Kurz lange vor seinem Rücktritt als Bundeskanzler

Sebastian Kurz zu kommunalpolitischen Fragen

28. September 2017
„Gemeinde bedeutet Heimat und Identität. Als Kulturträger sind Gemeinden ein unverzichtbarer Teil Österreichs.“

Kürzlich wurde der Masterplan Ländlicher Raum präsentiert. Kann dieser Plan den ländlichen Raum retten oder zumindest Verbesserungen auf den Weg bringen?



Der Masterplan enthält richtige und wichtige Ansätze, um im ländlichen Raum Verbesserungen herbeizuführen und die Lebensqualität auszubauen, etwa durch die Verlagerung einzelner Bundesbehörden in die Regionen. Daher greifen wir den Masterplan auch in unserem Wahlprogramm auf und bekennen uns zu seiner Umsetzung.



Uns ist es ein Anliegen, gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen in allen Regionen Österreichs, sowohl in Ballungszentren wie auch am Land, zu schaffen. Wer im ländlichen Raum leben möchte, der muss die gleiche Versorgungsicherheit haben wie in der Stadt. Das betrifft Gesundheit, Infrastruktur und Arbeitsplätze.



Entscheidend für den Erhalt von Arbeitsplätzen in den Regionen ist eine gute und flächendeckende Infrastruktur. Ansiedlungen von Betrieben in strukturschwachen Regionen sollen unterstützt werden. Die Chancen der Digitalisierung wollen wir nutzen (z. B. Breitbandausbau) und in den Regionen selbst eine stärkere Kooperation zwischen Leitbetrieben und Schulen forcieren.



In vielen Gemeinden wird es immer schwieriger, geeignete Menschen zur Kandidatur für das Bürgermeisteramt zu gewinnen. Welche Ansätze haben Sie, um dieser Entwicklung entgegen zu wirken?



Das Rollenbild des Bürgermeisters hat sich in den letzten Jahren stark verändert, die Anforderungen sind dabei spürbar gestiegen. Trotzdem sind Bürgermeister im Schnitt jene Politiker, die das höchste Vertrauen genießen. Bürgermeister zu sein, bedeutet oft Seelsorger zu sein, wenn es um die alltäglichen Anliegen und Probleme der Menschen geht. Gleichzeitig muss man bei der politischen Gestaltung und Verwaltung Managerqualitäten an den Tag legen. Wir müssen die nötigen Rahmenbedingungen schaffen, damit sich Menschen vor Ort bewusst für den Job des Bürgermeisters entscheiden. Der erste Schritt muss mehr öffentliche Wertschätzung für das Amt sein. Da das Amt vor allem in kleinen Gemeinden meist nebenberuflich ausgeübt wird, geht dieser Schritt auch mit mehr Ankerkennung des Ehrenamts einher, wofür wir eine Fülle von Vorschlägen vorgelegt haben. Schließlich gilt es, über einen neuen, sachlichen und lösungsorientierten Stil in der Politik Menschen insgesamt wieder stärker für politisches Engagement zu begeistern.



Zuletzt haben die Gemeinden sehr vehement eine Staatsreform gefordert, um den Kompetenz-Wirrwarr zu beenden. Wie könnte oder sollte aus Ihrer Sicht eine solche Reform aussehen?



Wir stehen für einen modernen Föderalismus. Um auf die spezielle Situation vor Ort Rücksicht nehmen zu können, sollen Aufgaben so bürgernah, verständlich und effizient wie möglich aufgeteilt und erledigt werden. Den Druck zu entsprechenden Reformen wollen wir über mehr Transparenz und eine Bremse bei den Staatsausgaben erhöhen, indem das Ausgabenwachstum aller Staatsausgaben im Durchschnitt auf die Inflation reduziert wird. Das würde auch Maßnahmen anstoßen, um Doppelgleisigkeiten und ineffiziente Förderungen zu beseitigen. Dass das alles machbar ist, haben in den letzten 20 Jahren viele Länder in Europa bewiesen.



Warum ist Europa für Österreichs Gemeinden wichtig? Oder auch nicht?



Europa ist eine Chance für uns alle, besonders für die Gemeinden. Neben finanzieller Unterstützung speziell für strukturschwächere Regionen bietet die Europäische Union neue Möglichkeiten der Kooperation und Vernetzung. So wird etwa über Gemeindepartnerschaften das grenzüberschreitende Lernen voneinander in den verschiedensten Bereichen ermöglicht und Anstöße für gemeinsame Initiativen, beispielsweise im kulturellen Bereich, gegeben.



Umgekehrt sind aber auch Gemeinden für Europa wichtig. Hier können die Chancen, die die Europäische Integration eröffnet, den Bürgern am besten sichtbar gemacht werden. Aus diesem Grund hat das Außenministerium im Jahr 2010 die Initiative „Europa fängt in der Gemeinde an“ ins Leben gerufen. Ziel ist es, in möglichst vielen Ortschaften Europagemeinderäte zu installieren, um so einerseits das Angebot Europas für Gemeinden besser zu nutzen und andererseits für eine bessere Kommunikation europäischer Themen zu sorgen.



Was bedeutet für Sie „Gemeinde“ ganz persönlich?



Gemeinde bedeutet Heimat und Identität. Als Kulturträger sind Gemeinden ein unverzichtbarer Teil Österreichs. Sie spiegeln die Vielfalt in unserem Heimatland wider, jede von ihnen ist einzigartig in ihrem individuellen Charakter, Charme, ihrem Vereins- und Kulturleben, etc. – und hat somit ihre ganz besondere identitätsstiftende Bedeutung für ihre Bewohner.



In der Politik ist die Gemeinde jene Ebene, die am nächsten bei den Menschen ist. Zu kaum einer anderen Ebene des Staates haben Bürgerinnen und Bürger mehr persönlichen Kontakt und dadurch mehr Vertrauen. Ich bin froh, dass auch ich meine politische Karriere auf kommunaler Ebene beginnen und als Gemeinderat meine ersten Erfahrungen in der Arbeit für eine Gemeinschaft sammeln durfte.



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