Europarat in Straßburg
In den 46 Mitgliedsstaaten des Europarates gibt es rund 150.000 Gemeinden.
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Unterschiedliche Systeme -Wie werden Gemeinderäte und Bürgermeister gewählt?

Genau so unterschiedlich wie die Aufgaben der Gemeinden in Europa, sind auch die Wahlmodelle und die Ausprägung des Föderalismus. Ein Lokalaugenschein von Bürgermeisterdirektwahl bis hin zur direkten Demokratie.

Sie heißen Alcalde, Sindaco, Mayor, Maire, Starosta, Polgármester, Župan, Linnapea, Kaupunginjohtaja oder Bürgermeister, sie wirken als consejera, Consigliera comunale, councillor, conseillère municipale, Zastupitelka, Képviselö, Obcinska svetnica, Linnavolikogu liige, Kunnanvaltuutettu oder Gemeinderätin. Und sie haben eines gemeinsam: Sie sind die Knoten eines Netzes bürgernaher demokratischer Selbstverwaltung im Dienste der Bürgerinnen und Bürger in über 150.000 Gemeinden und Städten der 46 Mitgliedstaaten des Europarates.
Sie erfüllen die Gemeindeautonomie und die lokale Demokratie mit Leben und verwirklichen damit einen wesentlichen Bestandteil unseres europäischen Gesellschaftsmodells, der gewählten Institutionen auf Gemeinde-, Landes- und nationaler Ebene, eingebettet in ein größeres europäisches Ganzes.

Diese gemeinsamen europäischen Werte und Standards kommen in der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung zum Ausdruck, die in allen 46 Staaten des Europarates gilt und in Österreich am 1. September 1988 in Kraft getreten ist. 

Aufgaben der Gemeinden

Nach Art 3 und 4 dieser Charta sollen die Gemeinden „einen wesentlichen Teil der öffentlichen Aufgaben unter ihrer eigenen Verantwortung regeln und wahrnehmen“ und neben ihrem eigenen Wirkungsbereich auch Aufgaben des Bundes oder der Länder wahrnehmen. Auch in diesen Bereichen sollen Spielräume bei der Anpassung an lokale Gegebenheiten bestehen und nicht überschießende Aufsicht und Weisungen ein zu enges Korsett schaffen.

Typische Gemeindeaufgaben sind etwa die örtliche Raumordnung, Baupolizei, kommunale Infrastruktur (Wasser, Abwasser, Verkehr, Sportstätten und Freizeitanlagen), Schul- und Kindergartengebäude, Senioren- und Sozialwesen, Wählerlisten und Durchführung von Wahlen, um nur einige zu nennen.

Ausgaben für Gemeinden im Vergleich

Die Bedeutung der Rolle der Gemeinden zeigt sich im kommunalen Anteil an den öffentlichen Ausgaben. In Österreich beträgt der Anteil der Gemeinden 14,9 %, jener der Länder 15,5 % und der des Bundes 69,6 % (OECD, 2022). In Dänemark sind die Gemeinden für 64,3 % der öffentlichen Ausgaben verantwortlich, in Schweden für 48,6 in Finnland für 40,9, in der Tschechischen Republik für 28,2 %, im Zentralstaat Frankreich für 18,9 %, im föderalistischen Deutschland 17,1 % (Länder: 22,6 %) und in Belgien 12,9 % (Regionen 32,4 %). 

Ganz am Ende stehen die Gemeinden in Irland (9,64 %), Griechenland (7,3 %), wo der Löwenanteil der Auf- und Ausgaben von staatlichen Stellen verwaltet wird. 

In unserem Nachbarland Ungarn zeigen sich die Auswirkungen einer Gemeindereform mit starker Zentralisierung eindrucksvoll in Zahlen. Der Anteil der Ausgaben der Gemeinden an öffentlichen Ausgaben schrumpfte von langjährigen rund 25 % durch Kompetenzänderungen ab dem Jahr 2011 kontinuierlich und liegt seit 2021 unter 12 %, also bei weniger als der Hälfte.  

Wahlsysteme

Unterschiedlich sind die Rahmenbedingungen, unter denen die Gemeindemandatarinnen und -mandatare ihre Aufgaben erfüllen. Während Vertretungskörper direkt gewählt werden, können Bürgermeister entweder direkt (Deutschland seit den 1990er Jahren, Italien seit 1993, Ungarn, Portugal, Schweiz oder Malta) oder von den Gemeindevertretungen (Andorra, Spanien, Tschechische Republik, Frankreich) gewählt werden. Beide Modelle kommen auch im Bundesstaat Österreich vor, europaweit ist ein Trend zur Direktwahl zu erkennen. 

Eine Ausnahme bildet das System in den Niederlanden, wo die Stelle als Bürgermeister (burgemeester) öffentlich ausgeschrieben wird und der Gemeinderat dem Innenministerium eine Person als Bürgermeister vorschlägt, die dann vom König durch Dekret ernannt wird. Da es sich nicht um gewählte Mitglieder des Gemeinderates handelt, fehlt hier die demokratische Legitimation, und das Format entspricht eher einem Zeitbeamten. Allerdings ist der burgemeester Vorsitzender des Gemeinderates. 

Diese Funktion wird in Schweden und Finnland von einem gewählten Mitglieder des Gemeinderates ausgeübt, während in vielen anderen Staaten, auch in Österreich, der Bürgermeister/die Bürgermeisterin die Gemeinderatssitzungen leitet. 

Dauer der Wahlperiode

Die Dauer der Wahlperioden in den einzelnen Staaten zeigt ein breites Spektrum. Sie beträgt vier Jahre z. B. in Estland, Finnland, Liechtenstein, Tschechien, Schweden, Slowenien oder Spanien, fünf Jahre in Belgien, Italien und Ungarn, sechs Jahre in Bayern, Frankreich und Luxemburg, acht Jahre in Baden-Württemberg und Brandenburg und fünf oder sechs Jahre in Österreich. Rekordhalter sind wohl die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister im Saarland, die in geheimer und direkter Volkswahl für eine Amtszeit von zehn Jahren gewählt werden (§31 Abs 2 des Kommunalselbstverwaltungsgesetzes des Saarlandes).

Nur wenige Staaten kennen Begrenzungen der Funktionsperioden für Bürgermeister. In Gemeinden in Italien mit bis zu 5.000 Einwohnern gibt es keine Begrenzung für die Anzahl der Amtszeiten. In Gemeinden mit 5.000 bis 15.000 Einwohnern dürfen Bürgermeister für drei Amtszeiten hintereinander gewählt werden, in größeren Gemeinden für zwei Amtszeiten. Keine Begrenzungen kennen Frankreich, Liechtenstein, Luxemburg, Slowenien, Tschechische Republik oder Ungarn und viele andere Staaten.   

Wahlgesetze

Wahlgesetze sind in den meisten europäischen Staaten dem nationalen Gesetzgeber vorbehalten. So finden etwa in Frankreich, Polen oder Spanien die Gemeindewahlen landesweit am selben Tag nach denselben nationalen Regeln statt.

In Föderalstaaten wie Deutschland, Österreich und der Schweiz sind die Gemeinde(wahl)ordnungen und die Festlegung der Wahltermine Ländersache.

Im stark föderalisierten Königreich Belgien legt die nationale Ebene die Termine für Europa-, nationale und regionale Parlamentswahlen und die Wahlen für die zehn Provinzen und die 581 Gemeinden fest. Die inhaltliche Gestaltung der Gemeindewahlordnungen obliegt jedoch den drei Regionen, der Hauptstadtregion Brüssel mit 19 Gemeinden, Flandern (300) und Wallonie (253) sowie der Deutschsprachigen Gemeinschaft Ostbelgien mit neun Gemeinden. Diese Gestaltungsfreiheit nutzte etwa Flandern für die Einführung eines strikten Kalenders für die Bildung von Mehrheiten in den Stadt- und Gemeinderäten, der erstmals nach den Kommunalwahlen vom 13. Oktober 2024 in Kraft trat. Das neue Wahldekret in Flandern gibt jener Liste, die nach den Wahlen die meisten Stimmen hat, für zwei Wochen lang das Initiativrecht zur Bildung einer Koalition. Sofern diese Verhandlungen ergebnislos verlaufen, war ab 21. Oktober 2024 die zweitgrößte Partei am Zug, wenn diese scheitert, ist die drittgrößte dran, und so weiter.

In fast allen 300 flämischen Gemeinden wurde in den ersten zwei Wochen eine Einigung über die künftige Mehrheit im Stadt- oder Gemeinderat erzielt. In einigen wenigen Städten und Orten brauchte es mehr Zeit. In Kortrijk dauerte es bis zum 13. November 2024, ehe eine Einigung der drei mandatsstärksten Parteien präsentiert werden konnte. In Antwerpen hätte die N-VA (23 Sitze von 55) nach zwei Wochen der zweitplatzierten linken PVDA (12 Sitze) das Initiativrecht überlassen müssen, deren Spitzenkandidat hatte aber angekündigt, vom Initiativrecht keinen Gebrauch machen, sondern es der drittplatzierten Vooruit-Liste (7 Sitze) überlassen zu wollen. Erst am 14. Dezember 2024 präsentierten N-VA und Vooruit ihre Koalitionseinigung. Wie sich die neue Fristsetzung in Flandern insgesamt bewährt hat, ist jetzt zu bewerten.

Schriftliche Stimmrechtsübertragung

Belgien und Frankreich kennen eine weitere Besonderheit, nämlich die schriftliche Stimmrechtsübertragung. Im belgischen Flandern wurden im Schnitt der letzten Jahre etwa drei Prozent der Stimmen durch Übertragung abgegeben. Da fiel es bei der letzten Kommunalwahl im Oktober 2024 natürlich auf, dass im flämischen Ninove über 7 % durch Bevollmächtigte abgegeben wurden. Die Staatsanwaltschaft nahm inzwischen Ermittlungen wegen Wahlbetrugs auf. Die Tatsache, dass in Ninove sehr viel mehr Stimmen durch Bevollmächtigte abgegeben wurden als anderswo, sei nicht unbedingt verdächtig, hieß es, aber die Staatsanwaltschaft habe alle Vollmachten inklusive der dazugehörenden ärztlichen Atteste in Ninove beschlagnahmt.

Die Staatsanwaltschaft hatte im Dezember 2024 noch nicht mitgeteilt, gegen wen sie ermittelt. Bekannt ist aber aus dem Wahlkampf, dass die rechtsradikale und Vlaams Belang-nahe lokale Partei Forza Ninove, die die absolute Mehrheit erlangte, mit Nachdruck auf Vollmachten gesetzt hatte und mit 508 Stimmen über der absoluten Mehrheit liegt. Die Stimmabgabe über Vollmachten könnte dabei eine Rolle gespielt haben.

Austrittsrecht für liechtensteinische Gemeinden

Ein Kuriosum findet sich im Fürstentum Liechtenstein: Seit 2003 haben die liechtensteinischen Gemeinden das Recht, gemäß Art 4 Abs 2 der Liechtensteinischen Verfassung, ein Verfahren für das Verlassen des Staatsverbandes einzuleiten. Die Einführung des Austrittsrechts bricht mit dem in der Konstitutionellen Verfassung von 1862 genannten Verfassungsgrundsatz («Das Fürstentum Liechtenstein bildet […] ein unteilbares und unveräusserliches Ganzes») – ein Satz, der sich in den Verfassungen zahlreicher Staaten findet. Unmittelbare Rechtswirkungen zeitigt Artikel 4 Absatz 2 der Verfassung jedoch keine. Die Gemeinden wurden weder gestärkt noch lassen sich Spaltungstendenzen erkennen. 

Kommunale Selbstverwaltung entwickelt sich weiter

All das zeigt, dass die kommunale Selbstverwaltung in den einzelnen Staaten kein einheitliches Modell von der Stange ist, sondern sich dynamisch entwickelt und neue Formen hervorbringt. Wählen mit 16 wurde ja auch im Burgenland zunächst für Gemeindevertretungs- und Bürgermeisterwahlen eingeführt und dann auf Landtags-, Nationalrats- und Europaparlamentswahlen ausgedehnt. Dieses Innovationslabor mit engagierten Gemeindepolitikerinnen und -politikern, die auch im Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarates und im Europäischen Ausschuss der Regionen international vernetzt sind, treibt die Demokratieentwicklung in Europa voran! 

Der Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarates: https://www.coe.int/en/web/congress/home

Der Europäische Ausschuss der Regionen der Europäischen Union: https://cor.europa.eu/de

Der Beitrag erschien in gekürzter Form in der Ausgabe 1/2025 der NÖ Gemeinde.