Warum ein Gesetz nicht angewendet wird
Die steigenden Preise für das Wohnen in der Tiroler Landeshauptstadt und die dadurch verbundene Schwierigkeit der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum erfordern das Beschreiten neuer Wege. Ein solcher wurde vom Innsbrucker Gemeinderat im Bodenbeschaffungsgesetz gesehen, mit dem der große Bestand an Baulandreserven mobilisiert werden sollte. Für dessen Anwendung braucht es aber zunächst einer Verordnung der Landesregierung, mit der ein quantitativer Wohnungsbedarf oder ein qualitativer Wohnungsfehlbestand festgestellt wird.
Zu diesem Zweck beantragte der Gemeinderat der Stadtgemeinde Innsbruck im Juli 2022 bei der Tiroler Landesregierung die Feststellung eines quantifizierten Wohnungsbedarfs. Zwei Jahre lang musste sich die Stadtgemeinde für die Entscheidung der Tiroler Landesregierung gedulden. Nun liegt sie vor.
Landesregierung sieht keinen Wohnungsbedarf in Innsbruck
Zur Enttäuschung der Stadtgemeinde sieht die Tiroler Landesregierung nach Prüfung des Antrages keinen quantitativen Wohnungsbedarf in Innsbruck. Laut dem Prüfergebnis der Landesregierung waren in Innsbruck 1,74 Prozent der hauptgemeldeten Personen auf Wohnungssuche.
Nach § 4 Abs. 1 Bodenbeschaffungsgesetz hätten für einen quantitativen Wohnungsbedarf jedoch zumindest 2 Prozent der Wohnbevölkerung als Wohnungssuchende gemeldet und von der Gemeinde als solche anerkannt sein müssen. Da der gesetzlich festgelegte Wert nicht erreicht wurde, war der Antrag abzuweisen. Das Bodenbeschaffungsgesetz bleibt somit weiter unangewendet.
Damit stellt sich erneut die Frage, wie sich die Baulandüberhänge in Innsbruck mobilisieren lassen könnten. Als eine Lösung wurde seitens der Landespolitik die Vertragsraumordnung genannt. Dieses Instrument erfuhr erst diesen Sommer eine Aufwertung.
Mit einer Novellierung des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG) wurde die Vertragsraumordnung erstmals verfassungsgesetzlich verankert und soll eine erhöhte Rechtssicherheit bringen.
Mit dem neu eingefügten Absatz 5 in Artikel 15 B-VG sind die Bundesländer befugt, den Abschluss von Raumordnungsverträgen in der örtlichen Raumplanung ausdrücklich als Voraussetzung für hoheitliches Handeln, etwa bei der Flächenwidmung, vorzusehen. Inwieweit und mit welcher Konsequenz die neue Verfassungsrechtslage von den Bundesländern als für die Raumordnung zuständige Gesetzgeber aufgegriffen werden wird, ist derzeit noch nicht abschätzbar.
Woran sich die Gemeinden die Zähne ausbeißen
Im Hinblick auf die Empfehlung zur Nutzung der Vertragsraumordnung kann aber gesagt werden, dass die Vertragsraumordnung in ihrer derzeitigen Ausgestaltung – im Gegensatz zum Bodenbeschaffungsgesetz – keine Mobilisierung der vielen Baulandreserven bringen kann. Denn die meisten von ihnen sind in der Vergangenheit noch ohne Raumordnungsvertrag gewidmet worden. Und genau diese Flächen sind es, an denen sich die Gemeinden sprichwörtlich die Zähne ausbeißen. Mangels Raumordnungsvertrag lassen sich diese Grundstücke nicht mit der Vertragsraumordnung einer Bebauung zuführen.
Wie das Wort „Vertrag“ bereits erahnen lässt, braucht es für den Abschluss einen Konsens zwischen der Gemeinde und den Grundeigentümer:innen. Freiwillig werden die wenigstens Grundeigentümer:innen nachträglich einen Raumordnungsvertrag abschließen wollen.
Aus welchen Gründen sollten sich Grundeigentümer:innen aus freien Stücken nachträglich Verpflichtungen auferlegen lassen? Ohne die Bereitschaft der Grundeigentümer:innen wird es also keinen Raumordnungsvertrag geben und ohne diesen wird es auch nichts mit der Mobilisierung des Baulandes, zumindest nicht mithilfe der Vertragsraumordnung.
Um den großen Bestand an Bauland mit der Vertragsraumordnung einer Bebauung zugänglich machen zu können, benötigt es eine „Motivation“ zum nachträglichen Abschluss eines Raumordnungsvertrages.
Es gäbe einen Weg aus der Misere
Ein Weg könnte – wie im Kommunalen Bodenschutzplan des Österreichischen Gemeindebundes vorgeschlagen – die Einführung einer neuen Widmungskategorie in den Raumordnungsgesetzen sein (im Kommunalen Bodenschutzplan als „Bauerwartungsland“ bezeichnet).
Wenn Bauland nach landesgesetzlich näher zu definierenden Voraussetzungen nicht die dem Widmungszweck entsprechende Nutzung aufweist – also eine Bebauung –, darf die Gemeinde diese Fläche in die Widmungskategorie „Bauerwartungsland“ widmen. Auf dieser Fläche darf sodann vorerst nicht mehr gebaut werden. Eine Bebauung wäre erst nach Freigabe durch die Gemeinde und dem Abschluss eines Raumordnungsvertrages zulässig.
Wenn den Grundeigentümer:innen an „vollwertigem“ Bauland etwas liegt, könnte damit der Antrieb zum Abschluss eines Raumordnungsvertrages geschaffen werden. Vollständigkeitshalber sei erwähnt, dass noch geprüft werden müsste, inwieweit mit der Änderung der Widmungskategorie eine Entschädigungsverpflichtung ausgelöst werden würde.
Wenn sich die Landesgesetzgeber aufgrund der neuen verfassungsrechtlichen Regelung ohnehin schon mit der Vertragsraumordnung beschäftigen, wäre dies sogleich eine gute Gelegenheit, sich mit dem Vorschlag des Österreichischen Gemeindebundes zu befassen und die Grundlagen für eine Mobilisierung des bestehenden Baulandes zu schaffen.
Das bleibt als Fazit
Zurückkommend auf das Bodenbeschaffungsgesetz bleibt festzuhalten, dass dieses bereits heute mit dem Eintrittsrecht in Kaufverträge sowie der Enteignung Instrumente zur Mobilisierung von unbebautem Bauland anbietet. Obwohl Innsbruck zweifellos zu jenen Städten Österreichs zählt, die bei der Verfügbarkeit leistbaren Wohnraumes unter hohem Druck stehen, waren die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Bodenbeschaffungsgesetzes in Innsbruck nicht gegeben.
Der Umstand, dass es seit 50 Jahren keinen einzigen Anwendungsfall gibt, sowie die Erfahrungen aus Innsbruck sollten Anlass für einen politischen und fachlichen Diskurs sein. Dabei wird es darum gehen müssen, das Bodenbeschaffungsgesetz praktikabler auszugestalten.
Denn bevor andere Instrumente gefordert werden, sollten vorrangig die schon vorhandenen Instrumente gestärkt und nutzbar gemacht werden.