke Tourismusgemeinden doch relativ stark angehoben wird, was in einer Größenklasse, in die bundesweit aber nicht einmal 70 Millionen. EUR fließen, nicht wirklich überraschend ist.



Als vier Hauptgründe für die unterschiedlichen pro-Kopf Ertragsanteile (Tabelle 1) lassen sich somit


  • der abgestufte Bevölkerungsschlüssel (aBS),

  • der KESt- und Gewerbesteuer-Anteil am Fixschlüssel,

  • die Grunderwerbsteuer (GreSt) sowie

  • der Getränkesteuerausgleich (GetrStA)






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identifizieren, die im Folgenden noch kurz erläutert werden.

Der abgestufte Bevölkerungsschlüssel



Dieser historisch bedingte (seine Anfänge stammen aus der Zeit unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg) Verteilungsschlüssel gewichtet Einwohner größerer Gemeinden und Städte stärker, indem die Volkszahl jeder Gemeinde mit einem Vervielfacher der jeweiligen Größenklasse zu einer abgestuften Einwohnerzahl multipliziert wird. In der Klasse bis 10.000 Einwohner beträgt dieser derzeit 1,61, bis 20.000 EW 1,66, bis 50.000 EW 2,00 und bei den heimischen

neun Städten über 50.000 EW 2,33. Der Unterschied zwischen echten und „abgestuften“ Einwohnern ist aus der Österreichkarte ersichtlich. Demnach weisen (abseits von Wien) Kärnten und Salzburg einen höheren Urbanisierungsgrad als die restlichen Bundesländer auf, was sich finanziell sehr positiv auf diese beiden Ländertöpfe (Stufe 1) auswirkt, die ja überwiegend über die abgestufte Bevölkerungszahl aller Gemeinden eines Bundeslandes dotiert werden. Der geringe Urbanitätsgrad des Burgenlandes (gemessen an den für den Bevölkerungsschlüssel relevanten Hauptwohnsitzen) hat aufgrund des aBS zur Folge, dass der Landestopf und in weiterer Folge auch die Pro-Kopf-Ertragsanteile der burgenländischen Gemeinden am geringsten ausfallen. Insgesamt hat der aBS die mit Abstand größten Auswirkungen auf Ertragsanteile je Gemeindebürger, ganz besonders auch bei der Aufteilung der Mittel innerhalb der Bundesländer (Stufe 2).

Der Fixschlüssel



Der Fixschlüssel hat vor allem auf die Dotation der Ländertöpfe (Stufe 1) große Auswirkungen. Für gut die Hälfte der Verteilung dieser Fixanteile zeichnet die KESt I verantwortlich, da die Mittel im Gegensatz zu anderen Ertragsteuern gemäß ihrem örtlichen Aufkommen (Sitzgemeinden von Kapitalgesellschaften) in die jeweiligen Ländertöpfe einfließen. Da die weitaus meisten Dividendenausschüttungen in der Bundeshauptstadt erfolgen, überrascht es wenig, dass Wien hier stark profitiert.

Im Umkehrschluss würde Wien, wenn diese KESt-I-Mittel durch eine Verteilung nach der Volkszahl ersetzt werden würden, jährlich über 200 Millionen Euro geringere Gemeinde-Ertragsanteile aufweisen und wäre der größte und gleichzeitig einzige Verlierer. Weiters beinhaltet der Fixschlüssel auch eine Verteilung von Mitteln nach dem historischen Aufkommen von Gewerbesteuer. Da diese in Salzburg, Tirol, Vorarlberg und Wien höher als anderswo ausfiel, profitieren auch die Ländertöpfe dieser Bundesländer, was in weiterer Folge auch zu höheren Pro-Kopf-Ertragsanteilen in den dortigen Gemeinden führt.

Die Grunderwerbsteuer



Diese Abgabe, deren Aufkommen 2014 rund 870 Millionen Euro betrug und sich auch weiterhin sehr dynamisch entwickelt, findet sich zwar im Katalog der gemeinschaftlichen Bundesabgaben, sie geht jedoch nicht über den allgemeinen Schlüssel von 11,883Prozent, sondern zu rund 93 Prozent an die Gemeinden. Sie ist damit von großer kommunaler Bedeutung. Bedingt durch die unterschiedlichen Preisniveaus (etwa in Westösterreich und Wien deutlich höher als in den Flächenbundesländern) ist ihr örtliches Aufkommen sehr unterschiedlich. Die landesweisen GreSt-Einnahmen pro Einwohner reichten 2014 von rund 67 Euro im Burgenland bis hin zu etwa 140 Euro in der Bundeshauptstadt. Neben Wien lagen auch die westlichen Bundesländer über dem Durchschnitt von rund 100 Euro pro Einwohner. Somit ergeben sich höhere Gesamtmittel im Ländertopf (Stufe 1), die dann weitgehend nach dem aBS auf die einzelnen Gemeinden verteilt werden (Stufe 2).

Der Getränkesteuerausgleich



Rund 440 Millionen Euro wurden 2014 aus diesem Ersatz für die im Jahr 2000 EU-bedingt abgeschaffte Getränkesteuer zuerst nach dem historischen Aufkommen auf die Ländertöpfe und anschließend nach einem Mix-Schlüssel aus Aufkommen, Urlaubernächtigungszahl und Bevölkerungsschlüssel auf die einzelnen Gemeinden verteilt.  Die höchsten durchschnittlichen Pro-Kopf-Einnahmen aus dem Getränkesteuerausgleich verzeichnen die Tourismusländer Tirol (89 Euro), Salzburg (78 Euro), Kärnten (68 Euro) und Vorarlberg (57 Euro). Die restlichen Bundesländer inkl. Wien liegen deutlich unter dem Österreich-Durchschnitt von 52 Euro pro EW. Der Getränkesteuerausgleich ist damit auch der wesentliche Grund warum Wien zwar landesweise gesehen die mit Abstand höchsten Pro-Kopf-Ertragsanteile verzeichnet (Tabelle 1), in der Größenklasse über 50.000 EW aber vor allem von Salzburg Stadt und Innsbruck überholt wird.

Wenn im Finanzausgleichsjahr 2014 bei den Gemeinde-Ertragsanteilen die Regel „Jeder Bürger ist gleich viel wert!“ gegolten hätte, wären in Tabelle 1 nicht pro-Kopf Werte von 703 Euro bis 1.354 Euro, sondern es wäre durchgängig der Wert 946 Euro (exkl. 12,7 Prozent an BZ-Mitteln) gestanden. Die Konsequenz (Gewinne/Verluste in Millionen Euro) aus einer solchen Verteilung der Gemeinde-Ertragsanteile rein nach der Einwohnerzahl im Vergleich zur bestehenden Rechtslage ist in Tabelle 2 abgebildet.



Beim aktuellen Bevölkerungszuwachs der Bundeshauptstadt würde Wien im Fall einer Umsetzung von „Jeder Bürger ist gleich viel wert!“ im Finanzausgleich ab 2017 gegenüber dem aktuellen FAG rund eine halbe Milliarde Euro an Gemeinde-Ertragsanteilen verlieren. In Relation zum Gemeindebudget noch schlimmer würde eine solche Umstellung viele Tourismusgemeinden in Westösterreich treffen. Tabelle 2 verdeutlicht die Auswirkungen auf aggregierter Ebene. Nach Einwohnerklassen betrachtet, würden die Städte über 20.000 Einwohner rund 787 Millionen Euro verlieren. Auf Ebene der Einzelgemeinden gäbe es zwar „nur“ 122 Verlierer (große Städte und Tourismuszentren), diese müssten jedoch insgesamt 811 Millionen Euro an Ertragsanteilen abgeben. Resümierend ist festzuhalten, dass sich die Forderung „Jeder Bürger ist gleich viel wert!“ zwar medial schön kommunizieren lässt, sie ist jedoch realpolitisch nicht umsetzbar. Dennoch sollte nun an der einen oder anderen Schraube gedreht werden, um wieder mehr Fairness bei der Mittelzuteilung im Finanzausgleich herbeizuführen.



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