Victoria Weber
„Ich hatte das Gefühl, dass das politische Engagement alleine zu wenig ist.“ Victoria Weber über ihre Beweggründe, in der Flüchtlingsbetreuung zu arbeiten.
© Florian Lechner

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„Sanft die Stadt entwickeln“

Seit März ist in Schwaz erstmals eine Frau Bürgermeisterin. Victoria Weber kommt aus der Wirtschaft, hat aber auch als Flüchtlingsbetreuerin gearbeitet. Diese Erfahrung kommt ihr nun zu Gute.

Schwaz liegt im Unterinntal und hat eine lange Geschichte. Die Bezirkshauptstadt, die auch den Beinamen „Silberstadt“ trägt, war im 16. Jahrhundert eines der wichtigsten Bergbauzentren in Europa und mit damals bereits 12.000 Einwohnern nach Wien der größte Ort im Habsburgerreich.

Kirche in Schwaz
Schwaz hat eine bedeutende Vergangenheit. Der Reichtum der Stadt spiegelt sich in der vierschiffigen Pfarrkirche wieder, der größten gotischen Hallenkirche in Tirol. Foto: WOKRIE CC BY-SA 4.0

Nach schwierigen Zeiten sind auch heute die Bedingungen wieder gut. Die zauberhafte Altstadt und etliche historische Bauwerke, wie die opulente vierschiffige Pfarrkirche, zeugen von der reichen kulturellen Geschichte des Ortes.

Als Teil der touristischen „Silberregion Karwendel“ sind die Schwazer in eine traumhafte Landschaft eingebettet, und im Ortskern pulsiert das Leben. Mit den „Stadtgalerien“ befindet sich ein attraktives Einkaufszentrum mitten im Zentrum, anstatt andernorts nur allzu oft als Gewerbegebiet auf der grünen Wiese.

Dennoch hat auch Schwaz mit Herausforderungen zu kämpfen, zum Beispiel wenn es um den Wohnbau geht.

„Leistbaren Wohnraum zu schaffen ist eines unserer Hauptziele, das aber auch sehr schwierig zu erreichen ist, weil wir keine stadteigenen freien Grundstücke zur Verfügung haben. Wir sind daher auf Gelegenheiten angewiesen, nachzuverdichten, wo wir bereits Gebäude haben, und hier und da eine Zusammenarbeit mit einem geförderten Bauträger zu bekommen“, erzählt die neue Bürgermeisterin Victoria Weber.

In mehreren Bereichen die erste

Rodeln
Schwaz wird auch die „Silberstadt“ genannt und touristisch als Teil der „Silberregion Karwendel“ beworben. Foto: TVB Silberregion Karwendel

Die 31-jährige gewann am 13. März die Stichwahl gegen den seit 25 Jahren regierenden Hans Lintner und wurde damit nicht nur die erste Frau an der Spitze der Silberstadt, sondern auch noch die jüngste Bürgermeisterin und die erste, die nicht aus der ÖVP-Fraktion kommt. Ein Kontrastprogramm.

„Uns trennen 41 Lebensjahre, und natürlich habe ich einen anderen Blick und eine andere Herangehensweise“, sagt Weber. „Jeder hat seinen Weg, und ich habe ein sehr großes soziales Gewissen. Ich kann mich sehr gut in die Situation hineinfühlen, wenn es jemandem nicht so gut geht – aus welchen Gründen auch immer. Es ist mir ein Hauptanliegen, dass wir den Menschen, die finanziell nicht so gesegnet sind, auch ein gutes Leben in der Stadt ermöglichen.“ Die zweifache Akademikerin kommt selbst aus einer einfachen Familie und hat früh gelernt, was es heißt, arbeiten zu gehen, um sich eine Ausbildung leisten zu können, und in einer Umgebung aufzuwachsen, in der nicht alle dieselben Chancen vorfinden.

Neben ihrem Studium der Wirtschaftswissenschaften war Weber in der Bank Austria beschäftigt und danach von 2013 bis 2016 SPÖ-Bezirksgeschäftsführerin für den Bezirk Schwaz.

Bevor sie wieder in den Wirtschafts- und Finanzierungsbereich zu einer kleinen, familiären Unternehmensberatung in Innsbruck wechselte, für die sie bis zu ihrer Bürgermeisterwahl im März gearbeitet hat, schob die Schwazerin ein „soziales Jahr“ ein.

Große Erfahrung in Flüchtlingsfragen

„Ich hatte das Gefühl, dass das politische Engagement alleine zu wenig ist, und ich wollte einmal etwas ganz anderes machen. Die Tiroler sozialen Dienste haben damals wie heute sehr dringend nach Personal gesucht. So habe ich die Gelegenheit mitzuarbeiten bekommen, auch wenn ich keine spezifische Ausbildung vorweisen konnte. Diese Arbeit hat mir sehr viele Erkenntnisse gebracht“, berichtet Weber. Dadurch könne sie im Flüchtlingsbereich auf sehr viel Wissen aus der direkten Erfahrung zurückgreifen. 

Ende November präsentierte das Land Tirol feste Unterkünfte für bis zu 440 Personen in Innsbruck, Kufstein und auch Schwaz.

„Die Flüchtlinge werden bei uns im ehemaligen AMS-Gebäude in Schwaz, einem Bundesgebäude, untergebracht, auf das das Land zugreift und sich darin einmietet. Die Gemeinde kann nur die Rahmenbedingungen festlegen“, erklärt Weber die Situation.

Ihr war es wichtig, dass das Haus nicht wieder, wie in der Vergangenheit geschehen, mit 120 Personen vollgestopft wird, sondern dass man es zumindest auf maximal 90 Personen beschränkt. Aus der Erfahrung wisse sie, wie wichtig es sei, dass die Leute einen Rückzugsbereich haben, sodass sie sich auch aus dem Weg gehen können: „Ich habe in Wörgl eine Wohngemeinschaft gehabt, da waren 14 Männer aus sechs Nationen drinnen. Ich habe mir oft gedacht, als ich dort hineingekommen bin, dass ich das nicht könnte - in einer WG zu wohnen mit 13 anderen Frauen, sich die Toiletten, das Bad, die Waschmaschine, den Herd und den Kühlschrank teilen. Ständige Konflikte, wenn andere etwas dreckig hinterlassen sind äußerst mühsam. Ich habe mich oft gewundert, dass nicht mehr Auseinandersetzungen passieren. Das sind Faktoren, die zu wenig in den Vordergrund gestellt werden.“ 

Bei den Tiroler sozialen Diensten war Weber für 30 Stunden angestellt und dabei für 80 Menschen zuständig.

„Von Großfamilien mit neun Personen bis hin zu Single-Männern aus den veschiedensten Nationen, mit unterschiedlichsten Sprachen, Kulturen und Geschichten. Mit Bildungsgraden vom Analphabeten bis zu Mehrfachakademikern, die mich in Englisch meilenweit abgehängt haben“, erinnert sich die Bürgermeisterin zurück. In jedem Fall war es Weber aber wichtig, dass die Menschen nicht nur untergebracht und versorgt sind, sondern dass sie die Sprache bestmöglich lernen und in Beschäftigung kommen. Diese Ansatzpunkte verfolgt sie auch jetzt als Stadtchefin. Im Gemeinderat hat man sich darauf geeinigt, möglichst vielen Menschen auch Aufgaben zu geben und so eine tägliche Struktur zu ermöglichen. Dabei handelt es sich um Hilfsdienste etwa im Bauhof oder bei Waldarbeiten. 

Das Gespräch mit Victoria Weber fand Mitte Dezember statt. Zu diesem Zeitpunkt war „das einzige, das ich fix sagen kann, dass Afghaner und Syrer unter den Flüchtlingen sein werden, dass der Großteil Männer sind, und dass es sehr wenige Familien sein werden.“ Das sei einfach das Spiegelbild dessen, was derzeit an der Grenze passiert, doch auch für diese Personen werde sehr dringend eine Unterkunft gesucht.

Ein gesunder Hausverstand ist in der Flüchtlingsbetreuung sehr wichtig.“

„Ein gesunder Hausverstand ist in der Flüchtlingsbetreuung sehr wichtig. Man braucht nicht verblümt hineingehen, man muss aber auch nicht den Teufel an die Wand malen. Es sind die unterschiedlichsten Geschichten, weshalb die Menschen zu uns kommen, und sie haben auch die unterschiedlichsten Haltungen, da gibt‘s von ganz links bis ganz rechts alles. Ich traue mich zu sagen, dass ich einen gesunden Zugang zu dem Thema habe“, konstatiert Weber.

Bereits jetzt leben in Schwaz übrigens 63 ukrainische Flüchtlinge, die allerdings allesamt privat untergebracht sind, und daher kaum auffallen. Betreut werden sie nicht durch die Tiroler sozialen Dienste, sondern durch Ehrenamtliche. Was die neuen Flüchtlinge betrifft „müssen wir abwarten, welche Menschen tatsächlich zu uns kommen und dann können wir die Situation beurteilen und das Beste daraus machen“, zeigt sich Weber pragmatisch.

Bürger unterstützen und entlasten

Zweifellos hat Weber eine außergewöhnliche Expertise, was die Flüchtlingsfrage betrifft, doch haben andere Themen für die Bürgermeisterin Priorität: „In der jetzigen Situation ist es am Wichtigsten, dass wir die Schwazerinnen und Schwazer bestmöglich finanziell unterstützen und sie gleichzeitig entlasten“, stellt Weber klar.

So hat beispielsweise der Gemeinderat im Oktober einstimmig beschlossen, dass der Kindergarten vom dritten bis zum sechsten Lebensjahr in den städtischen Einrichtungen bis 13 Uhr kostenlos ist. Für private Einrichtungen gibt es eine Rückvergütung der Elternbeiträge. Zudem hat Schwaz auf Gebührenerhöhungen verzichtet und noch einige weitere Punkte in Angriff genommen. 

die Stadt Schwaz
Schwaz von Norden: Die alte Bergbaustadt am Inn wird vom Schuttkegel des Lahnbachs bestimmt, der die Stadt in Markt und Dorf unterteilt. Foto: Hermann Hammer CC BY-SA 3.0

Webers übergeordnetes Ziel, das sich auch als roter Faden durch ihr Wahlprogramm zieht, ist eine sanfte Stadtentwicklung.

„Schwaz soll sich weiterentwickeln, ob im Wohnbau, bei der Wirtschaft, oder bei den städtischen Einrichtungen. Mir ist es wichtig, dass wir nicht zu schnell, sondern nach und nach wachsen, und dabei nicht auf das Grün vergessen, das in den letzten Jahrzehnten nicht so sehr bedacht wurde, wie man es heute tut“, skizziert Weber ihre langfristigen Pläne.

Bei der Frage nach ihrer eigenen Zukunft zeigt sich die Bürgermeisterin ebenfalls pragmatisch: „Wie lange ich in diesem Amt bin, werden zu einem großen Prozentsatz die Schwazerinnen und Schwazer entscheiden. Ich bleib aber sicher nicht 25 Jahre, das steht für mich außer Frage. Ich bin ein hochpolitischer Mensch und derzeit kann ich mir mein Leben ohne Politik noch nicht vorstellen. Ich weiß aber auch, dass ich mich einmal auf einen Lebensabend ohne Politik freuen werde. Mit 70 möchte ich eigentlich nicht mehr politisch aktiv sein“, verrät die 31-jährige, mit dem Nachsatz „Aber sag niemals nie!“ 

Zur Person

Victoria Weber

Alter: 31
Gemeinde: Schwaz 
Einwohnerzahl: 13.883 (2022)
Bürgermeisterin seit: März 2022
Partei: SPÖ