Von einem guten Abkommen profitieren die BürgerInnen und die Wirtschaft

Die NEOS stehen für die Liberalisierung der Wirtschaft. Aber auch von hier kommen bei TTIP Einschränkungen, wie Angelika Mlinar, Delegationsleiterin der NEOS im Europäischen Parlament, im Gespräch meint. Die Vorteile eines Abkommens überwiegen jedoch bei weitem.

KOMMUNAL: Was sind Ihrer Ansicht nach die Gründe, warum die EU das TTIP-Abkommen abschließen sollte?

 

Angelika Mlinar NEOs





Angelika Mlinar: Wir NEOS hal­ten Frei­han­del für ei­nen we­sent­li­chen Fak­tor der wirt­schaft­li­chen Gestaltungsmöglichkeit und wir be­ken­nen uns zum Han­del, als ei­nen der Ga­ran­ten für ein fried­li­ches Mit­ein­an­der. TTIP ist ein Pro­jekt, der die­se Idee zu Grun­de liegt. Ein Freihandelsabkommen mit den USA, das Wachstum und Jobs schafft und hohe europäische Standards festschreibt, wäre ein wichtiger Schritt in Richtung globaler Wettbewerbsfähigkeit. In dessen Rahmen könnten wir hohe Umwelt- und Sozialstandards global festlegen, für Fairness im internationalen Wettbewerb sorgen sowie nachhaltig Entwicklungspolitik betreiben. Wenn wir uns jetzt mit den USA auf gemeinsame Standards einigen können, dann besteht die Chance, diese als globale Kriterien festzulegen. Sonst werden dies andere Wirtschaftsblöcke, wie zum Beispiel China, tun.



 



 



Was genau ist der Gegenstand des Abkommens?



Die Verhandlung zu TTIP konzentrieren sich überwiegend auf drei Säulen: Marktzugang (z.B. Zölle und Beschaffungswesen), regulatorische Komponenten (nicht-tarifäre Handelshemmnisse wie Quoten, technische Normen und Standards) und Vorschriften bzw. Regeln (z.B. Wettbewerb, Beschäftigung oder Ursprungsregeln für Waren). Auf Basis dieser drei Säulen werden in unterschiedlichen Sektoren Zölle gesenkt, Marktzutritte vereinfacht, bürokratische Prozesse optimiert, technische Standards harmonisiert und weitere Maßnahmen getroffen, um den Handel zwischen den beiden Partnern nachhaltig zu fördern. Welche Sektoren in welchem Ausmaß Teil eines TTIP Abkommens sein werden und wo es Ausnahmen für sensitive Bereiche geben wird, ist zurzeit noch Gegenstand von Verhandlungen. Sicher ist nur –  und dies wurde von europäischen Vertretern mehrmals festgehalten - dass europäische Standards, besonders im Lebensmittel-, Gesundheits- und Umweltbereich nicht gesenkt werden und es zu keiner Aushöhlung europäischer Gesetzgebung in diesen Bereichen kommen wird.



 



Es liegt auf der Hand, dass TTIP für die Wirtschaft wichtig ist, aber welche Auswirkungen hat TTIP auf die Menschen?



Unabhängigen Studien und Experten haben bestätigt, dass TTIP sowohl die europäische als auch die amerikanische Wirtschaft maßgeblich ankurbeln kann – bis zu 120 Milliarden Euro Profit kann TTIP der EU bringen. Vereinfachter Marktzugang und Abbau von Handelshemmnissen wird zu erhöhten Exporten für Unternehmen führen – dies ist gerade für Klein- und Mittelunternehmen ausgesprochen wichtig, da diese aufgrund fehlender finanzieller Kapazitäten oft besonders unter solchen Handelsbeschränkungen leiden. Und gerade KMU, aber auch große Unternehmen, geben diese Vorteile wieder an die Gesellschaft weiter, durch geringe Preise, Schaffung von Arbeitsplätzen und Konsumankurbelung. Außerdem soll das geplante Abkommen die Innovationsfähigkeit von Unternehmen steigern. Wenn beide Seiten bei der Entwicklung von Standards für Zukunftstechnologien enger kooperieren, lassen sich Neuerungen schneller auf dem transatlantischen Markt einführen. Davon werden vor allem innovative österreichische Unternehmen profitieren.  Von einem gut ausgehandelten Abkommen mit hohen Standards werden die europäischen Bürger_innen genauso profitieren wie die Privatwirtschaft.



 



Wieso warnen Ihrer Meinung nach Institutionen wie US-amerikanische Gewerkschaften vor Abkommen wie diesem? In Gesprächen mit Vertretern der Gewerkschaften Kanadas und der USA können diese ja Erfahrungswerte der NAFTA-Abkommen ins Feld führen.



Gewerkschaften verhalten sich traditionell sehr skeptisch gegenüber Freihandelsabkommen. Sie fürchten, dass arbeitsrechtliche Standards und soziale Absicherungen unterlaufen werden und es zu Verlusten von Arbeitsplätzen im eigenen Land kommt. All dies sind ja auch berechtigte Einwürfe, die unter keinen Umständen zutreffen dürfen. Daher macht die Kommission auch klar, dass  die hohen Sozial- und Arbeitsstandards in den TTIP Verhandlungen aufrecht erhalten bleiben, um die europäischen Bürger_innen zu schützen.



 



Glauben Sie, dass geäußerte Befürchtungen über negative Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse der Menschen zutreffen? Dinge wie "Mutterschutz" können ja in Europa eigentlich nicht zur Disposition stehen?



Der Mutterschutz steht nicht zur Disposition und hat mit dem Freihandelsabkommen auch nichts zu tun. Genauso verhält es sich übrigens auch mit den Lebensmittel-Standards. Die Zulassung des viel zitierten Hormonfleischs, Chlorhuhns oder genetisch veränderter Lebensmittel steht bei den Verhandlungen nicht zur Debatte. Die jeweiligen dieser grundlegenden Gesetze zum Schutz von Menschen, Tieren oder Umwelt werden von der EU nicht aufgehoben. Dass diese Bilder TTIP zugerechnet werden, ist kreativer medialer Arbeit zuzuschreiben. Fakt ist, dass die EU-Kommission nicht entscheiden kann, welche Produkte oder Lebensmittel auf den europäischen Markt dürfen. Denn das wird nach einer Prüfung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA im europäischen Parlament beschlossen und im Falle von TTIP zusätzlich noch in allen nationalen Parlamenten.



Bei den regulatorischen Harmonisierungen geht es somit nicht um eine Senkung unserer Standards, sondern darum, unterschiedliche Normen, technische Standards oder auch Zulassungsverfahren überall dort anzunähern, wo sich bürokratische Hemmnisse reduzieren lassen, ohne den Verbraucher- oder Umweltschutz zu beeinflussen. Dies ist für den Handel außerordentlich wichtig, da die EU und die USA bei ihrer Gesetzgebung oft die selben Ziele verfolgen, allerdings durch unterschiedliche Maßnahmen. Dieses Problem kann man vor allem im Automobilsektor beobachten: Hier sind die Standards und Sicherheitsvorschriften in beiden Ländern außerordentlich hoch, allerdings oft sehr unterschiedlich. Dies führt dazu, dass Unternehmen unterschiedlichen Produktanforderungen oder sogar doppelten Zulassungstests ausgesetzt sind. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen in Österreich stellt dies einen beträchtlichen Kostenfaktor dar, der viele von ihnen vor Exporten in die USA zurückschrecken lässt.



 



Warum werden die Verhandlungen unter einer derartigen Geheimhaltung geführt? So eine In-Transparenz kann ja eigentlich nur schädlich sein?



Die Kommission hat die Geheimhaltung der Verhandlungen damit begründet, dass man die eigenen Verhandlungspositionen gegenüber den USA nicht offenlegen wolle, um effektiver verhandeln zu können. Die Intransparenz rund um die bürgerfernen Verhandlungen verursacht jedoch berechtigtes Misstrauen und vergrößert die Kluft zwischen der EU und ihren Bürger_innen. Das kritisieren wir scharf.



Einen Schritt in die richtige Richtung in Sachen Transparenz hat kürzlich die liberale EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström gemacht. Erstmals veröffentlicht sie Originaldokumente zum Freihandelsabkommen. Neben den sehr technischen Textvorschlägen veröffentlichte die EU auch eine ganze Reihe leichter lesbarer "Positionspapiere" zu verschiedenen Themen, darunter die Kennzeichnung von Textilien und die Position bei Regeln für die Autoindustrie. Auch zum Thema Investorenschutz und internationale Schiedsgerichte (ISDS) gibt es solch ein erklärendes Papier, allerdings keinen konkreten Textvorschlag. Die Kommission will allerdings im Laufe der Verhandlungen weitere Dokumente veröffentlichen.  Wir sind zuversichtlich, dass durch diese Veröffentlichungen eine faktenbasierte Diskussion über TTIP möglich wird. Wir NEOS fordern jedenfalls, dass TTIP unter umfassender Bürger_innenbeteiligung verhandelt werden soll, mit dem Ziel die Möglichkeit für andere Länder zu schaffen diesem modernen Freihandelsabkommen beizutreten. ​Essentiell dafür sind die notwendige Transparenz und ehrliche Bürger_inneneinbindung.​ Alle Mit­glie­der des Eu­ro­päi­schen Par­la­ments, als le­gi­ti­me Ver­tre­ter_innen der eu­ro­päi­schen Bür­ger_in­nen, müs­sen um­fas­send über die Ver­hand­lun­gen in­for­miert wer­den. Denn Ver­hand­lun­gen hin­ter ver­schlos­se­nen Tü­ren wer­den nie und nim­mer die Zu­stim­mung der Öffent­lich­keit fin­den.



 



Wie stehen Sie zu den ISDS-Klauseln und der Vermutung, dass die Schiedsgerichte mit Lobbyisten besetzt sind?



Internationale Investitionsstreitigkeiten und völkerrechtlich geregelter internationaler Handel bedürfen effizienter Streitbeilegungsmechanismen. Nationale Gerichte, die an nationale Gesetze gebunden sind, reichen in bestimmten Fällen für die Einhaltung internationaler Rechtsstaatlichkeit nicht aus. Es stimmt jedoch, dass das weit verbreitete System der Schiedsgerichtbarkeit derzeit intransparent und zu teuer ist und nicht den aktuellen rechtsstaatlichen Ansprüchen entspricht. Wichtig ist dabei folgendes zu beachten: Derlei Abkommen mit Klauseln zur Streitbeilegung und zur Schiedsgerichtsbarkeit sind nichts neues, sondern Teil der meisten bilateralen und auch multilateralen Abkommen. Allein Österreich hat über 60 bilaterale Handelsabkommen, aus denen bisher noch nie Klagen gegen die Republik Österreich erwirkt wurden. Auch die europäische Union hat zurzeit bereits 1400 bilaterale Vereinbarungen, die meisten davon beinhalten eine ISDS Klausel. Weltweit wurden bis heute allerdings erst 568 Fälle registriert, von denen 274 auch abgeschlossen sind. 43% der abgeschlossenen Fälle wurden dabei zu Gunsten der jeweiligen Staaten entschieden, nur 31% zu Gunsten der Investoren. Bei den übrigen Fällen kam es zu außergerichtlichen Einigungen. Dies zeigt, dass die Schiedsgerichte keinesfalls einseitige Rechtsprechung auf Seiten von Investoren betreiben. Des Weiteren sollte beachtet werden, dass sich Klagen von Investoren fast ausschließlich (zu 90%) nicht gegen schon bestehende nationale Gesetze richten und somit das gängige Rechtssystem untergraben wollen, sondern gegen administrative Handlungen der vollziehenden Regierungsgewalt – so zum Beispiel gegen Enteignungen, Vertragsbrüche, oder Lizenzentziehungen. Entgegen gängiger Meinung können Schiedsgerichte auch niemals staatliche Maßnahmen aufheben oder rückgängig machen, sondern lediglich Entschädigungen für Vertragsverletzungen aussprechen.



Allerdings muss das aktuell verbreitete ISDS-System dringend reformiert werden, besonders in Bezug auf Transparenz und Berufungsmöglichkeiten. Langfristig fordern wir NEOS daher die Einsetzung eines ständigen Gerichtshofes für Investitionsstreitigkeiten. Ein solcher ständiger Gerichtshof mit hauptamtlich angestellten Richtern, Berufungsmöglichkeiten und erstmalig entsprechenden Interventionsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft zur Anhörung sozialer und ökologischer Bedenken soll die internationale Rechtsstaatlichkeit garantieren. Die Unabhängigkeit der (Schieds-)Richter, umfassende Transparenz, eine Berufungsmöglichkeit sowie weitere Standards moderner Rechtsstaaten werden für kohärente und angemessene Urteile sorgen.



 



Grundsatzfrage: Darf es sein, dass die Gesetzgebung hinter den Ertragszielen eines Unternehmens zurückstehen muss? Stichwort "Vattenfall-Klage" oder auch "Philip Morris gegen Australien", wo es ja in beiden Fällen um Verfahren nach ISDS geht.



Generell gilt, dass mit ISDS-Klauseln in Handelsabkommen allen Marktteilnehmern die gleichen Einspruchsrechte zugesprochen werden. Wenn Firmen (übrigens auch zu einem bedeutenden Teil kleine und mittlere Unternehmen)  in einem Land investieren und dann Gesetze geändert werden, die die Investitionen schädigen, dann ist der Ärger durchaus verständlich, und sie haben ein Recht auf Schadenersatz zu klagen. Ob diese Klageanstrengungen nun gerechtfertigt sind oder nicht, müssen und werden in diesen Fällen die Schiedsgerichte entscheiden, wobei niemals ein Anspruch auf Entschädigung wegen entgangener Gewinnerwartungen der Investoren besteht und auch keine Gesetzesänderung erzwungen werden kann. Aber was genau bei einem solchen Prozess verhandelt wird und was in diesem vor sich geht, bleibt uns verborgen - weil wir eben leider keine Transparenz haben. Diesem Umstand könnten wir mit dem bereits erwähnten ständigen Gerichtshof für Investitionsstreitigkeiten entgegenwirken.



 



Die jüngsten Enthüllungen über mögliche systematische Einflussnahmen in die Europäische Gesetzgebung hat das Vertrauen in TTIP nicht unbedingt gehoben. Wie stehen Sie zu diesen Punkten?



Eine systematische Einflussnahme auf die europäische Gesetzgebung würden wir natürlich entschieden ablehnen. Bei TTIP steht eine solche Einflussnahme jedoch nicht zur Debatte, sondern es ist lediglich ein Regulierungsrat angedacht. Dieser soll ermöglichen, dass sich Experten aus der EU und den USA in einer festen Struktur über den besten Regulierungsansatz austauschen. Ziel ist es dabei, eine effektivere Form der Zusammenarbeit zu finden, die unnötige regulatorische Handelshindernisse im Vorfeld identifiziert.  Täte man dies nicht, würden wieder neue Hemnisse entstehen und die bisherige Arbeit nutzlos. Klar ist aber, dass der Regulierungsrat weder im Alleingang Regeln setzen noch das normale Gesetzgebungsverfahren aushebeln kann.



 



Die Gemeinden befürchten, dass durch TTIP ein massiver Druck in Richtung Privatisierung ausgeübt wird. Leistungen der Daseinsvorsorge wie Wasserver- und Abwasserentsorgung oder das Transportwesen haben schon in der Vergangenheit Begehrlichkeiten geweckt. Wie stehen Sie dazu?



Wir als NEOS sind natürlich gegen jegliche Privatisierung der Daseinsvorsorge in Österreich. Allerdings ist dies auch nicht Teil der TTIP Verhandlungen, dies hat die Kommission in ihrem Positionspapier nochmals bekräftigt. In der EU existieren Monopole für die öffentliche Daseinsvorsorge auf allen Verwaltungsebenen, einschließlich Gemeinden. Diese sind auch in allen bilateralen und regionalen Freihandelsabkommen – auch den bereits existierenden – verankert. Mitgliedstaaten werden nicht verpflichtet, Dienstleistungen des öffentlichen Sektors, wie zum Beispiel Gesundheitswesen oder Bildungswesen, zu liberalisieren. Es werden nur solche Dienstleistungen liberalisiert, die auch von den einzelnen Mitgliedstaaten freigegeben werden.