in einem leerstehenden Haus
Die Innenentwicklung muss „Chefsache“ sein und der Bürgermeister/die Bürgermeisterin muss mit Elan hinter diesem Prozess stehen.
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Ortskerne

Leerstände als Entwicklungspotentiale für morgen

Das Thema Leerstand in Ortskernen ist komplex und vielschichtig. Nicht nur Städte, sondern auch zunehmend ländliche Gemeinden sind oft von diesen Entwicklungen betroffen. Es gibt beim Umgang mit ungenutzten Flächen aber nicht die „eine Lösung“, vielmehr muss auf die individuelle räumliche Struktur jeder einzelnen Gemeinde eingegangen werden und ein auf die Gemeinde zugeschnittenes Bündel an Maßnahmen für eine positive Ortskernentwicklung erstellt werden

Als Leerstand werden langfristig unbenutzte sowie unvermietete Gebäude, Wohnungen und Geschäftsflächen auf privatem und öffentlichem Grund definiert. Befinden sich mehrere ungenutzte Bauten und Flächen in einem Ort, ist das nicht nur mit negativen Auswirkungen auf die lokale Ökonomie verbunden, sondern wirkt sich auch gleichermaßen auf die gesellschaftlichen sowie sozio-kulturellen Gegebenheiten in einer Gemeinde aus. 

Die Ursachen für Leerstände sind vielfältig und für jede Gemeinde anders gewichtet – neben wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wie den Kaufkraftabfluss weg vom Zentrum hin zum Stadtrand. 

Auch Veränderungen in der Arbeitswelt, wie mehr Homeoffice oder der wachsende Onlinehandel, beeinflussen die Entwicklung der Ortszentren. Diese Entwicklungen müssen nicht zwingend negativ sein, sie können auch Chancen bringen: Wenn mehr Menschen von zu Hause aus arbeiten oder online einkaufen, gewinnt das Leben und Arbeiten im Ort wieder an Attraktivität – besonders im ländlichen Raum.

Megatrends bringen auch Chancen

Neben den großen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen spielen auch lokale Faktoren eine Rolle beim Leerstand. Oft sind Flächen zwar vorhanden, werden aber aus unterschiedlichen Gründen nicht genutzt. Etwa weil Eigentümer sie zurückhalten oder Preisvorstellungen haben, die eine Vermietung erschweren. 

Megatrends
Megatrends

Hinzu kommen Entwicklungen wie der demografische Wandel: Viele Menschen der Babyboomer-Generation gehen in Pension, und es fehlt an Nachfolgern. Gleichzeitig wünschen sich viele Österreicherinnen und Österreicher weiterhin ein freistehendes Einfamilienhaus, was die Nutzung und Belebung von Ortszentren zusätzlich herausfordert.

Nutzungsbrachen und fehlende Frequenz bedrohen die Vitalität unserer Orte. Brachen stellen für die Gemeindeentwicklung aber nicht nur eine Herausforderung dar, sie ermöglichen auch Chancen, wie Beispiele aus ganz Österreich zeigen: Wenn Gemeinden strategisch und mit einem klaren, auf die eigene Situation abgestimmten Plan vorgehen, kann aus leerem Raum ein Ort der Begegnung, der Innovation und der Identität entstehen und neue wirtschaftliche Impulse gesetzt werden. Sowohl ländliche Gemeinden als auch Städte sollten daher im Vorfeld eine Strategie mit dem Umgang von Leerstand entwickeln.

Welche Strategien und Maßnahmen können zu einer erfolgreichen Orts- und Stadtkern-
entwicklung und die Verminderung des Leerstands beitragen?

Persönliche Ansprache und Einbindung der Gemeindepolitik

Um eine erfolgreiche Ortskernentwicklung in einer Gemeinde zu gewährleisten, muss die Innenentwicklung „Chefsache“ sein und der Bürgermeister/die Bürgermeisterin mit Elan hinter diesem Prozess stehen. In kleineren Gemeinden ist z. B. ein Erfolgsfaktor die direkte Ansprache der Gemeindevertretung mit Hauseigentümern, die einen Leerstand haben. Oft können durch den direkten, wertschätzenden Kontakt mögliche Potentiale und Chancen für ein Neunutzung identifiziert werden. Ebenso muss der Grundsatz „Innen vor Außen“ im Gemeindeleitbild oder im Örtlichen Entwicklungskonzept (OEK) verankert sein und breiter Konsens zu diesem Planungsgrundsatz im Gemeinderat herrschen.

Analyse & Erfassung: Den Leerstand sichtbar machen und Entwicklungspotentiale erheben

Der erste Schritt im Prozess der Ortskernentwicklung ist die systematische Erhebung der leerstehenden Flächen. Dazu muss das Bearbeitungsgebiet (Ortskernzonen, abgeleitet von den Fachempfehlungen der ÖROK) abgegrenzt und im Gemeinderat beschlossen sein. Gegebenenfalls können hier externe Experten und Ortsplaner unterstützen. Für die Dokumentation des Leerstands in all seinen Facetten hat sich der Aufbau eines digitalen Leerstandskatasters bewährt. Er erfasst Standortdaten, Nutzungstyp, Art des Leerstands, Zustand des Gebäudes und Eigentümerkontakt. Nur durch Sichtbarmachung kann Handlungsfähigkeit entstehen. 

Ebenso empfiehlt sich eine grafische Darstellung in Form einer „Leerstands- und Potentialkarte“ die als wichtige Arbeitsunterlage im Prozess der Ortskernentwicklung dient.  Zu bedenken ist, das nicht jeder Leerstand dieselbe Ursache hat. Um wirksame Maßnahmen zu entwickeln, ist eine Segmentierung nach Leerstandstypen wie spekulativer Leerstand, Sanierungsrückstand oder Leerstand durch fehlende Nachfrage essenziell. 

Diese Segmentierung hilft, gezielt Instrumente zuzuweisen. Ein spekulativer Leerstand erfordert etwa andere Ansätze als ein baufälliges Objekt, das durch Förderung reaktiviert werden könnte. 

Hier bieten sich Tools wie die Flächenmanagement-Datenbank (FMD) des Landes NÖ an. Ergänzend dazu sollte ein Benchmarking durchgeführt werden: Welche Mieten werden für vergleichbare Immobilien verlangt? Wo bestehen Parallelen in Größe, Lage, Infrastruktur?

Tipp aus der Praxis: Besonders hilfreich ist hier die Zusammenarbeit mit regionalen Immobilienplattformen oder Maklernetzwerken, um Marktdaten kontinuierlich zu aktualisieren. In einem Maßnahmenplan sollten dann die Handlungsempfehlungen und Ziele der Ortskernentwicklung festgehalten werden.

Bewusstseinsbildung: Vorteile der Innenentwicklung für Eigentümer, Gemeinde und Allgemeinheit formulieren

Leerstand hat viele negative Folgen – für Eigentümer, Gemeinden und die Allgemeinheit. Denn leerstehende Gebäude verursachen laufende Kosten, verlieren an Wert und beeinträchtigen das Ortsbild. Außerdem erschweren sie die Entwicklung lebendiger Ortskerne und stehen unseren Klimaschutzzielen entgegen.

Für Eigentümer bedeutet Leerstand oft hohe Ausgaben. Eine ungenutzte 80 m²-Wohnung kann jährlich 3.000 bis 4.000 Euro an Betriebskosten, Rücklagen und Reparaturen verursachen. Gleichzeitig sinkt der Wert der Immobilie mit der Zeit, wenn sie nicht genutzt wird. Die Hoffnung auf zukünftige Wertsteigerung („investiver Leerstand“) erfüllt sich nur in wenigen Ausnahmefällen. Daher ist es sinnvoll, Eigentümern aufzuzeigen, welche Erträge sie durch eine Vermietung oder einen Verkauf erzielen könnten – und welche Kosten durch Leerstand laufend entstehen.

Auch für Gemeinden ist Leerstand eine Belastung. Wenn Häuser und Wohnungen im Ortskern leer stehen, steigt der Druck, neue Siedlungsgebiete am Ortsrand zu erschließen. Das verursacht hohe Investitionen in Infrastruktur wie Straßen, Kanal oder Wasserleitungen – und langfristige Kosten für Wartung und Erhaltung. Mit dem Infrastrukturkostenrechner (NIKK) und dem Energieausweis für Siedlungen lassen sich solche Ausgaben mit Projekten im Ortskern vergleichen und realistisch bewerten.

Für die Bevölkerung bedeutet Leerstand vor allem den Verlust von Leben im Ortszentrum. Der Ortskern ist nicht nur geografisches, sondern auch soziales und kulturelles Zentrum – ein Ort der Begegnung, Kommunikation und Identität. Wenn dieser Raum brachliegt, geht ein wichtiger Teil des gemeinschaftlichen Lebens verloren.

Neue Gewichtung der Bauordnung und Wohnbauhilfe im Bezug auf die Innenentwicklung

So wurde in Niederösterreich die Bauordnung 2025 novelliert, um das Bauen und Sanieren zu vereinfachen und zu verbilligen. Ziel ist es, ein modernes und effizientes Bauverfahren zu schaffen, das sowohl die Kosten senkt als auch bürokratische Hürden abbaut. Kernpunkte der Reform ist die Vereinfachung von Genehmigungsverfahren und damit die Senkung von Baukosten. Zudem sollen Sanierungen erleichtert werden und damit Impulse durch verstärkte Bautätigkeit vor allem in den Ortskernen gesetzt werden. Die Reform leistet damit einen Beitrag für einen effizienteren Flächenverbrauch. 

Ein weiteres Instrument für eine gezielte Verdichtung in den Ortskernen sind Wohnbauförderungen, die das Bauen und Sanieren im Bestand und in den Ortskernen mittelfristig attraktiver gegenüber dem Bauen auf der „grünen Wiese“ machen. So sind Zuschläge für die Sanierung historischer Bestandgebäude oder die Schaffung zusätzlichen Wohnraums im Ortskern sowie die Verortung innerhalb des Zentrums oder Ortskernzone sehr relevante Steuerungsinstrumente, die durchaus noch mehr ausgeprägt werden könnten.

Auf Gemeindeebene können auf Basis des Örtlichen Entwicklungskonzepts und des Flächenwidmungsplans eine qualitative Verdichtung gesteuert werden. Ein wichtiger strategischer Ansatz ist hier die gezielte Ansiedlung und Konzentration kommunaler Einrichtungen und sozialer Angebote. Befinden sich Leerstände in der öffentlichen Hand, empfiehlt es sich, diese für Veranstaltungen zu nutzen oder soziale orientierte Einrichtungen darin unterzubringen, um eine bestimme Grundfrequenz zu schaffen, von der auch Handel und Nahversorgung profitieren. 
Auch städtebauliche Verträge zwischen Gemeinde und Bauträger (Verträge, in denen sich Projektwerber/Grundeigentümer beispielweise dazu verpflichten, gewisse Nutzungen durchzuführen oder zu unterlassen bzw. gestalterische Vorgaben zu erfüllen) können für die Ortskernentwicklung wichtige Impulse setzen. 
Eine gewichtige Rolle spielt der Bebauungsplan einer Gemeinde, der die Art und Weise der Bebauung und damit die Bebauungsdichte regelt sowie erdgeschoßspezifische Regelungen festlegen kann. Mit diesem Planungsinstrument können Gemeinden ihre Steuerungsmöglichkeiten hinsichtlich Ortskernentwicklung erweitern und Fehlnutzungen wie Garagen oder Lagerflächen in den so wichtigen Sockelzonen unterbinden.

Wert schaffen durch Widmung

Ein zentrales Thema in vielen Gemeinden ist die Frage nach dem Immobilienwert und wie dieser durch Widmung beeinflusst werden kann. 

Die Frage lautet: „Welcher Immobilienwert ist realisierbar und kann ich diesen Immobilienwert eventuell durch eine Widmungsaufwertung verbessern?“ 

Eine Umwidmung von „Betriebsgebiet“ in „Kerngebiet" oder „Mischgebiet“ kann je nach Lage zu deutlichen Wertsteigerungen führen – mit positiven Nebeneffekten für das Ortszentrum, wobei nicht jede Widmung automatisch einen Wertgewinn erzielt. Entscheidend ist das Zusammenspiel mit Nachfrage, Infrastruktur und langfristiger Nutzbarkeit.
Das Örtliche Entwicklungskonzept dient hier ebenfalls als strategische Grundlage. Es formuliert langfristige Zielbilder für Gemeindeentwicklung und sichert Widmungsentscheidungen planungsrechtlich ab. Zusätzlich benötigen viele Gemeinden fachliche Unterstützung bei innovativen Finanzierungmodellen und Förderung von EU, Bund oder Land. Neue Investitionsmodelle, in Form von öffentlich-privaten Partnerschaften oder gemeinschaftlich organisierten und finanzierten Wohnformen, können hier neue Impulse für die Ortskerne setzen. Gemeinden müssen hier als Ermöglicher und Netzwerker zwischen Eigentümern, Investoren, Kreativszene und Verwaltung wirken. 

Zusammenfassung

Durch eine proaktive Strategie kann schneller auf Marktentwicklungen und soziokulturelle Trends reagiert werden. Leerstände können als Gelegenheiten für kreative und neue Nutzungen angesehen werden, was wiederum die Attraktivität und Dynamik der Gemeindezentren erhöht und möglicherweise das Interesse potenzieller Investoren weckt. 
Leerstand ist somit kein Schicksal, sondern eine Gestaltungsaufgabe. Mit einer Strategie, einer politischen Agenda zu „Innen vor Außen“, persönlichem Engagement der Gemeindevertreter, rechtlichem Fundament, Planungsinstrumenten und der richtigen Kommunikation wird aus Leerstand Zukunft, der Identität, Gemeinschaft und Lebensqualität in unseren Gemeinden steigen lässt. Dabei ist es unerlässlich, dass bei diesem langfristigen Prozess Politik, Verwaltung, Eigentümer und Bürgerschaft an einem Strang ziehen, damit mehr als nur neue Nutzung entstehen kann.