
Michael Stur: „Wer denkt beim Bau eines Wohnhauses schon daran, ob die nahe stehende Esche in 30 Jahren zum Risiko wird?“
© Jürg Christandl
Klimafester bauen: Mit Verantwortung und Voraussicht
Wie können Gemeinden auf zunehmende Naturgefahren wie Starkregen, Schneedruck oder Hagelschlag reagieren? Beim Kommunalwirtschaftsforum in Saalfelden zeigte Bürgermeister und BVS-Experte Michael Stur, warum klimaresilientes Bauen zur kommunalen Pflichtaufgabe wird – und wie vorausschauende Planung, klare Zuständigkeiten und einfache bauliche Maßnahmen Schäden vermeiden können. Ein praxisnaher Appell für mehr Verantwortung und Weitblick.
Unter dem Titel „Ansätze für klimaresilientes Bauen“ lud Bürgermeister Michael Stur aus Weyregg am Attersee zu einem der eindrucksvollsten Workshops beim Kommunalwirtschaftsforum 2025 ein. Der Referent ist nicht nur Gemeindeoberhaupt, sondern auch bei der Brandverhütungsstelle (BVS) Oberösterreich tätig – einer Institution, die sich mit Feuer- und Naturgefahren befasst und Gemeinden im Umgang mit Katastrophenrisiken unterstützt. Sein Vortrag war ein leidenschaftliches Plädoyer für mehr Widerstandsfähigkeit in der kommunalen Baupraxis – technisch, planerisch und auch politisch.
Was bedeutet Resilienz?
Stur eröffnete mit einer ungewöhnlichen, aber einprägsamen Beobachtung: „Die Vergessenskurve ist für mich ein zentraler Teil der Resilienz.“ Gemeint ist: Nach rund vier Monaten haben Menschen das meiste eines negativen Ereignisses schon wieder verdrängt – auch Naturkatastrophen. Daraus folgt: Wenn die Erinnerung schwindet, sinkt auch die Bereitschaft, Konsequenzen zu ziehen. Genau hier müsse man ansetzen – mit klaren Zuständigkeiten, Weitblick und gelebter Verantwortung. Resilienz, so Stur, bedeute Anpassungsfähigkeit und vorausschauendes Handeln – nicht erst nach dem Schaden.
Unterschätzte Gefahren und übersehene Chancen
Ein zentrales Thema: Viele Naturgefahren werden unterschätzt oder gar nicht erkannt. Während man Hochwasser aus Flüssen im Bewusstsein habe, seien Oberflächenwasser durch Starkregen, Schneedruck, Hagelschlag oder botanische Sturmschäden oft „blinde Flecken“. Wer denkt beim Bau eines Wohnhauses schon daran, ob die nahe stehende Esche in 30 Jahren zum Risiko wird? Oder ob die Photovoltaikanlage frost- und schneedrucksicher montiert ist? Auch der Blitzschutz wird häufig unvollständig oder fehlerhaft ausgeführt – mit potenziell gravierenden Folgen.
Starkregen und Oberflächenwasser: Das unsichtbare Risiko
Besonders eindringlich schilderte Stur die Gefahren von Hang- und Oberflächenwasser. Diese seien extrem lokal, schwer vorhersehbar und in vielen Regionen kaum kartiert – abgesehen von Oberösterreich, wo die BVS Hangwasser-Hinweiskarten erstellt. Die Beispiele aus der Praxis waren eindrucksvoll: Lichtschächte, Kellerfenster und Öltanks, die nicht wasserdicht oder ausreichend verankert sind, können bei Starkregen binnen Minuten zu enormen Schäden führen. Und: Eine Rückstauklappe im Kanal ist keine Kür, sondern ein Muss.
Planungsfehler mit Folgen
Der Workshop zeigte auch auf, wo im behördlichen System Schwächen liegen. Viele Bauverfahren berücksichtigen Naturgefahren nicht ausreichend – entweder mangels rechtlicher Vorgaben oder aus Scheu, sich mit möglichen Problemen zu konfrontieren. „Ich kenne Kollegen, die sagen: ‚Lieber nicht so genau hinschauen, sonst haben wir ein Problem‘“, so Stur pointiert. Dabei sei es oft eine Frage einfacher Maßnahmen: Ein Geländeabtrag, ein gezielter Graben, eine Leitstruktur für Hangwasser können entscheidend sein – sowohl für die öffentliche Infrastruktur als auch für Privatgebäude.
Das Hagelregister: Resilienz mit System
Ein besonders praktischer Ansatz wurde ebenfalls vorgestellt: das Hagelregister. Dort lassen sich geprüfte Bauteile mit verschiedenen Hagelwiderstandsklassen nachschlagen – vom Carport über Fenster bis zur PV-Anlage. Wer klimaresilient bauen will, sollte genau hier ansetzen: „Ich suche mir das Bauteil raus, das zu meiner Risikolage passt – und habe eine solide Grundlage für kluge Entscheidungen.“
Vom Einzelfall zur Strategie
Abschließend warb Stur dafür, das Thema Resilienz nicht als bloße Technikfrage, sondern als kommunalpolitische Gestaltungsaufgabe zu begreifen. Raumordnung, Bauplatzbewilligung, Ausschüsse und Gemeinderäte seien gefordert, Risiken nicht nur zu registrieren, sondern sie auch aktiv zu reduzieren. Denn: Was heute noch als Einzelfall erscheint, ist morgen vielleicht schon die neue Normalität.
Der Workshop war nicht nur ein Fachvortrag, sondern ein leidenschaftlicher Appell: Für klügeres Bauen, bewusstere Entscheidungen – und für mehr Verantwortung im Umgang mit den Folgen des Klimawandels.
Tipp für Gemeinden:
Wer selbst prüfen möchte, welche Risiken vor Ort bestehen, findet im Naturgefahrencheck des Klimabündnisses oder im WORA-Pass erste wertvolle Anhaltspunkte. Die Brandverhütungsstelle Oberösterreich bietet zudem Unterstützung bei der Interpretation von Hangwasserkarten, der Projektierung baulicher Schutzmaßnahmen oder der Bewertung von Schadensrisiken.