Den Gebäudetyp E als Chance für leistbares Bauen verstehen

Für kommunale Bauträger ist die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum zunehmend herausfordernder. Die bisherigen Förderinstrumente oder Bereitstellung von günstigen Grundstücksflächen stoßen an ihre Grenzen. Für Gemeinden bietet der Gebäudetyp E eine Option für mehr Flexibilität, Nachhaltigkeit und Leistbarkeit – sofern Bund und Länder dafür die notwendigen rechtlichen Spielräume schaffen.

Der kommunale Wohnbau steht traditionell für drei zentrale Werte: soziale Verantwortung, Sicherheit und Langfristigkeit. Er zielt nicht auf Gewinnmaximierung, sondern darauf ab, breiten Bevölkerungsschichten leistbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. In diesem Kontext erscheint der Gebäudetyp E auf den ersten Blick als willkommene Innovation – und gleichzeitig als juristisch, politisch und gesellschaftlich sensibles Terrain.

Gemeinden als Vorreiter – eine besondere Verantwortung

Gemeinden gelten als öffentliche Bauherren mit besonderer Vorbildwirkung. Sie sind – anders als private Entwickler – dem Gemeinwohl verpflichtet und müssen dafür sorgen, dass ihre Bauvorhaben dauerhaft, sicher und rechtlich unangreifbar sind. Deshalb orientieren sich kommunale Bauträger meist streng an allen geltenden Bauvorschriften, Normen und Richtlinien. Jede Abweichung vom Standard – selbst wenn sie technisch unproblematisch wäre – kann politisch oder haftungsrechtlich angreifbar werden.

Zudem sind viele Förderprogramme auf die Einhaltung von OIB-Richtlinien, ÖNORMEN oder spezifische technische Ausstattungsmerkmale abgestimmt. Abweichungen von diesen Vorgaben können zur Aberkennung von Fördermitteln führen, was Gemeinden mit engen Budgets kaum riskieren können.

Das Konzept: Entschlacken statt Sparen

Der Gebäudetyp E zielt darauf ab, Planungs- und Ausführungsprozesse zu entschlacken. Besonders Komfort- und Ausstattungsstandards, die für die Sicherheit nicht essenziell sind, könnten in Absprache mit künftigen Nutzern oder bei definierten Nutzungskonzepten reduziert werden. Denkbar ist etwa der Verzicht auf Kellerabteile oder über­dimensionierte Fahrradabstellräume. 

Mathias Mühlhofer, Vorstand der Immobilienrendite AG, ist Befürworter des Gebäudetyp E und geht noch mehrere Schritte weiter: „Ich definiere das E als Ehrlichkeit, obwohl es offiziell für Einfachheit steht. Nicht jede Immobilie muss alles können. Ohne die derzeit vorgeschriebenen eierlegenden Wollmilchsäue wären Bauen und Wohnen günstiger.“ So müssten nicht immer alle Wohnungen rollstuhlgerecht sein. Es reichen pro Haus meist einige wenige. Und ein Kindergarten habe andere Erfordernisse an das Gebäude als ein Seniorenheim. 

Eine Kostenreduktion würde auch die Neuberechnung der Heizlast anhand konkreter Energieverbrauchsbedürfnisse bringen. Damit könnten ­Wärmepumpen kleiner ausgelegt werden, sich wegen ihrer hohen Leistung nicht ständig ein- wie ausschalten und ihre Lebensdauer verlängern. Eine Lösung im Sinne von Umwelt und Bewohnern.

Das Forschungsprojekt Innsbruck

Anton Rieder
„Wir fordern – in Anlehnung an den neuen Gebäudetyp E in Deutschland – einen Gebäudetyp E3, der für mögliche Normenabweichungen in Österreich stehen soll.“ Anton Rieder, Bundesinnungsmeister-Stellvertreter Bau, Vizepräsident der WKO Tirol. Foto: Christoph Ascher

An der Universität Innsbruck läuft gerade ein Forschungsprojekt zum Gebäudetyp E. Es zeigt erneut, wie durch sinnvolles Abweichen von der Norm eine gute Qualität zu geringeren Kosten erreicht werden kann – man erhofft sich mehr Innovation und niedrigere Baukosten. 

Anton Rieder, Bundesinnungsmeister-Stellvertreter und Initiator des Forschungsprojekts, erklärt die Motivation der Forschungsinitiative so: „Als ich vor fast 40 Jahren die HTL beendet habe, brauchte man auf einen Kubikmeter Beton 50 kg Bewehrung, heute sind es mindestens 100 Kilogramm. Die Häuser von damals stehen aber immer noch, warum brauchen wir jetzt also so viel? Was ist da passiert? Ist das sinnvoll und wer will das bezahlen?“

Normen als Kostentreiber? 

In der DNA von Normen liegt es, dass bei deren Entstehungsprozessen immer das größte gemeinsame Vielfache herauskommt und nicht der kleinste gemeinsame Nenner gefunden wird, erklärt Rieder.

Schützenhilfe bekommt die Initiative auch vonseiten der Planer, die auf ein großes Umdenken setzen, wenn es darum geht, Normen zu definieren und diese in der Praxis umzusetzen. Guido Strohecker, Leiter der Arbeitsgruppe Gebäudetyp E3 der Kammer der Ziviltechniker:innen: „Normen tragen einen Teil zum Stand der Technik bei. Das ist an sich gut, aber eben auch ein Problem, da der Stand der Technik sich schneller wandelt als die Normen. Zu viele Normen können Widersprüche und Rechtsunsicherheit schaffen.“

Es brauche auch dringend schnellere Verfahren sowie Eigenverantwortung in der Verwaltung und der Planungsbeteiligten, denn Gesetze und Normen lassen durchaus Spielraum zu, wie Strohecker betont: „Dieser kann genutzt werden, um Verwaltungsprozesse flexibler und effizienter zu gestalten, ohne den gesetzlichen Rahmen zu verlassen. Der Gebäudetyp E3, den die Ziviltechnikerkammer im engen Austausch mit den deutschen Kollegen seit rund einem Jahr erarbeitet, erlaubt, dass man teilweise außerhalb bestehender Normen agieren kann und dennoch dieselben Qualitäten und Sicherheitsstandards erreicht. Wir arbeiten intensiv über alle Grenzen und mit allen Beteiligten daran, dass dieses Modell in Österreich auf eine breite Basis zur Umsetzung zum Wohle sowohl im Consumer- als auch im Businessbereich trifft.“

Rechtliche Grauzonen und notwendige Reformen

Die aktuelle Rechtslage erweist sich tatsächlich als Bremser und verhindert kostengünstigere Lösungen. „Wir wollen den Bauherren motivieren, neue Wege zu gehen und ihm den rechtlichen Rahmen geben, die technischen Möglichkeiten der ausführenden Bauwirtschaft auszuschöpfen“, meint Rieder dazu.

Eine risikolose Abweichung von technischen Normen wäre derzeit daher nur möglich, wenn diese Abweichung sowohl baurechtlich gedeckt ist als auch in zulässiger (also gültiger) Art und Weise vertraglich vereinbart ist. Die Kompetenz zur Gesetzgebung ist in Österreich geteilt. Für das Zivilrecht ist der Bund zuständig, für das Baurecht sind das die Länder.

Ein Blick nach Deutschland 

Bereits 2023 wurden Pilotprojekte in Bayern umgesetzt. Im Jahr 2024 verabschiedete das deutsche Bundeskabinett zudem den Entwurf eines Gebäudetyp-E-Gesetzes („Entwurf eines Gesetzes zur zivilrechtlichen Erleichterung des Gebäudebaus“). „Dieses Gesetz ist noch nicht in Kraft getreten und wurde in der Begutachtungsphase von Juristen teilweise stark kritisiert, markiert aber einen Impuls in Richtung flexiblerer rechtlicher Grundlagen im Bauvertragsrecht“, erklärt Jan Philipp Schifko, Partner bei KWR Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte. 

Auch in Österreich wäre ein Durchforsten und Kahlschlag im rechtlich-technischen Normendschungel wünschenswert. Schifko: „Gleichzeitig bleibt aus juristischer Sicht die Frage, ob dies durch ein neues Gesetz als Allheilmittel erfolgen soll und kann oder die Lösung tatsächlich näher liegt.“ Sein Fazit: Damit das Konzept von Gebäudetyp E auch in Österreich (haftungs-)rechtlich tragfähig wird, ist somit eine Anpassung zahlreicher Rechtsvorschriften erforderlich. Gleichzeitig könnte einiges, aber bei weitem nicht alles im B2B-Bereich auch mit bestehenden vertraglichen Instrumenten gelöst werden. In jedem Fall sind alle Beteiligten bei der derzeit geltenden Rechts­lage gut beraten, nicht von den anerkannten Regeln der Technik abzuweichen.“

Gerade kommunale Bauherren bewegen sich auf einem engen juristischen Grat, wenn sie von bestehenden Normen abweichen wollen. Denn bei öffentlich gefördertem Wohnbau greifen sowohl zivilrechtliche Schutzbestimmungen für Verbraucher (z. B. Mietrecht, Gewährleistungsrecht) als auch vergabe- und förderrechtliche Vorgaben, die eine strenge Einhaltung technischer Standards vorschreiben.

Der Gebäudetyp E in der Praxis 

In Baden-Württemberg entsteht derzeit das erste Bauvorhaben nach dem Prinzip des Gebäudetyps E: ein Bürokomplex am Firmenhauptsitz des Beratungsunternehmens Drees & Sommer SE in Stuttgart-Vaihingen. Zwar kein Wohnbau, aber: „Beim als Gebäudetyp E konzipierten Pilotvorhaben begleiten wir Drees & Sommer konstruktiv beim Beschreiten ­neuer Wege. Einfach, effizient, experimentell, dafür steht der Buchstabe E. Die Erfahrungswerte aus dem ­Pilotprojekt sollen auch andere Bauherren und Planer nutzen, um das ­Bauen in Stuttgart zu vereinfachen und zu beschleunigen“, erklärt Peter Pätzold, Bau- und Umweltbürgermeister der Landeshauptstadt Stuttgart.

Für den kommunalen Wohnbau bedeutet der Gebäudetyp E vor allem eines: einen Balanceakt zwischen Innovation und Verantwortung, zwischen Effizienz und Rechtssicherheit. Der Gebäudetyp E ist kein Sparmodell um jeden Preis – aber ein Werkzeug, um dort gezielt Einsparungen zu erzielen, wo Übererfüllung wirtschaftlich und ökologisch keinen Sinn ergibt.

Gemeinden könnten Pilotrollen übernehmen, flankiert von wissenschaftlicher Begleitung, politischer Rückendeckung und juristischer Klarheit. Auf diese Weise würde kommunaler Wohnbau nicht nur günstiger, sondern auch zukunftsorientierter und ressourcenschonender.

Bauen mit Hausverstand 

Eine gute Nachricht zum Schluss: In Niederösterreich probiert man sich derzeit an einer Novelle der Bauordnung, die es möglich macht, billiger und effizienter zu bauen. Im Herbst soll die „neue Bauordnung mit Hausverstand“ beschlossen und mit 1. März in Kraft treten. Sanierungen und Erweiterungen im Bestand sollen erleichtert werden und bürokratische Hürden fallen, wo es sinnvoll ist. Klingt nach ­„Gebäudetyp Zukunft“.  

Warum brauchen wir den Gebäudetyp E?

Steigende Baukosten.
Überkomplexität durch Normen und Vorschriften
Übertriebene Komfort- und Luxusstandards

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