Wenn somit eine Gemeinde das Bodenbeschaffungsgesetz anwenden will, muss sie sich zunächst mit einem entsprechenden Antrag an die Landesregierung wenden.
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Bauen und Wohnen

Bodenbeschaffungsgesetz wird erstmals angewendet

Das Bodenbeschaffungsgesetz gilt als ein Beispiel für totes Recht in der österreichischen Rechtsordnung. Obwohl seit 1974 in Geltung, wurde es bisher noch nie angewandt. Knapp 50 Jahre nach seinem Inkrafttreten wagt sich Innsbruck nun an die Anwendung.

Der Innsbrucker Wohnungsmarkt ist bekanntlich ein teurer. Mittlerweile ist aufgrund der steigenden Preise das Wohnen in der Tiroler Landeshauptstadt für immer mehr Menschen kaum noch leistbar.

Bei der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum steht die Stadt vor einer schwierigen Aufgabe. Eine besondere Herausforderung stellt dabei die Mobilisierung der Baulandreserven (also gewidmetes, jedoch unbebautes Bauland) dar. Etwas mehr als 100 Hektar des gewidmeten Baulandes in Innsbruck sind aktuell nicht bebaut.

Obwohl der Boden in der Landeshauptstadt knapp ist, wollen die Eigentümer:innen ihre Baugrundstücke aus den unterschiedlichsten Gründen (zum Beispiel Vorsorge für die Kinder oder Spekulationsobjekt) nicht veräußern. Einen Hebel zur Mobilisierung dieser Flächen für die Schaffung leistbaren Wohnraums sieht die Stadt nun in der Anwendung des Bodenbeschaffungsgesetzes.

Mobilisierung von Baulandreserven

Der Bundesgesetzgeber sah sich schon Anfang der 1970er-Jahre mit einem überproportionalen Anstieg der Kosten für den Wohnbau sowie der unzureichenden Bereitstellung von Grundstücken für die Errichtung von Wohngebäuden konfrontiert.

Nachdem er dieses Problem nicht allein dem Marktmechanismus überlassen wollte, erließ er das Bundesgesetz betreffend die Beschaffung von Grundflächen für die Errichtung von Häusern mit Klein- oder Mittelwohnungen oder von Heimen (Bodenbeschaffungsgesetz), das am 29. Mai 1974 in Kraft trat.

Nach dessen § 1 haben die Länder nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes Vorsorge zu treffen, dass die Gemeinden für die Errichtung von Häusern mit Klein- oder Mittelwohnungen oder von Heimen für Ledige, Schüler, Studenten, Lehrlinge, jugendliche Arbeitnehmer oder für betagte Menschen unbebaute Grundstücke, die baureif sind oder baureif gemacht werden können, sowie Ergänzungsgrundstücke beschaffen.

Nach der Intention des Gesetzgebers soll das Bodenbeschaffungsgesetz den Gemeinden die Beschaffung von unbebauten Baugrundstücken für die Wohnraumschaffung erleichtern. Dafür sieht das Bodenbeschaffungsgesetz zwei Zwangsmaßnahmen vor: das Eintrittsrecht gemäß § 6 Bodenbeschaffungsgesetz sowie die Enteignung gemäß §§ 7 ff Bodenbeschaffungsgesetz. 

Quantitativer Wohnungsbedarf oder qualitativer Wohnungsfehlbestand

Damit von diesen Maßnahmen Gebrauch gemacht werden kann, braucht es zunächst aber die Feststellung, dass in der Gemeinde ein quantitativer Wohnungsbedarf oder ein qualitativer Wohnungsfehlbestand besteht.

Nach § 4 Abs. 1 Bodenbeschaffungsgesetz liegt ein quantitativer Wohnungsbedarf vor, wenn in einer Gemeinde die Zahl der vorhandenen und der im Bau befindlichen Wohnungen die Zahl der Haushalte um nicht mehr als drei Prozent übersteigt oder in einer Gemeinde zwei Prozent der Wohnbevölkerung als Wohnungssuchende gemeldet und von der Gemeinde als solche anerkannt sind.

Ein qualitativer Wohnungsfehlbestand liegt gemäß § 4 Abs. 2 Bodenbeschaffungsgesetz vor, wenn in einer Gemeinde die Zahl der mangelhaft ausgestatteten Wohnungen mehr als zehn Prozent der Zahl der vorhandenen Wohnungen beträgt. Als mangelhaft ausgestattet gelten Wohnungen mit Wasserentnahme oder Toilette außerhalb derselben (sogenannte Substandardwohnungen). 

Baugerüst und -plan
Ein qualitativer Wohnungsfehlbestand liegt gemäß § 4 Abs. 2 Bodenbeschaffungsgesetz vor, wenn in einer Gemeinde die Zahl der mangelhaft ausgestatteten Wohnungen mehr als zehn Prozent der Zahl der vorhandenen Wohnungen beträgt. Bild: Francesco Scatena - stock-adobe.com

Die Feststellung, ob in einer Gemeinde ein quantitativer Wohnungsbedarf oder ein qualitativer Wohnungsfehlbestand vorliegt, ist von der Landesregierung zu treffen. 

Wenn somit eine Gemeinde das Bodenbeschaffungsgesetz anwenden will, muss sie sich zunächst mit einem entsprechenden Antrag an die Landesregierung wenden.

Die Feststellung eines quantitativen Wohnungsbedarfes oder eines qualitativen Wohnungsfehlbestandes erfolgt durch Verordnung der Landesregierung. Aufgrund der Verordnung der Landesregierung kann die Gemeinde sodann im Verordnungs­wege festlegen, dass in ihrem ganzen Gemeindegebiet oder in bestimmten Teilen ihres Gemeindegebietes das Bodenbeschaffungsgesetz zur Anwendung gelangt. Dabei können die Gemeinden aber nicht uneingeschränkt das gesamte Gemeindegebiet zum Bodenbeschaffungsgebiet erklären. Vielmehr hat die Gemeinde darauf zu achten, dass das Bodenbeschaffungsgebiet nur in jenem Ausmaß festgelegt wird, als dies für die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum unbedingt erforderlich ist. 

Eintrittsrecht und Enteignung

In den von einer Gemeinde verordneten Bodenbeschaffungsgebieten steht ihr das Eintrittsrecht zur Verfügung. Dieses ermöglicht einer Gemeinde, in Kaufverträge über unbebaute Baugrundstücke anstelle des Dritten einzutreten, sofern sie diese Grundstücke für Wohnbauzwecke oder für öffentliche Zwecke, die sie wahrzunehmen hat, benötigt.

Das Eintrittsrecht nach dem Bodenbeschaffungsgesetz ist ein gesetzliches Vorkaufsrecht der Gemeinde. Als solches verpflichtet es die Liegenschaftseigentümer:innen, vor dem beabsichtigten Verkauf eines im Bodenbeschaffungsgebiet gelegenen Grundstücks dieses zunächst der Gemeinde zum Kauf anzubieten.

Dementsprechend sieht § 26 Abs. 1 Bodenbeschaffungsgesetz vor, dass die verkaufenden Grundeigentümer:innen vor dem Verkauf an einen Dritten den Kaufvertrag der Gemeinde vorzulegen haben. Die Gemeinde hat dann binnen einem Monat den Eigentümer:innen mitzuteilen, ob sie in den Kaufvertrag eintreten möchte.

Mit dem Eintritt kommt der Verkauf an die Gemeinde rechtswirksam zustande, womit die Gemeinde in gleicher Weise berechtigt und verpflichtet ist wie der Dritte.

Sollte der im Kaufvertrag festgehaltene Kaufpreis nicht angemessen sein, kann die Gemeinde die Bezirksverwaltungsbehörde zur Festlegung eines angemessenen Kaufpreises anrufen. Damit soll möglichen Umgehungen durch das Verlangen eines unangemessenen Preises begegnet werden. 

Als zweite Zwangsmaßnahme sieht das Bodenbeschaffungsgesetz die Enteignung gegen Entschädigung vor. Diese darf dann in Anspruch genommen werden, wenn die Liegenschaftseigentümer:innen den Verkauf oder die Einräumung eines Baurechts ablehnen oder ein offenbar nicht angemessenes Entgelt begehren.

Dafür hat die Gemeinde einen Enteignungsantrag bei der Bezirksverwaltungsbehörde einzubringen. Zuständig ist jene Bezirksverwaltungsbehörde, in deren Wirkungsbereich sich das zu enteignende Grundstück befindet. 

Über die Enteignung hat die Bezirksverwaltungsbehörde mit Bescheid zu entscheiden und in diesem gleichzeitig auch über die Höhe der Entschädigung – unter Anwendung der Bestimmungen des Eisenbahn-Enteignungsentschädigungsgesetzes – abzusprechen. 

Status quo

Nach Beschlussfassung im Innsbrucker Gemeinderat im Juli 2022 brachte die Stadt den Antrag zur Feststellung eines quantitativen Wohnungsbedarfes bei der Tiroler Landesregierung ein. Die Stadt argumentiert, dass zum Stichtag 1. Februar 2022 in Innsbruck 5.112 Personen auf Wohnungssuche waren. Diese Zahl übersteige demnach die nach § 4 Abs. 1 Bodenbeschaffungsgesetz geforderten zwei Prozent der Wohnbevölkerung. Nach der Antragstellung liegt der Ball derzeit bei der Tiroler Landesregierung, die nun über den Antrag der Stadt Innsbruck zu entscheiden hat. 

Das Bodenbeschaffungsgesetz sieht weitreichende Eingriffe zur Beschaffung von unbebauten Baugrundstücken für den Wohnbau vor, die mit dem grundrechtlichen Eigentumsschutz in einem Spannungsverhältnis stehen. Für eine Gemeinde gibt es wahrlich schönere Aufgaben als mit Zwangsmaßnahmen in die Eigentumsrechte ihrer Bürger:innen einzugreifen. Hinzu kommen die mangels bisheriger Anwendungsfälle bestehenden rechtlichen Unsicherheiten bei der Anwendung. 

So fehlt es nicht nur an Judikatur zur Verfassungskonformität der Bestimmungen des Bodenbeschaffungsgesetzes zu den Zwangsmaßnahmen, sondern auch an Erfahrungswerten zu dem mit dem Vollzug verbundenen Aufwand. Innsbruck setzte mit der Antragstellung bei der Tiroler Landesregierung einen ersten Schritt zur Belebung des bereits totgesagten Bodenbeschaffungsgesetzes. Der Leidensdruck im Kampf um leistbaren Wohnraum war nun offenbar groß genug, um die Stadt mit dem Bodenbeschaffungsgesetz ein politisch heikles und rechtlich nicht unbedenkliches Feld betreten zu lassen. 

Ob es mit dem Vorstoß in Innsbruck einen Präzedenzfall des Bodenbeschaffungsgesetzes geben wird, hängt nunmehr von der Entscheidung der Tiroler Landesregierung und dem weiteren Mut der Landeshauptstadt ab. Vorerst bleibt damit der erste Anwendungsfall von Zwangsmaßnahmen nach dem Bodenbeschaffungsgesetz mit Spannung abzuwarten.