Schere reicht aus Postkasten und zerschneidet Brief
Die große Angst der Österreicher ist, dass TTIP einen Einschnitt in unsere sozialen Errungenschaften zur Folge hat.
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Gottes Werk oder Teufels Beitrag?

Selten noch hat ein Handelsabkommen die Meinungen so geteilt und Emotionen so hochgeschaukelt wie das Freihandels- und Investitionsabkommen TTIP. KOMMUNAL stellt Pros und Contras gegenüber.

Der Titel des Films „Gottes Werk & Teufels Beitrag“ (1999 nach dem bewegenden Roman von John Irving „The Cider House Rules“ verfilmt) stand Pate für die Überschrift zu diesem Beitrag. Und wie der Film Kernfragen des Zusammenlebens berührt, dreht sich auch dieser Beitrag um – im weitesten Sinne gesehen – „Zwischenmenschliches“. Aber auch nach vielen Stunden Beschäftigung mit TTIP und vielen Interviews und dem Studium vieler Berichte steht derzeit nur eines fest: Nichts Genaues weiß man nicht!



Genau hier liegt auch der Hase im Pfeffer, denn gegen eine Handels- und Investitionspartnerschaft, die zum Nutzen der Menschen abgeschlossen wird, kann eigentlich niemand etwas haben. Problematisch wird es, wenn im geheimen Kämmerchen verhandelt wird. Und wenn Cecilia Malmström in einem Interview mit dem „Standard“ vom 20. Jänner 2015 meint, dass die Kommission das Verhandlungsmandat schon „vor langer Zeit“ hätte veröffentlichen müssen, dann ist ihr da voll beizustimmen.



In diese Kerbe schlagen auch andere Gesprächspartner. Heidi Maier-DeKruijff vom Verband der öffentlichen Wirtschaft meint, dass „das grundsätzliche Problem die Geheimverhandlungen sind. Niemand weiß, wann welches Kapitel aufgeschlagen wird und worüber gerade diskutiert wird.“ Sogar eine grundsätzliche Befürworterin des Abkommens wie Angelika Mlinar von den NEOS protestiert scharf gegen die Geheimhaltung der Verhandlungen.



Angesprochen auf den Gegenstand des Abkommens, gibt Mlinar folgende Auskunft: „Die Verhandlung zu TTIP konzentrieren sich überwiegend auf drei Säulen: Marktzugang – zum Beispiel Zölle und Beschaffungswesen, regulatorische Komponenten (nicht-tarifäre Handelshemmnisse wie Quoten, technische Normen und Standards) und Vorschriften bzw. Regeln

(z. B. Wettbewerb, Beschäftigung oder Ursprungsregeln für Waren). Auf Basis dieser drei Säulen werden in unterschiedlichen Sektoren Zölle gesenkt, Marktzutritte vereinfacht, bürokratische Prozesse optimiert, technische Standards harmonisiert und weitere Maßnahmen getroffen, um den Handel zwischen den beiden Partnern nachhaltig zu fördern. Sicher ist nur – und dies wurde von europäischen Vertretern mehrmals festgehalten -, dass europäische Standards, besonders im Lebensmittel-, Gesundheits- und Umweltbereich nicht gesenkt werden und es zu keiner Aushöhlung europäischer Gesetzgebung in diesen Bereichen kommen wird“, so Mlinar.



Jörg Leichtfried, Delegationsleiter der SPÖ im Europäischen Parlament, sieht zwar Chancen für die Menschen, ist aber eher skeptisch eingestellt: „Handel ist grundsätzlich ein wichtiger Faktor für das Wirtschaftswachstum. In der EU hat der Binnenmarkt auch Österreichs Exportwirtschaft enorm beflügelt. Aber bei TTIP stehe ich den Verhandlungen sehr kritisch gegenüber. Wachstum ja, aber nicht um jeden Preis. Es müssten seriöse Verhandlungsgrundlagen erkennbar sein. Das ist bei TTIP nicht der Fall. Die Europäische Kommission hatte hier von Anfang an eine falsche Strategie an den Tag gelegt, die von Intransparenz und Liebäugelei mit Konzernen zeugte. Zwar gibt es mittlerweile etwas mehr Transparenz, doch das reicht noch lange nicht.“



Maier-DeKruijff präzisiert: „Wenn sich Handelsabkommen auf den Abbau von Zöllen reduzieren, ist das ja eine durchaus sinnvolle Sache, vor allem für eine kleine Volkswirtschaft, wie es die österreichische ist. Das Problem bei TTIP ist, dass so viele kleine Bestimmungen und Details subsummiert – wenn nicht versteckt – werden, die auf den Abbau der ,nichttarifären Handelshemmnisse‘, sprich Umwelt und Soziales, abzielen. Aus unserer Sicht sind das keine ,nichttarifäre Handelshemmnisse‘, sondern die Basis des europäischen Sozialmodells.“



Sie führt auch ins Treffen, dass „die ‚Investitionsschutzklausel‘ (ISDS) eigentlich zu einer Art ‚Inländerdiskriminierung‘ führt. Ein europäisches Unternehmen, das in Europa investiert, müsste eine künftige Erhöhung eines Sozialstandards wie dem Mutterschutz hinnehmen und könnte rein rechtlich nichts dagegen unternehmen. Aber beispielsweise ein US-amerikanisches Unternehmen kann sagen, mit so einem erhöhten Standard wird meine Investition ,geschmälert‘ und kann auf Schadenersatz klagen.“



Gabriele Habermayer, Abteilungsleiterin für multilaterale und EU-Handelspolitik im Wirtschaftsministerium, sieht dagegen keine Gefahr für unsere Sozialstandards: „Für diese Befürchtungen sehe ich keinen Anlass. Bisher hat kein Freihandelsabkommen dazu geführt, dass unsere Standards abgesenkt wurden. Vielmehr wollen die Verhandlungspartner Verpflichtungen für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung mit einem hohen Niveau erreichen. TTIP ist eine Möglichkeit, unsere hohen europäischen Standards auch auf globaler Ebene fest zu verankern. Jeder Vertragspartner wird weiterhin das Schutzniveau insbesondere für Gesundheit, Sicherheit, Konsumenten-, Arbeits- und Umweltschutz nach eigenem Ermessen festlegen können, somit bleiben diese Standards gesichert.“



Othmar Karas, Vizepräsident des Europäischen Parlaments und Delegationsleiter der ÖVP-Delegation in Brüssel, legt sich in der Frage sogar fest: „Erst mit Vorliegen des endgültigen Textes zum Abkommen kann diese Frage seriös beantwortet werden. Fakt ist, dass die Kommission den klaren Auftrag sowohl von uns im Parlament als auch von den Regierungen der Mitgliedstaaten hat, sich nicht auf eine Absenkung europäischer Standards einzulassen. Sollten Zweifel aufkommen, dass Sozialstandards untergraben werden, wird es weder vom Rat noch vom Europäischen Parlament eine Zustimmung zu TTIP geben.“



Angesprochen auf die Nutzen von TTIP für Europas Unternehmen, also ob eher Konzerne oder KMU profitieren, gehen die Meinungen wieder auseinander. Karas meint, dass „bei den TTIP-Verhandlungen ein eigenes Kapitel zu KMU inkludiert ist“ und diese daher sehr wohl profitieren werden. „Handelshemmnisse stellen für KMU eine oft unüberwindbare Hürde dar, da sie im Vergleich zu Großunternehmen für die Überwindung der Hindernisse keine bzw. wenig finanzielle Mittel zur Verfügung haben. Einfach gesagt: KMU kann TTIP noch mehr nutzen als den großen Firmen“, so Karas. Jörg Leichtfried meint, „dass ein ausgewogenes Handelsabkommen einige neue Arbeitsplätze schaffen könnte. Das kann ich mir am ehesten in der Exportwirtschaft, insbesondere bei Agrarexporten, vorstellen. Doch meine Euphorie hält sich in Grenzen.“



Die Investitionsschutzklausel und die Schiedsgerichte sind neben den Sozialstandards wohl am meisten diskutiert und gefürchtet. Heidi Mayer De-Kruijff sieht eine „Inländerdiskriminierung“ drohen, auch Jörg Leichtfried macht seinen Standpunkt klar: „Zwei demokratische, rechtsstaatliche Systeme brauchen keine Sondergerichte für Großkonzerne. Private Schiedsgerichte schaffen eine Paralleljustiz und desavouieren das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz. Ich lehne Sonderklagsrechte für Konzerne, die die europäische Rechtsstaatlichkeit aushebeln, ab.“



Gabriela Habermayer verneint Gefahren. Auf die Frage, ob „beklagte Staaten Gesetze im Gesundheitsbereich zurücknehmen müssen und ob es sein kann, dass aus Profitdenken Gesetze von gewählten Körperschaften zurückgenommen werden müssen oder Unsummen an Entschädigungen bezahlt werden müssen?“ Habermayer antwortet: „Schiedsverfahren laufen auf Basis von Regeln internationaler Übereinkommen im Rahmen der UNO und der Weltbankgruppe ab. In solchen Verfahren kann nie über die Rücknahme eines Gesetzes entschieden werden - und auch im Fall Philip Morris gegen Australien war dies nicht der Fall; im Gegenteil, nach Einbringen der Klage wurde die australische Regelung zum Nichtraucherschutz von anderen Ländern zum Vorbild genommen. Wenn in Schiedsverfahren in der Vergangenheit auf Schadensersatz zugunsten des Investors erkannt wurde, richtete sich die Entschädigung jeweils nach der Höhe der entzogenen Vermögenswerte bzw. der Enteignung. Für die neuen Handelsabkommen wie jene mit Kanada und den USA will die EU-Kommission den Investitionsschutz weiterentwickeln und zum Beispiel die Transparenz der Verfahren erhöhen oder die missbräuchliche Anrufung von Schiedsgerichten verhindern. Zudem soll das staatliche Regulierungsrecht stärker abgesichert werden.“



Zu dem Thema haben wir auch Othmar KLaras gefragt. Seine Antwort: „Investitionsschutzklauseln in Freihandelsabkommen sind definitiv nichts Neues! Die gehäuften, teils sehr umstrittenen Klagen von Investoren wie z.B. Philipp Morris gegen Staaten zeigen deutlich den Verbesserungsbedarf beim Investitionsschutz in Bezug auf Regulierungsrechte des Staates, Transparenz, Beschwerdemöglichkeiten und Schnelligkeit der Verfahren auf. Kommissionspräsident Juncker hat am 22. Oktober 2014 im Europäischen Parlament betont, dass die Europäische Kommission nicht akzeptieren wird, dass die Rechtsprechung der Gerichte in den EU-Mitgliedstaaten durch Sonderregelungen für Investorenklagen eingeschränkt wird.“



Malmströms Wort in Gottes Ohr. Handelskommissarin Cecilia Malmström war zuletzt bei der AdR-Plenartagung (siehe Bericht auf Seite 31) unterwegs, um positive Stimmung für TTIP zu machen. Dabei schien sie über die Inhalte von TTIP-Resolutionen österreichischer Gemeinden informiert und beteuerte, weder das Subsidiaritätsprinzip noch die Entscheidungsfreiheit der Gemeinden bei der Organisation und Erbringung von Daseinsvorsorgeleistungen seien durch TTIP gefährdet. Konkret formulierte sie es so: Nationale, regionale und lokale Gebietskörperschaften müssten öffentliche Dienste nicht dem Wettbewerb öffnen, wenn sie dies nicht wollen; sie würden auch nicht gezwungen, Dienstleistungen privat erbringen zu lassen und TTIP würde nicht in öffentliche Monopole bei der Erbringung von Dienstleistungen von öffentlichem Interesse eingreifen. Auch einer allfälligen Rekommunalisierung von Dienstleistungen schiebe TTIP keinen Riegel vor, die Transatlantische Handelspartnerschaft würde den weiten Ermessensspielraum der Kommunen bei der Erbringung der Daseinsvorsorge nicht einschränken.



Der Gemeindebund-Vertreter im AdR, Bürgermeister Hanspeter Wagner, betonte dennoch, dass der politische Diskurs weitergehen muss und die Bedenken der Gemeinden in den Verhandlungen präsent bleiben müssen.