Mödlhammer mit Ottenbacher vor der Presse
Gemeindebund-Präsident Helmut Mödlhammer und die Stuhlfeldner Bürgermeisterin Sonja Ottenbacher präsentierten die Bürgermeisterinnenstudie.

Unglaublich viel Potenzial bleibt ungenutzt

17. August 2016
Nur 146 von 2100 Gemeinden haben eine Bürgermeisterin. Der Gemeindebund präsentierte eine Studie über weibliche Gemeindechefinnen. Dabei wird deutlich, dass die schlechte Absicherung und die mangelhafte Vereinbarkeit ein Hemmschuh sind. Ein Problem ist, dass Frauen sich das Amt oft nicht zutrauen.

Mehr als die Hälfte der heimischen Bevölkerung ist weiblich, trotzdem stehen nur in sieben Prozent aller Gemeinden Frauen als Bürgermeisterin an der politischen Spitze. „Das ist kein erfreulicher Zustand“, sagt Gemeindebund-Präsident Helmut Mödlhammer. „Die Zahl der Frauen im Bürgermeisteramt steigt viel zu langsam, seit Jahren gibt es nur leichte Anstiege. Derzeit gibt es in Österreich 146 Bürgermeisterinnen. Bei einer Gesamtanzahl von 2.100 Gemeinden ist das ein viel zu niedriger Wert.“

Höchster Frauenanteil in Niederösterreich



Unter den Gemeinden in den verschiedenen Bundesländern gibt es dabei durchaus relevante Unterschiede. Den höchsten Frauenanteil weist derzeit Niederösterreich mit 10,3 Prozent (59 von 573) Bürgermeisterinnen auf. Den niedrigsten Wert verzeichnet Salzburg mit nur 3,4 Prozent weiblicher Ortschefs (4 von 119). Einen geringfügigen Anstieg haben die jüngsten Kommunalwahlen in Tirol gebracht, dort gibt es nun 16 Bürgermeisterinnen.



Die Gründe für den geringen Frauenanteil in Österreichs Gemeindeämtern sind vielfältig. „Die schlechte Vereinbarkeit von Zivilberuf, politischem Amt und Familie ist sicherlich ein wesentlicher Faktor“, glaubt Sonja Ottenbacher, langjährige Ortschefin von Stuhlfelden (Salzburg). „Das Bürgermeisteramt ist sehr zeitaufwändig, viele Sitzungen und Termine finden am Abend oder am Wochenende statt. Das ist für Frauen ein großes Problem, weshalb sie diese Form der politischen Karriere oft gar nicht in Betracht ziehen.“

Zwei Drittel nahmen an Befragung teil



Der Österreichische Gemeindebund versucht seit einigen Jahren das Bewusstsein für dieses Thema zu schärfen. Heuer wurde im Frühling zum ersten Mal eine sehr detaillierte Befragung aller Bürgermeisterinnen gemacht. Zwei Drittel der Amtsträgerinnen nahmen daran teil. Mit den Daten aus dieser Befragung besteht nun ein quantitativ und qualitativ guter und sehr repräsentativer Überblick über den Status und die Problemfelder, mit denen die Ortschefinnen sich befassen müssen.

Hoher Bildungsgrad, kaum junge Frauen im Amt



Was sofort auffällt: Es gibt kaum Bürgermeisterinnen unter 40 Jahren in Österreich. Gerade einmal vier Prozent fallen in diese Altersstufe. Den mit Abstand größten Anteil stellen Frauen im Alter zwischen 50 und 59 Jahren. „Das ist ein sehr auffälliger Wert“, konstatiert Mödlhammer. „Der Weg ins Amt ist für Frauen steinig und lang. Bei Männern geht das oft schneller.“ Ebenso auffällig ist der tendenziell hohe Bildungsgrad von Frauen in dieser Funktion. Exakt 50 Prozent haben Matura oder einen Hochschulabschluss, nur zwei Prozent haben die Pflichtschule als höchsten Schulabschluss angegeben. Ein großer Anteil der Bürgermeisterinnen ist verheiratet (81 Prozent), elf Prozent sind geschieden, zwei Prozent verpartnert.

Amt wird nur selten aktiv angestrebt



In der politischen Einordnung spiegelt die Teilnehmerstruktur der befragten Frauen im Wesentlichen auch die tatsächliche kommunalpolitische Struktur in Österreich wieder. 53 Prozent der Teilnehmerinnen haben für die ÖVP kandidiert, 33 Prozent für die SPÖ und 13 Prozent für eine Namens- oder Bürgerliste.



Gut erkennbar ist, dass der Einstieg ins Bürgermeisterinnenamt im Normalfall über andere politische Funktionen erfolgt. Gemeinderatsmandat, Vizebürgermeisterin oder Parteifunktionen stehen meist vor der Wahl ins höchste Amt der Gemeinde, echte Quereinsteigerinnen sind eher selten. Interessantes Detail: Nur 55 Prozent der Ortschefinnen haben mit ihrer Liste oder Fraktion eine absolute Mehrheit im Gemeinderat, 22 Prozent stehen sogar einer Minderheitsfraktion vor. „Das wird durch das Direktwahlsystem in sechs von neun Bundesländern ermöglicht. Man kann die Bürgermeisterinnenwahl gewinnen, bei der Gemeinderatswahl aber nicht an erster Stelle landen. Das ist generell gar nicht so selten, bei Frauen aber häufiger als bei Männern.“



Nur in Ausnahmefällen (elf Prozent) streben Frauen das Amt aktiv an. Die meisten (44 Prozent) geben an, dass „sich das aufgrund der Umstände“ so ergeben hat, 33 Prozent der Frauen wurden direkt gefragt, ob sie das Amt übernehmen wollen, elf Prozent mussten überredet werden.

Hoher Zeitaufwand und geteilte Familienarbeit



Der Zeitaufwand, der für die Ausübung des Amts erforderlich ist, ist bei Frauen offensichtlich besonders hoch. Das zeigt sich auch daran, dass 46 Prozent der Bürgermeisterinnen ihr Amt hauptberuflich ausüben. „Bei Männern ist das anders“, weiß Mödlhammer. „Hier gehen wir davon aus, dass 70 bis 80 Prozent einen zivilen Beruf haben und das Bürgermeisteramt zusätzlich dazu ausüben.“ In der Detailanalyse lässt sich erkennen: 76 Prozent der weiblichen Bürgermeister wenden mehr als 30 Stunde pro Woche für ihre politische Arbeit auf. Mit einem klassischen Familienleben ist das schwer zu vereinbaren. 56 Prozent der Frauen geben an, dass sie sich die Kinderbetreuung mit ihrem Partner annähernd zu gleichen Teilen aufteilen, bei der Hausarbeit gilt das nur für 40 Prozent der Haushalte.



Logische Schlussfolgerung: Die Freizeit ist knapp bemessen. 79 Prozent der Ortschefinnen klagen über einen Mangel an Freizeit. „Das liegt auch daran, dass das Bürgermeisteramt ja meistens nicht die einzige Aufgabe ist. Vereine, Verbände, Regionalorganisationen, andere Gremien. Bürgermeister/innen – egal welchen Geschlechts – müssen in vielen Einrichtungen zusätzliche Mandate und Aufgaben übernehmen. 83 Prozent sind in mehr als drei Organisationen tätlich, diese Funktionen sind oft auch direkt ans Amt als Bürgermeister/in gebunden. Das führt zu einer extrem hohen Termindichte, ist aber im Sinne der interkommunalen Zusammenarbeit wohl eine Notwendigkeit“, so Ottenbacher.

Kritik an fehlender sozialer Absicherung



Ein großer Kritikpunkt ist seit Jahren die mangelhafte soziale Absicherung von Bürgermeisterinnen. 71 Prozent bewerten diesen Bereich als „wenig“ oder „gar nicht“ zufriedenstellend. „Das ist ein Alarmsignal, weil es sicher auch dazu beiträgt, dass sich nicht genügend Frauen für dieses Amt interessieren oder es anstreben“, sagt Mödlhammer. „Es ist zwar in den letzten Jahren in den meisten Bundesländern bei den Gehältern etwas getan worden. Das kann man auch quantitativ festmachen, denn 69 Prozent sind mit der Bezahlung zufrieden. Aber die Absicherung nach einem Amtsverlust ist nicht existent. Von Regelungen in einer Arbeitslosigkeit oder in der Pension ganz zu schweigen. Viele Frauen geben ihren zivilen Beruf teilweise oder völlig auf, um als Bürgermeisterin tätig zu sein. Wir müssen hier minimale Instrumente der sozialen Absicherung schaffen, sonst wird sich das künftig niemand mehr antun.“



Dazu passt, dass 49 Prozent der Frauen nicht im Detail wussten, was da auf sie zukommt, als sie die Funktion übernommen haben. „Ich glaube, es ist generell ein großes Problem, dass die Übergabe, die Einführung ins Amt durch den/die Vorgänger/in sehr mangelhaft ist. Das geht ja oft mit einem politischen Wechsel einher, da gibt es keine Übergabe. Dazu kommt, dass Bürgermeister ein Ausmaß an Haftungen, an Verantwortung und an juristischer Zuständigkeit übernehmen, auf das kaum jemand vorbereitet ist. Ich weiß, dass dafür Schulungen angeboten werden, es wäre wichtig, dass das jeder so rasch als möglich nach der Wahl in Anspruch nimmt“, so Ottenbacher.

Hoher Gestaltungswillen, kaum Anfeindungen



Am Gestaltungswillen mangelt es den Frauen jedenfalls nicht. Dieser Begriff wurde am häufigsten genannt, als die Motive für die Kandidatur abgefragt wurden. Gestalten, Bewegen, Veränderung. Aber auch Zufall, Herausforderung und Karriereschritt waren häufig genannte Gründe. Mit Anfeindungen bei Amtsantritt hatten die wenigsten Frauen zu kämpfen, und wenn, dann reduzierten sich diese Anfeindungen rasch von selbst.



In einem freien Textfeld konnten die Bürgermeisterinnen die größten Hindernisse und Ärgernisse benennen. „Bürokratie, Gesetzesflut und Überregulierung wurden hier am öftesten genannt“, berichtet Mödlhammer. „Das entspricht übrigens auch der Gefühlslage aller Bürgermeister/innen. Der Staat reguliert sich selbst zu Tode, dafür hat kein Mensch mehr Verständnis. Und wir in den Gemeinden müssen das vollziehen und kassieren dafür noch den Ärger der Bürger/innen." Danach kommen schon wichtige persönliche Erfahrungen. "Zeitknappheit, Parteipolitik, fehlender respektvoller Umgang und mangelnde Verantwortung der Politik belasten die Kolleginnen sehr“, weiß Ottenbacher.

Mehr als drei Viertel üben das Amt gerne aus



In der Rekrutierung von politischem Nachwuchs verhalten sich Frauen mehrheitlich geschlechterneutral. 55 Prozent versuchen sowohl Männer, als auch Frauen für politische Funktionen zu gewinnen. 40 Prozent legen einen besonderen Schwerpunkt darauf, Frauen anzusprechen. Wichtig dafür ist auch, dass 78 Prozent ihr Amt gerne ausüben und „mit dem Wissen von heute“ jederzeit wieder kandidieren würden. Am fehlenden politischen Interesse dürfte es nicht liegen. In den Gemeinderäten ist der Frauenanteil nämlich deutlich höher als in den Spitzenfunktionen.



Insgesamt gibt es in Österreich rund 38.800 Gemeinderät/innen. Davon sind ca. 9.500 Frauen (rund 24 Prozent). Nicht ganz so hoch, aber fast doppelt so hoch wie die Anzahl der Bürgermeisterinnen, ist jene der Vizebürgermeisterinnen. Österreichweit gibt es 331 Vizebürgermeisterinnen, das entspricht 15,8 Prozent. „Dieses Potential müssen wir besser nutzen“, meint Mödlhammer. „Das ist ein wunderschönes Amt, das große Freude macht. Der Schritt von der Gemeinde- oder Stadträtin zur Bürgermeisterin ist emotional oft schwierig, operativ aber gar nicht so schwer.“

Zusammenarbeit und Vernetzung von Frauen



Schon seit einigen Jahren gibt es einen mehrtägigen jährlichen Gedankenaustausch unter Österreichs Bürgermeisterinnen. „Das ist ein sehr wichtiges Vernetzungstreffen, das Frauen in diesem Amt oft zeigt, dass sie mit ihren Herausforderungen oder Stolpersteinen nicht alleine sind“, so Mödlhammer. Bei diesem Netzwerktreffen werden den Bürgermeisterinnen auch konkrete Unterstützungsleistungen angeboten. Das heurige Treffen fand von 8. bis 10. August in Stuhlfelden (Salzburg) statt und befasste sich unter anderem auch mit dem Themenfeld „Wenn Bürgermeisterinnen abgewählt werden“.



Auch das Mentoring-Programm, das in Niederösterreich nun umgesetzt werden soll, hält der Gemeindebund-Präsident für richtig. „Es ist für den politischen Nachwuchs unschätzbar wertvoll, wenn erfahrene Politikerinnen ihr Wissen mit Newcomerinnen teilen. Davon profitieren beide Seiten. Der Gemeindebund unterstützt dieses Programm gerne und aus vollem Herzen. Wir werden uns darüber hinaus nach einem Jahr anschauen, ob das ein erfolgsversprechender Ansatz ist, eine Evaluierung vornehmen und das Programm eventuell auf ganz Österreich ausweiten.“