Europa bei Nacht vom Weltall aus gesehen
Diese Ansicht von Europa zeigt eines ganz deutlich: Europa besteht nicht aus Regionen oder Ländern oder Staaten – Gemeinden sind es, die Europa ausmachen. Jeder Lichtpunkt steht für eine oder mehrere Kommunen. Sie gilt es zu stärken, damit Europa funktioniert.
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„In ganz Europa Gemeinden in den Mittelpunkt rücken“

Österreich hat mit Anfang Juli zum dritten Mal nach 1998 und 2006 den Vorsitz im Rat der Europäischen Union übernommen. Für die Gemeinden und Städte in ganz Europa ist dieser turnusmäßige Ratsvorsitz eine große Chance, die kommunale Selbstverwaltung, das Prinzip der Subsidiarität noch in den stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Denn, ohne starke und selbständige Gemeinden hat die Europäische Union keine Zukunft. Die österreichische Bundesregierung hat schon im Vorfeld der Vorsitzübernahme ihre Schwerpunkte für das zweite Halbjahr 2018 präsentiert und dabei den Fokus auf die Lösung der großen Herausforderungen der Europäischen Union gelegt.

Kommunalpolitik und Europapolitik sind enger miteinander verwoben, als man auf den ersten Blick meinen könnte. Rund 60 Prozent der Gesetze und Verordnungen, die für Gemeinden relevant sind, werden direkt oder indirekt durch die Europäische Union beschlossen. Deswegen ist es so wichtig, dass sich der Österreichische Gemeindebund, gemeinsam mit dem Städtebund stark in Brüssel einbringt und auch direkt bei den Brüsseler Institutionen für die Anliegen der Gemeinden und Städte werben können.  

Gemeinsam mit deutschen Kommunen agieren

In der Europäischen Union gibt es rund 100.000 Kommunen. Die Strukturen, Entscheidungsprozesse, Finanzierungsfragen und Verwaltungsaufgaben sind in den „noch“ 28 EU-Staaten unterschiedlich. „Nicht überall haben Gemeinden und Städte eine so starke verfassungsrechtliche Rolle, wie in Österreich oder auch in Deutschland. Umso mehr ist es für uns und für die Gemeinden wichtig, dass wir uns gemeinsam auf europäischer Ebene für die Anliegen der Gemeinden engagieren“, betonte Gemeindebund-Präsident Alfred Riedl am gemeinsamen Europatag des Deutschen Städte- und Gemeindebundes mit dem Österreichischen Gemeindebund.

Europaausschuss
Gemeinsame Sitzung von Österreichischem Gemeindebund und Deutschem Städte- und Gemeindebund.

Die beiden kommunalen Spitzenverbände vertreten insgesamt die Interessen von mehr als 13.000 Städten und Gemeinden in Österreich und Deutschland. Der Europatag wurde nicht nur zum Austausch über aktuelle kommunale Themen in den beiden EU-Mitgliedsstaaten genutzt – eine gemeinsame Erklärung zur Zukunft Europas mit starken Kommunen wurde ebenfalls beschlossen. Die Zukunft Europas ist aufgrund der vielfältigen Kompetenzverflechtungen untrennbar mit der Zukunft der Gemeinden bzw. der kommunalen Selbstverwaltung verbunden, weshalb sich die kommunale Ebene bereits seit vielen Jahren aktiv an den Diskussionen über Subsidiarität, bessere Rechtsetzung, Multilevel-Governance und auch die Zukunft Europas beteiligt.

„Ohne starke und selbständige Gemeinden und Städte hat Europa keine Zukunft“, so Alfred Riedl beim gemeinsamen Europatag, denn “die europäische Gesetzgebung beeinflusst das Handeln der Kommunen in vielen Bereichen.“

Gleichzeitig ist aber auch das Bekenntnis zu Europa in den Gemeinden ein wichtiges Thema. Die deutschen Bürgermeisterkollegen zeigten sich dabei besonders interessiert am Projekt „Europa fängt in der Gemeinde an“ und den Europa-Gemeinderäten. Damit haben die Gemeinden in Österreich bereits einen starken Draht zu den europäischen Themen. „Europa auf lokaler Ebene präsent zu halten, ist eine wichtige Aufgabe. Wir sind die ersten Ansprechpartner jedes Bürgers und jeder Bürgerin. Auch europapolitische Fragen müssen wir beantworten. Dabei kann der Europa-Gemeinderat in der Gemeinden einen wichtigen Beitrag leisten und das Thema Europa noch stärker in die Regionen hinaustragen“, beton Riedl.

Austausch mit EU-Spitzenpolitikern

Im Zuge des Europatages ergab sich für den Gemeindebund und die Vertreter des EU-Ausschusses die Möglichkeit zur Diskussion und Austausch mit Spitzenvertretern aus Kommission, Parlament und Regionalpolitik. Mit Haushaltskommissar Günther Oettinger wurde etwa über die Schwerpunkte des EU-Haushaltsbudgets diskutiert.

Der Brexit – der Ausstieg Großbritanniens aus der EU – verursacht einen Fehlbetrag von 12 bis 14 Milliarden Euro, die zum größten Teil durch Einsparungen und Umschichtungen kompensiert werden sollen. Für ländliche Entwicklung und Regionalförderung sollen wiederum ausreichend Mittel vorhanden sein, damit die Regionen und Gemeinden auch in den kommenden Jahren unterstützt werden können.

Gruppenbild mit Oettinger
Gemeinderat Hannes Weninger, Vertreter des Österreichischen Gemeindebundes im Ausschuss der Regionen, der Landesgeschäftsführer des Steiermärkischen Gemeindebundes, Martin Ozimic, Gemeindebund-Vizepräsident Rupert Dworak, EU-Kommissar Günther Öttinger, Gemeindebund-Präsident Alfred Riedl, Bgm. Harry Brunnet, Vorsitzender des Europaausschusses des DStGB, und Bgm. Maximilian Linder, Mitglied des Europaausschusses des Gemeindebundes.

Dabei betonte Kommissar Oettinger, dass das EU-Haushaltsbudget in den Mitgliedsländern unterschiedlich diskutiert wird. Die verschiedenen Zugänge und Meinungen gelte es in den kommenden Monaten unter einen Hut zu bringen und einen tragfähigen Kompromiss zu finden. „Gerade für die Gemeinden in den ländlichen Regionen in ganz Europa sind EU-Fördermittel für diverse Investitionen wichtige Finanzierungsmöglichkeiten. Wir stellen uns zwar prinzipiell nicht gegen Einsparungen in der Europäischen Union, wollen aber klarstellen, dass gerade die Unterstützung und Förderung des ländlichen Raumes – nicht nur in Österreich – für die Kommunen wichtige Finanzierungsmittel sind“, so Alfred Riedl.

Riedl und Hahn

In Brüssel traf sich Alfred Riedl auch mit Regionalkommissar Johannes Hahn.

Stark nach außen – Zurückhaltend nach innen     

Seit Jahren werden in politischen Diskussionen mit EU-Vertretern die Themen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit der Gesetzgebung angesprochen.  Vor Ort sind EU-Verordnungen und –Gesetze viel zu oft zu schwer umzusetzen und haben zu viele Detailregelungen, die nicht notwendig sind. Nicht nur Gemeinden, auch die Bürgerinnen und Bürger empfinden viele EU-Regeln als überschießend. Und wenn solche Themen in der Öffentlichkeit diskutiert werden, gehen die positiven Errungenschaften der EU allzu oft unter.

Das aktuelle Beispiel der Revision der Trinkwasserrichtlinie ist eines der Themen, die im Zuge des gemeinsamen Europatages zur Zukunft der Subsidiarität, mit politischen Vertretern diskutiert wurde. Der Grundgedanke, die zwei Jahrzehnte alte rechtliche Basis zu erneuern und an aktuelle Herausforderungen anzupassen ist durchaus verständlich und auch begrüßenswert. Für Aufschrei bei den Gemeindeverbänden sorgen jedoch Detailregelungen, die regionale Gegebenheiten außer Acht lassen und gerade in Österreich, Trinkwasser verteuern würde. Ein hoher Detailierungsgrad von EU-Recht führt oft dazu, dass lokale oder regionale Spielräume beschnitten werden. Aber gerade diese Spielräume tragen dazu bei, Rahmenregelungen effizient umzusetzen.

„Europa ist zu vielfältig, dass one-size-fits-all funktionieren würde. Die Gesetzgeber in Europa sollten eher das Mittel der Rahmenrichtlinie nutzen und sich auf das Wesentliche konzentrieren. Detailregelungen sollen dann von den Nationalstaaten bestimmt werden. Das wäre für die Selbstbestimmung und Selbstverwaltung der Gemeinden, der einzig richtige Schritt“, so Alfred Riedl. 

Breitbandversorgung ist Daseinsvorsorge

Wie in Österreich wird auch das Thema Breitbandausbau in Deutschland intensiv diskutiert. Im Zuge des Europatages nutze die österreichische Delegation auch die Gelegenheit, die österreichische Sicht dazulegen und mit den Kollegen aus Deutschland, sowie mit einigen EU-Parlamentariern zu diskutieren.

„Wir haben uns in den letzten Jahren viel zu sehr auf den Markt verlassen. Der hat urbane Regionen zwar Schritt für Schritt mit Breitband versorgt, aber die ländlichen Regionen müssen sich selbst organisieren“, erklärte Alfred Riedl die Lage in Österreich. Dort springen Länder und Gemeinden ein, um ihren Bürgerinnen und Bürgern eine zukunftsfähige und notwendige Versorgung mit Internet zu gewährleisten. „Es hat sich gezeigt, wovor wir schon vor Jahren gewarnt haben: Die Gewinne wurden privatisiert und die Verluste sozialisiert“, so Riedl. Für den weiteren Ausbau braucht es nun einen Masterplan und ein gemeinsames Bekenntnis, „dass Breitbandversorgung  ein wesentlicher Teil der Daseinsvorsorge ist.“

Die Kolleginnen und Kollegen des Europaausschusses sahen ähnliche Herausforderungen in ihren Bundesländern und Regionen. Um in Zukunft Schritt zu halten, gelte es, die Breitbandversorgung auf europäischer Ebene als Daseinsvorsorge anzuerkennen, um ein Umdenken zu erwirken. „Schließlich ist eine funktionierende  Breitbandversorgung eine wesentliche Lebens- und Standortgrundlage für die Menschen in den Regionen“, betonte Alfred Riedl.

Gespräche mit österreichischen EU-Vertretern      

Mit Österreichs EU-Kommissar Johannes Hahn und den österreichischen EU-Abgeordneten Othmar Karas, Evelyn Regner, Heinz Becker, Claudia Schmidt und Karoline Graswander-Hainz haben die Vertreter des Gemeindebundes rund um Präsident Alfred Riedl die spezifische österreichischen Themen diskutiert. Dabei zeigte sich, dass alle Vertreter großes Verständnis für die vielfältigen Aufgaben der Gemeinden haben, und, dass Europas Zukunft in starken Gemeinden liegt.

„Mit den österreichischen Vertretern in Europa haben wir starke Partner, die für die Anliegen der Kommunen immer ein offenes Ohr haben und wir werden diesen Draht auch intensiv nutzen“, so Alfred Riedl. Am Programm standen dabei Themen, wie die Stärkung der Subsidiarität, aktuelle EU-Themen, das österreichische Programm zum EU-Ratsvorsitz, das Programm EU-Gemeinderäte und die Aktivitäten des Gemeindebundes in den kommenden Monaten. Dabei haben die EU-Vertreter mit dem Europabüro des Gemeindebundes in Brüssel rund um Daniela Fraiß eine direkte Ansprechpartnerin mitten im Herzen Europas.

Im Herbst lädt der Gemeindebund zu einer Kommunalen Konferenz mit den Partnerverbänden aus dem Donauraum, um die Rolle der Gemeinden im Herzen Europas zu diskutieren. Im November lädt dann die österreichische Bundesregierung zur europäischen Subsidiaritätskonferenz, wo sich die Gemeinden und Städte intensiv einbringen werden.