TTIP mit Europa und USA Flagge

Sollten Zweifel aufkommen, wird es keine Zustimmung zu TTIP geben

Sollte TTIP Fragen „regeln“, die über Handelsfragen hinausgehen und in die Kompetenzen der Nationalstaaten eingreifen, müssen auch die nationalen Parlamente über das Handelsabkommen abstimmen, wie Othmar Karas, Vizepräsident des Europäischen Parlaments versichert.

KOMMUNAL: Wie ist Ihre Einstellung zu TTIP – wo sehen Sie die Chancen für Europas Menschen?

 

Othmar Karas





Othmar Karas: Internationale Handelsabkommen wie TTIP bieten die Chance die nicht aufhaltbare Globalisierung zu regeln und europäische Standards zu internationalen Standards zu machen. Wenn wir dies nicht aktiv angehen, werden wir uns den Regeln der anderen Global Player wie China in Zukunft fügen müssen. Dann werden wir zum Verlierer der Globalisierung. Was wir außerdem nicht vergessen dürfen: TTIP kann unseren heimischen Unternehmen große Erfolgschancen am internationalen Markt eröffnen. Es ist ein Verdienst des freien Binnenmarktes und des freien Handels, dass in den vergangenen 20 Jahren der Wohlstand in Österreich gewachsen ist. Immerhin erwirtschaftet Österreich heutzutage 6 von 10 Euro im Außenhandel.



Ich sehe bei TTIP folgende Vorteile für die europäischen Bürger: Durch den Abbau von Zöllen und bürokratischen Hürden könnten die Unternehmer Kosten einsparen und ihre Produkte zu einem günstigeren Preis anbieten. Die geringeren Preise kommen den einzelnen Konsumenten zu Gute. Durch den Abbau von Handelsbarrieren würde ein Wirtschaftsraum von mehr als 800 Millionen Konsumenten entstehen. Dies würde sich auch in einer größeren Produktvielfalt niederschlagen. Auch die Chancen für mehr Jobs in Europa würden steigen, da aufgrund der Vereinfachung des transatlantischen Handels heimische Unternehmen verstärkt nach Amerika exportieren könnten.



Wichtig ist hier anzumerken, dass es um die Reduzierung von bürokratischen Hemmnissen, die Annäherung von Zulassungsverfahren und unterschiedlichen Normen, keinesfalls aber um die Aufhebung und Verwässerung unserer Standards zum Schutz von Menschen, Tieren oder Umwelt, geht.



All das muss unser Ziel in den Verhandlungen mit den USA sein. Noch gibt es kein Verhandlungsergebnis. Wenn die Verhandlungen abgeschlossen sind, müssen wir uns das Verhandlungsergebnis sehr genau anschauen. Einer Absenkung europäischer Standards werden wir nicht zustimmen.



 



Die Prognosen versprechen tausende Arbeitsplätze. Wo werden die sein? Konzentrieren sie sich auf wenige Ballungsräume?



Diese Frage beantwortet sich mit Blick auf die europäische Wirtschaftsstruktur. Mit 99% der europäischen Unternehmen sind kleine und mittlere Unternehmen das Rückgrat der europäischen Wirtschaft. Den KMU sind 85% der zwischen 2002 und 2010 neu geschaffenen Jobs zu verdanken. Umso erfreulicher ist es, dass bei den TTIP-Verhandlungen ein eigenes Kapitel zu KMU inkludiert ist. Handelshemmnisse stellen für KMU eine oft unüberwindbare Hürde dar, da sie im Vergleich zu Großunternehmen für die Überwindung der Hindernisse keine bzw. wenig finanzielle Mittel zur Verfügung haben. Einfach gesagt: KMU kann TTIP noch mehr nutzen als den großen Firmen.



 



Wo sehen Sie Gefahren für europäische oder österreichische Sozialstandards? Gibt es überhaupt welche?



Die Verhandlungen sind im vollen Gange. Noch ist kein einziges Kapitel vollständig abgeschlossen. Die Staats- und Regierungschefs, einschließlich des österreichischen Bundeskanzlers, haben Ende Dezember 2014 die Verhandlungsführer aufgefordert, die Verhandlungen bis Ende dieses Jahres erfolgreich zu beenden. Erst mit Vorliegen des endgültigen Textes zum Abkommen kann diese Frage seriös beantwortet werden. Fakt ist, dass die Kommission den klaren Auftrag sowohl von uns im Parlament als auch von den Regierungen der Mitgliedstaaten hat, sich nicht auf eine Absenkung europäischer Standards einzulassen. Sollten Zweifel aufkommen, dass Sozialstandards untergraben werden, wird es weder vom Rat noch vom Europäischen Parlament eine Zustimmung zu TTIP geben.



 



Große Befürchtungen gibt es wegen der Möglichkeit, dass Konzerne Staaten vor sozusagen „privaten“ oder „nicht staatlichen“ Gerichten klagen können. Diese Staaten müssen dann beispielsweise Gesetze im Gesundheitsbereich zurücknehmen – wie im Fall Philip Morris gegen Australien. Ist das wirklich möglich? Kann das möglich sein?



Investitionsschutzklauseln in Freihandelsabkommen sind definitiv nichts Neues! Derzeit sind in der Europäischen Union rund 1400 bilaterale Handelsabkommen mit Investitionsschutzklauseln in Kraft. Allein Österreich hat 62 solcher Abkommen abgeschlossen. Seit mehr als 50 Jahren erhöhen diese Investitionsschutzklauseln die Rechtssicherheit im internationalen Geschäftsleben. Die gehäuften, teils sehr umstrittenen Klagen von Investoren gegen Staaten wie zB Philipp Morris zeigen deutlich den Verbesserungsbedarf beim Investitionsschutz in Bezug auf Regulierungsrecht des Staates, Transparenz, Beschwerdemöglichkeiten und Schnelligkeit der Verfahrens auf. Wenn wir den Missbrauch, den wir in manchen Bereichen sehen, nicht durch neue, verbesserte Regelungen eindämmen, zementieren wir die gegenwärtige Lage ein. Deshalb bietet TTIP die Chance, Missbrauch vorzubeugen und den Investitionsschutz in das 21. Jahrhundert zu bringen.



In diesem Zusammenhang möchte ich an die Rede von Kommissionspräsident Juncker im Europäischen Parlament am 22. Oktober 2014 erinnern. Er hat betont, dass die Europäische Kommission nicht akzeptieren wird, dass die Rechtsprechung der Gerichte in den EU-Mitgliedstaaten durch Sonderregelungen für Investorenklagen eingeschränkt wird.



 



Worauf führen Sie zurück, dass gerade in Österreich die Skepsis so hoch ist?



Die Debatte rund um TTIP erinnert sehr stark an die Diskussionen rund um den EU-Beitritt vor 20 Jahren. Auch damals waren die Sorgen und Ängste, dass die Marktöffnung zur Senkung unserer Standards führen könnte, in der Bevölkerung sehr groß. Eine erst kürzlich veröffentlichte Studie zeigt, dass knapp zwei Drittel der Österreicherinnen und Österreicher sich über TTIP sehr schlecht informiert fühlen. Ich denke, dass dies zusammen mit der oftmals sehr einseitigen, kampagnenartigen Berichterstattung besonders von Boulevardmedien zur hohen Skepsis in Österreich führt. Immerhin geben 71% der Befragten Printmedien als ihre Informationsquelle an. Das negative Bild von TTIP trifft aber nicht auf ganz Europa zu. Einer jüngsten Eurobarometer-Umfrage zufolge ist Österreich das einzige Land mit einer Mehrheit gegen TTIP. In Ländern wie den Niederlanden, Dänemark und Irland liegt die Zustimmung bei mehr als 70%.



 



Wird das ganze Ergebnis der Verhandlungen öffentlich gemacht und können die Bürger Europas darüber abstimmen?



Bereits jetzt werden nach jeder Verhandlungsrunde die Ergebnisse veröffentlicht. Ich gehe davon aus, dass nach der Beendigung der Verhandlungen der vollständige TTIP-Vertragstext veröffentlicht wird. Dies ist auch beim EU-Kanada-Abkommen so gemacht worden.



Das Europäische Parlament als direkt gewählte Bürgerkammer Europas wird über das Abkommen abstimmen. Das Parlament hat die Macht, TTIP zu genehmigen oder aber auch zu Fall zu bringen. Dass es von seinem Vetorecht bereits mehrmals Gebrauch gemacht hat, hat das Europäische Parlament beim Abkommen über den Austausch von Zahlungsverkehrsdaten (SWIFT) oder zu Produktpiraterie (ACTA) bereits bewiesen.



Wenn TTIP ausschließlich Handelsfragen regelt, dann ist die Rechtslage so, dass nur das EU-Parlament zustimmen muss. Wenn TTIP auch andere Fragen regelt, die in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, so müssen zusätzlich die nationalen Parlamente dem Abkommen zustimmen.