Co-Working gibt Menschen die Möglichkeit, wohnortnah gut ausgestattete Arbeitsplätze zu nutzen, ohne täglich weite Pendelstrecken auf sich zu nehmen.
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Potenzial für Co-Working ist mehrfach da

14. April 2021
Co-Working auf dem Land ist gut für Umwelt, Regionalentwicklung, Fachkräftesicherung und die persönliche Work-Life-Balance. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt die Potenziale auf.

Das Phänomen Co-Working ist aus den Metropolen der Welt mittlerweile nicht mehr wegzudenken und die Auswirkungen dieser neuen Orte des Arbeitens sind inzwischen so konkret geworden, dass sie dabei sind, das gewohnte Immobiliengefüge in großen Städten neu zu ordnen.

Die deutsche Bertelsmann-Stiftung stellte sich die Frage, ob und in welcher Form diese Art des „alleine zusammen Arbeitens“ auch auf den ländlichen Raum übertragbar ist. In einer Trendstudie lassen sich zahlreiche Beispiele für derartige neue Arbeitsorte auf dem Land finden.

Die Interviewergebnisse für die Studie legen nahe, dass das Aussterben von Kleinstädten und Dörfern wegen des Wegzugs von Arbeitskräften wahrscheinlich ein Stück weit aufgehalten werden und ländliche und vormals strukturschwache Regionen durch den Zuzug von Familien und das Wiederaufleben von Infrastruktur sogar gestärkt werden können. Dies wäre vor allem auch dort denkbar, wo eine Region aufgrund ihrer Ländlichkeit und Abgeschiedenheit Eigenschaften hat, die bisher eher auf Wirtschaftsschwäche hindeuten würden. Mit dem Arbeiten auf dem Land würde sich dieser Standortnachteil in einen Standortvorteil verwandeln.

Co-Working auf dem Land ist vielfältiger als in den Städten

Um dies beurteilen zu können, musste man die Motivation der Nutzer/innen und Gründer/innen sowie die unterschiedlichen bereits erfolgreich agierenden Initiativen untersuchen. Bertelsmann hat festgestellt, dass die Zielgruppen, die Co-Working auf dem Land nutzen oder auf Dauer nutzen könnten, weitaus heterogener sind als in den Städten – zum einen nutzen zunehmend auch Angestellte und nicht nur Selbstständige und Freelancer die neuen Arbeitsorte. Zum anderen stammen die Nutzer/innen aus sehr diversen Branchen. Sie bilden damit die ganze Breite der Gesellschaft ab.

Es wurde auch untersucht, unter welchen Bedingungen ein Erfolg eintreten kann und wie alternative Geschäftsmodelle aussehen, die ein dauerhaftes Überleben eines Co-Working-Space sicherstellen. Zu diskutieren wäre hierbei – so Studienprojektmanagerin Alexandra Schmied – langfristig die Rolle von Kommunalpolitik und Wirtschaftsförderung vor Ort.

Schmied weiter: „Co-Working gibt Menschen die Möglichkeit, wohnortnah gut ausgestattete Arbeitsplätze zu nutzen, ohne täglich weite Pendelstrecken auf sich zu nehmen. Ländliche Regionen, die unter Abwanderung und Überalterung leiden, lassen sich durch den Zuzug junger Familien und die Modernisierung der Infrastruktur neu beleben. Unternehmen profitieren von einem größeren Einzugsgebiet für Fachkräfte. Nicht zuletzt kann Co-Working eine Triebkraft für den Wandel hin zu einer nachhaltigen, klimafreundlichen und modernen Wirtschaftswelt sein.“

Co-Working im ländlichen Raum
Ein überraschendes Ergebnis der Studie war die hohe Anzahl von Angestellten, die in der Stadt nur einen kleinen Anteil des klassischen Publikums ausmachen. Auch das hohe Interesse von Menschen ohne akademischen Schulabschluss war im Vergleich weitaus höher. Ebenso überraschend war die breite Streuung der Berufe sowie die breite Altersverteilung. Aus all dem ergab sich das Bild, dass Co-Working auf dem Land eine sehr viel breitere Zielgruppe und Integrationskraft hat als in der Stadt.

Co-Working im ländlichen Raum

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Es bietet sich demnach neben der in der Studie beschriebenen positiven Entwicklung ein weiteres Gelegenheitsfenster für das Co-Working-Modell im ländlichen Raum. Denn wenn zunehmend Angestellte Co-Working-Angebote nutzen, kommt Unternehmen als regelmäßigen Mieter/innen von Co-Working-Arbeitsplätzen eine neue Bedeutung zu. Daher kann nun der Faktor „Unternehmen als Auftraggeber/innen“ bei der Einschätzung der potenziellen Wirtschaftlichkeit (und mithin Überlebensfähigkeit) stärker als ursprünglich als positives Element ins Kalkül hinzugezogen werden. 

Verkehrsströme ändern sich

Bertelsmann wagt einen langfristigen Ausblick in die Zukunft. Abgesehen von diesem gegenwärtig zu beobachtenden Trend hin zum Co-Working auf dem Land sind auch längerfristige Veränderungen denkbar, die nach Betrachtung der Interviewergebnisse logisch und konsequent erscheinen.

Dazu gehört zuallererst eine deutliche Änderung der Verkehrsströme. Der klassische Pendelverkehr in die Ballungsgebiete wird dauerhaft abnehmen, wenn die Arbeitnehmer/innen mehr lokale Co-Working-Angebote wahrnehmen. Da es zu einer Verlagerung der Ströme kommt, wird sich dadurch der regionale Verkehr erhöhen. Diese Entwicklung hätte eine direkte Auswirkung auf die Verkehrswegeplanung, die Flächennutzung sowie die regionale Strukturplanung als Ganzes. Regionale Strukturen müssen ertüchtigt werden und die der Ballungsgebiete verlieren an Bedeutung.

Betriebe brauchen weniger Platz

Auch im Bereich der Gewerbeimmobilien könnte es zu einer massiven Verlagerung kommen. Denn Betriebe werden einen geringeren Platzbedarf haben, wenn sich die Präsenzkultur innerhalb ihrer Arbeitsorganisation ändert. Zudem ist es denkbar, dass es für einzelne Branchen nicht mehr wirtschaftlich sein wird, eigene Immobilien zu halten, und es vermehrt zu örtlichen Zusammenlegungen unterschiedlicher Betriebe kommen wird. Damit wird auch der Gewerbeimmobilienmarkt betroffen sein.

Kleinere Gewerbeeinheiten führen in der Folge dann dazu, dass auch die Grundidee von Gewerbegebieten zu hinterfragen ist. Ebenso wie die gesamte Städtebaupolitik wird hier eine Anpassung an den Bedarf und damit den Markt stattfinden müssen. Eine Neuausrichtung der Gewerbegebiete hin zu einem Ort des lokalen vernetzten Arbeitens und der zunehmenden gemeinsamen Nutzung von Ressourcen wäre wünschenswert.

Eigene vier Wände gewinnen an Bedeutung

Schließlich wird auch der private Immobilienmarkt von dieser Verlagerung betroffen sein, weil die eigenen vier Wände an Bedeutung gewinnen, wenn Menschen mehr Zeit zu Hause verbringen. Bertelsmann stellt die Vermutung in den Raum, dass die Nachfrage nach Einzelimmobilien im eher ländlichen oder kleinstädtischen Raum weiter steigen und der Wohnungsmarkt in den Ballungsgebieten sich entspannen wird.

Wenn sich all diese Vermutungen bewahrheiten, steht uns ein Umbruch bevor, der die bisherige Städtebau- und Städteplanungspolitik vollständig in Frage stellt. Oder anders formuliert: Die Politik ist jetzt gefragt, die Weichen für die Zukunft (neu) zu stellen.