Co-Working Baum Illustration

Co-Working und Public Home Office als Mittel gegen den Donut-Effekt?

11. April 2021
Neue Arbeitsformen können der Landflucht entgegenwirken. Was meinen Bürgermeister und Bürgermeisterinnen, welche Trends erkennen Experten und Vordenker?

Mario Abl, Bürgermeister der Stadtgemeinde Trofaiach, Steiermark (11.000 Einwohner/innen)

Jahrzehntelang gab es eine Urbanisierungswelle, warum soll ausgerechnet jetzt jemand aufs Land ziehen und dort wohnen und arbeiten? 

Ein wesentlicher Treiber sind teure Mieten in den Städten, die sich immer weniger Menschen leisten können. Deshalb müssen wir unsere Orte wieder zu Lebensmittelpunktgemeinden machen. Die Grundlage dafür ist eine zukunftsfähige Infrastruktur – von der Bildung über die Natur bis zur Aufenthaltsqualität im Zentrum. Die Lebensqualität muss auf allen Ebenen passen.

Mario Abl
Mario Abl: „Für mich war überraschend, dass die Leute gar nicht so große „Luftblasen-Wünsche“ hatten, sondern recht realistisch herangegangen sind.“

Wie kommen Sie zu neuen Impulsen und Projekten für Ihren Ort?

Bei uns war es ein Vortrag zur Stadtentwicklung. Dort wurde uns bewusst, dass wir über viele Jahre das Zentrum schwer vernachlässigt und uns nur auf die Randgebiete konzentriert haben. Das Leben hat sich von der Innenstadt weg orientiert. Der „Todesstoß“ war dann, als zwei Banken die Hauptstraße verlassen haben. Schließlich hat es mehr als 30 leere Geschäfte oder Gebäude gegeben und eine Tristesse ist eingezogen. Uns ist klar geworden, dass wir das sofort und anders als gewohnt anpacken müssen. Weg von den klassischen Stakeholdern wie Gemeindeverwaltung und Wirtschaft, hin zu den Menschen vor Ort. 

Zukunftsentwicklung unter Einbeziehung der Bevölkerung in einer Gemeinde ist ein erheblicher Mehraufwand – warum tun Sie sich das an? 

Ich war anfangs skeptisch, ob sich überhaupt jemand beteiligen wird. Aber das Interesse war beim ersten Beteiligungsprozess 2015 überwältigend. Für mich war überraschend, dass die Leute gar nicht so große „Luftblasen-Wünsche“ hatten, sondern recht realistisch herangegangen sind. Ein Erfolgsfaktor waren auch die innovativen Methoden und die Zusammenarbeit mit Beteiligungsprofis, die die Ideen zu innovativen Projekten verknüpft haben. 

Franziska Kenntner, Bürgermeisterin der Gemeinde Mehrstetten, Baden-Württemberg (1.400 Einwohner/innen)

Franziska Kenntner
Franziska Kenntner: „Ohne schnelles Internet wird es nicht gehen. Und da die großen IT-Unternehmen die kleineren Dörfer nicht einfach so anschließen, weil ihnen das zu teuer ist, haben wir das mit einer Bürgergenossenschaft in die Hand genommen.“

Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf das Gemeindeleben aus?

Seit rund drei Jahren spüren wir, dass es die starke Landflucht der letzten Jahrzehnte in dieser Form nicht mehr gibt. Das hat sicherlich mit dem Ausbau des Internets zu tun. Durch Corona wurde klar, dass digital viel mehr möglich ist als gedacht. 

Welche sind die größten Herausforderungen für das Land und Ihren Ort?

Ohne schnelles Internet wird es nicht gehen. Und da die großen IT-Unternehmen die kleineren Dörfer nicht einfach so anschließen, weil ihnen das zu teuer ist, haben wir das mit einer Bürgergenossenschaft in die Hand genommen. Dadurch bekommen wir eine 1GB-Leitung in jedes Haus und Homeoffice kann gelebt werden. Wir sind auch 5G-Modellregion und ich hoffe, dass in zehn Jahren weniger Autos und mehr autonome Kleinbusse unterwegs sind.

Christoph Holz, Informatiker und Co-Working-Gründer in St. Johann in Tirol

Wie schaut die Zukunft von metropolferneren Gebieten aus?

In der Regel haben globale Jobnomaden wenige Monate Zeit, um ein Projekt fertigzustellen, und können dabei überall arbeiten. Weil sie keine Zeit für Urlaub haben, übersiedeln sie zeitweise in eine Tourismusregion, um den Urlaub stundenweise zu konsumieren. Co-Living-Spaces bieten die „Übernachtung im Büro“ und Sport ums Eck.

Christoph Holz
Christoph Holz: „Mit dem Co-Living bekommen wir ein Stück Stadt in unser Dorf, also Kreativität, Bewegung und einen guten Spirit.“

Mein Space in der Ortsmitte ist dann für sie ein Platz, um ihre Zelte für ein konzentriertes Arbeiten aufzuschlagen. Ich biete ihnen Zugang zur lokalen Creative Community, einen 3D-Drucker und schnelles Internet. Und sie bekommen ein charmantes Mikro-Zimmer. Mehr brauchen sie nicht. Mit dem Co-Living bekommen wir ein Stück Stadt in unser Dorf, also Kreativität, Bewegung und einen guten Spirit. Es ist die inhaltliche Neuaufladung des Ortskerns – früher war es die Kirche, dann der Markt und jetzt der Co-Living-Working-Space, wo man sich begegnet und austauscht.