Meine Euphorie hält sich in Grenzen

Weil Österreich in vielen Bereichen in der EU besonders hohe Standards – im Umweltbereich ebenso wie beim Lebensstandard – vertritt, ist nach Ansicht von Jörg Leichtfried die hohe Skepsis berechtigt. Im KOMMUNAL-Interview führt er aus, warum.

KOMMUNAL: Wie ist Ihre Einstellung zu TTIP – wo sehen Sie die Chancen für Europas Menschen?

 

Jörg Leichtfried





Jörg Leichtfried: „Handel ist grundsätzlich ein wichtiger Faktor für das Wirtschaftswachstum. In der EU hat der Binnenmarkt auch Österreichs Exportwirtschaft enorm beflügelt. Aber bei TTIP stehe ich den Verhandlungen sehr kritisch gegenüber. Wachstum ja, aber nicht um jeden Preis. Es müssten seriöse Verhandlungsgrundlagen erkennbar sein. Das ist bei TTIP nicht der Fall. Die Europäische Kommission hatte hier von Anfang an eine falsche Strategie an den Tag gelegt, die von Intransparenz und Liebäugelei mit Konzernen zeugte. Zwar gibt es mittlerweile etwas mehr Transparenz, doch das reicht noch lange nicht.“



 



Die Prognosen versprechen tausende Arbeitsplätze. Wo werden die sein? Konzentrieren sie sich auf wenige Ballungsräume?



Es gibt hier unterschiedlichste Prognosen, die einen sprechen von 20.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen allein in Österreich, die anderen von einem Verlust von über 500.000 Arbeitsplätzen EU-weit. Das liegt daran, dass über die konkreten Anwendungsbereiche des TTIP noch verhandelt wird und nur wenig handfeste Informationen durchsickern.



Ich denke schon, dass ein ausgewogenes Handelsabkommen einige neue Arbeitsplätze schaffen könnte. Das kann ich mir am ehesten in der Exportwirtschaft, insbesondere bei Agrarexporten, vorstellen. Doch meine Euphorie hält sich in Grenzen.



 



Wo sehen Sie Gefahren für europäische oder österreichische Sozialstandards? Gibt es überhaupt welche?



Die Angst vor der Unterwanderung europäischer und österreichischer Sozialstandards ist berechtigt. Gefahren sehe ich im Bereich des Beschäftigungsschutzes. Wenn wir Europa und die USA in diesem Bereich vergleichen, gibt es die berechtigte Sorge, dass etwa Streikrechte, Urlaubsansprüche oder Krankenstandregelungen in der EU unter ökonomischem Druck nach unten nivelliert werden. Eine der größten Gefahren besteht im Zusammenhang mit dem umstrittenen Investorenschutz: Verbesserung von Sozial- und Arbeitsstandards könnten so von Konzernen mit dem Argument der Gewinneinbuße eingeklagt werden.“



 



Große Befürchtungen gibt es wegen der Möglichkeit, dass Konzerne Staaten vor sozusagen „privaten“ oder „nicht staatlichen“ Gerichten klagen können. Diese Staaten müssen dann beispielsweise Gesetze im Gesundheitsbereich zurücknehmen – wie im Fall Philip Morris gegen Australien. Ist das wirklich möglich? Kann das möglich sein?



Hier habe ich einen klaren Standpunkt: Zwei demokratische, rechtsstaatliche Systeme brauchen keine Sondergerichte für Großkonzerne. Das gilt für TTIP (USA-EU) und CETA (Kanada-EU) gleichermaßen. Private Schiedsgerichte schaffen eine Paralleljustiz und desavouieren das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz. Ich lehne Sonderklagsrechte für Konzerne, die die europäische Rechtsstaatlichkeit aushebeln, ab. Beispiele gibt es hier schon genügend, neben Philip Morris sei nur Vattenfall genannt. Deutschland wird aufgrund seines Bekenntnisses zum Atomausstieg verklagt. Das entbehrt doch jedes demokratischen Grundverständnisses.“



 



Worauf führen Sie zurück, dass gerade in Österreich die Skepsis so hoch ist?



Österreich vertritt in vielen Bereichen in der EU besonders hohe Standards, im Umweltbereich ebenso wie beim Lebensstandard. Es ist deshalb nur verständlich, dass die BürgerInnen hierzulande besonders wachsam und skeptisch sind, und dem Vorhaben kritisch gegenüberstehen.“



 



Wird das ganze Ergebnis der Verhandlungen öffentlich gemacht und können die Bürger Europas darüber abstimmen?



Wir SozialdemokratInnen haben gegenüber der EU-Kommission immer wieder klar gemacht, dass es dringend mehr Transparenz braucht. Im Zuge der Bestellung der KomissarInnen hat die zuständige Handelskommissarin Cecile Malmström gegenüber dem EU-Parlament ein Mehr an Informationen zugesichert. Am Ende muss das Europäische Parlament über TTIP abstimmen. Hier werden wir SozialdemokratInnen das Zünglein an der Waage sein. Eine Veröffentlichung des Verhandlungsergebnisses sehe ich als unumgänglich. Dafür werde ich mich einsetzen. Unklar ist laut Verhandlern noch, ob TTIP auch in die nationalen Parlamente geht. Das Abkommen betrifft alle Länder und BürgerInnen gleichermaßen. Daher ist für mich eine Abstimmung über TTIP in den nationalen Parlamenten das demokratisch-logische Gebot der Stunde.“