Die unterschätzten Folgen einer möglichen Strommangellage
Aufgrund der angespannten Gasversorgungssituation mit möglichen Auswirkungen auf die Stromerzeugung wurden im Jahr 2022 in mehreren Ländern mögliche Energielenkungsmaßnahmen diskutiert und vorbereitet. Als letztes Mittel wurden zur Vermeidung eines ungeplanten großflächigen Stromausfalls („Blackout“) wegen unzureichender Erzeugungs- oder Übertragungskapazitäten mehrstündige rotierende Flächenabschaltungen vorbereitet (sogenannte Brownouts). Die Energiewirtschaft stimmte sich mit den Behörden ab, und es wurden dazu verschiedene Schubladenverordnungen erstellt. Die Botschaft lautete: Wir sind vorbereitet. Aber stimmt das wirklich und welche Konsequenzen hätten solche Energielenkungsmaßnahmen?
Denn das Thema Brownout geht wie ein Blackout weit über einen temporären Stromausfall hinaus und wird oft unterschätzt. Bei geplanten Flächenabschaltungen käme es wie bei einem Blackout zu weitreichenden Infrastruktur-, Kommunikations- sowie Logistik- und Versorgungsunterbrechungen mit schwerwiegenden Folgen.
Mehrere Stufen
In Österreich und Deutschland wurde ein dreistufiges Verfahren vorbereitet. In der Schweiz wird die Stufe 1 zweigeteilt.
- In der Stufe 1 wird die Öffentlichkeit zum Stromsparen aufgefordert. Bei Bedarf werden zusätzlich Nutzungsbeschränkungen oder -verbote erlassen. In der Schweiz wäre das bereits die Stufe 2. Hier würden stromintensive Anwendungen, wie etwa die Verwendung von Saunen oder Leuchtreklamen in einer Zwischenstufe untersagt werden. Die Stufe 1 wurde mehr oder weniger Ende März 2022 ausgerufen, jedoch bisher nicht mehr aufgehoben, auch wenn sie bisher nur sehr niederschwellig kommuniziert wird.
- In der Stufe 2 käme es zu einer Kontingentierung für Großverbraucher, die dann ihren Strombezug entsprechend reduzieren müssten, was nicht überall ohne weiteres möglich ist. In Kärnten gibt es daher Absprachen zwischen den Unternehmen, dass jene, die ihren Bezug nicht einfach reduzieren können, trotzdem ihren Bedarf decken und andere Unternehmen, die ihren Bezug leichter reduzieren können, dafür auf ihr Kontingent verzichten. Ein sehr zweckmäßiger Ansatz. Sollten diese Kontingentierungen nicht ausreichen, müsste Stufe 3 verordnet werden.
- In der Stufe 3 würden in Österreich den Bundesländern Stromkontingente zugewiesen. Durch daraus resultierende Unterdeckung könnte dann zu temporären Flächenabschaltungen führen. Hierzu wurden in den Bundesländern unterschiedliche Abschaltzonen vorbereitet.
Während in Österreich für die Maßnahmenverordnung der Bund bzw. das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) zuständig ist, liegt die Umsetzung bei den Bundesländern, was sich auch in der Vorgangsweise widerspiegelt. So sind in Kärnten zwei, in Tirol und Salzburg drei und in Oberösterreich und Niederösterreich sechs Zonen mit jeweils vier Stunden Abschaltzeit vorgesehen. In Wien soll es aufgrund der höheren Komplexität vier Zonen mit sechs Stunden Abschaltung geben.
Die konkreten Varianten werden sicherlich noch von der erforderlichen Energiemenge, die eingespart werden soll, und dem dafür erforderlichen Zeitraum abhängen. Ferner wird die Dauer der Unterdeckung darüber entscheiden, ob eventuell länger anhaltende rollierende Abschaltungen notwendig werden. In der Schweiz wird zum Beispiel auch damit gerechnet, dass nach einem Blackout Schäden an Betriebsmitteln auftreten können, die ebenfalls solche rollierenden Stromabschaltungen erforderlich machen könnten.
Umsetzung
Eine mögliche Lastunterdeckung sollte sich grundsätzlich über mehrere Tage im Voraus abzeichnen. Zu diesem Zweck werden von dem systemverantwortlichen Übertragungsnetzbetreiber, in Österreich wäre dies die Austrian Power Grid (APG), laufend Lastdeckungsprognosen erstellt.
Sollte eine Lastdeckung nicht mehr durch eigene Erzeugungskapazitäten oder Importe gedeckt werden können, müsste das Klimaschutzministerium eine entsprechende Maßnahmenverordnung erlassen, die dann durch eine Durchführungsverordnung der jeweiligen Landesregierung umgesetzt werden müsste. Diese Prozesse sind vorbereitet. Gleiches gilt für die Kommunikation mit den energieintensiven Unternehmen, die in Stufe 2 als erste ihren Bedarf reduzieren müssen.
Was jedoch fehlt, ist die Information der übrigen Gesellschaft über die notwendigen Schritte und Konsequenzen in Stufe 3, oder zum Teil auch bereits ab Stufe 2. Denn auch die eingeschränkte Produktionsfähigkeit von Großunternehmen wird nicht ohne Folgen bleiben.
In Deutschland stuft die Bundesnetzagentur das Risiko für kontrollierte Abschaltungen im Winter 2023/24 als gering ein. Es gebe genügend Vorsorgemechanismen. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) hingegen schließt kontrollierte Abschaltungen auch im Winter 23/24 nicht aus. Die Gefahr bestünde vor allem im Januar und Februar 2024.
Im Falle einer Strommangellage würde der Strom deutschlandweit regional verteilt, kontrolliert und zeitlich begrenzt abgeschaltet. Neben Knappheiten bei Primärenergieträgern werden nicht behebbare Engpässe im Stromnetz als Risiko gesehen. Dann würde der Strom nur dort ausfallen, wo entsprechende Kraftwerkskapazitäten fehlen - ebenfalls kontrolliert und zeitlich begrenzt. Der Übertragungsnetzbetreiber TransnetBW bietet mit seiner StromGedacht-App ein Werkzeug an, mit dem jedem ermöglicht wird, den aktuellen Zustand im Netz einzusehen und mittels Lastverschiebung, also gezielter Veränderung des Nutzungsverhaltens, zur Stabilisierung des Stromnetzes beizutragen.
Fehlende Sicherheitskommunikation
Bei all diesen Risikobetrachtungen wird jedoch nur von vorhersehbaren und beherrschbaren Ereignissen ausgegangen. Auch wenn es derzeit keine konkreten Anzeichen dafür gibt, dass wir im nächsten Winter in diese Situation kommen könnten, sollten wir aus den Erfahrungen der letzten Jahre gelernt haben: Überraschungen kommen öfter, als man denkt.
Selbst wenn die Gas- und Stromversorgung derzeit stabil erscheint, können unerwartete Ereignisse wie größere Kälteeinbrüche oder Sabotageakte gegen Kritische Infrastrukturen, wie etwa der Anschlag auf die Gaspipelines Nord Stream 1 und 2, sehr schnell zu kritischen Situationen führen, auf die wir derzeit kaum vorbereitet sind.
Überdies sollten wir uns immer der internationalen logistischen Verflechtungen bewusst sein. Auch wenn ein Land, z.B. Österreich, von einer unmittelbaren Energieknappheit in einem anderen Land nicht direkt betroffen ist, können die Folgewirkungen aus den betroffenen Regionen sehr rasch auch andere Regionen treffen.
Auswirkungen einer Strommangellage
Wie bei einem Blackout würde eine Strommangellage ab Stufe 2 zu massiven Versorgungsproblemen führen.
In der Schweiz käme es beispielsweise ab Stufe 3 (Kontingentierung) zu einer Einstellung des Personenverkehrs auf der Schiene mit entsprechend schwerwiegenden Beeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Die Mitarbeiter würden z.B. nur noch eingeschränkt zur Arbeit erscheinen.
Ab Stufe 4, bzw. 3 in Deutschland und Österreich, müsste der gesamte Schienenverkehr eingestellt werden.
Diese Maßnahme auch nur in einer Region wirkt sich mit Sicherheit grenzüberschreitend aus. Vor allem in der Logistik wäre mit schwerwiegenden Folgen zu rechnen. In den betroffenen Regionen käme es wie bei einem Blackout innerhalb von 30 Minuten zu einem Ausfall der Telekommunikation, sodass weder Notrufe noch die Synchronisation der Logistik etc. funktionieren würden.
Wie mehrere Vorfälle in den letzten Monaten gezeigt haben, reichen oft schon kurze Stromausfälle aus, um in Rechenzentren ein Chaos auszulösen. Gleichzeitig speichern immer mehr Unternehmen ihre Daten in der Cloud, sodass ein rascher Wiederanlauf nach der Stromabschaltung kaum zu erwarten ist. Ganz zu schweigen von den vielschichtigen wechselseitigen Abhängigkeiten in unserer Just-in-Time-Logistik. Verschiedene Unternehmensbereiche sind auf zentrale Rechenzentren angewiesen. Würden diese in die Abschaltzone fallen, wären auch alle Anwender betroffen, die noch Strom haben.
Wie bei einem Blackout könnte innerhalb kürzester Zeit ein logistisches Chaos entstehen, das die Grundversorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen beeinträchtigt. Auch wenn Stromengpässe und Lastabschaltungen ein geringeres Übel sind als ein ungeplanter großflächiger Stromausfall, hätten auch kurze, geplante Einschränkungen massive Folgen. Diese werden jedoch bisher weder thematisiert, noch gibt es entsprechende Vorbereitungen außerhalb einzelner Behördenbereiche oder der Energiewirtschaft. Daher muss bezweifelt werden, dass die Schubladenpläne einfach so funktionieren werden.
Die kurz- und langfristigen Auswirkungen hängen von der Ausgangssituation ab und davon, ob eine solche Maßnahme einmalig, über mehrere Tage oder über einen längeren Zeitraum durchgeführt werden muss.
Nicht zu vernachlässigen ist, dass es bei solchen Flächenabschaltungen zu erheblichen Spannungs-, Frequenz- und Stromschwankungen kommen kann, die empfindliche Geräte (IT-Systeme, Gebäude- oder Prozessleittechnik u.a.) beschädigen können. Ebenso können folgenschwere Schäden an der Telekommunikationsinfrastruktur (Mobilfunk, Festnetz, Internet) entstehen und es wäre wie bei einem Blackout mit erheblichen Problemen bei der Wiederinbetriebnahme zu rechnen.
Hinzu kommt, dass es eine Vielzahl von Zuständigkeiten gibt und entsprechende Abstimmungen nicht an allen Stellen erkennbar sind. Während für den behördlichen Bereich die Regelung Sache der Energieverantwortlichen ist, liegen die Zuständigkeiten für die Folgen im Bereich der Sicherheit und des Katastrophenschutzes.
Wie immer gibt es Licht, positive Ausnahmen, aber auch Schatten und dunkle Stellen. Und wie beim Blackout-Szenario kommt es nicht darauf an, ob einzelne Akteure oder Sektoren gut aufgestellt und vorbereitet sind, sondern ob die Gesellschaft in der Lage ist, mit den weitreichenden Folgen einer solchen Versorgungsunterbrechung umzugehen.
Vorsorge
Eine flächendeckende Vorsorge, wie für das Blackout-Szenario gefordert, würde auch hier helfen, die zu erwartenden Folgen abzumildern. Wenn nämlich sich viele Menschen für mindestens 14 Tage selbst versorgen können, werden die Logistikketten entlastet und Störungen können schneller behoben werden. Andererseits wären auch hier die kommunalen Krisenbewältigungsstrukturen massiv gefordert, die in den bisherigen Planungen kaum adressiert werden.
Auch bei einer nur vierstündigen Stromabschaltung müsste sichergestellt werden, dass die Wasserver- und Abwasserentsorgung aufrechterhalten bleibt. Dass es Anlaufstellen für die Weiterleitung von Notrufen gibt („Selbsthilfe-Basen“) und dass eine sanitätsdienstliche und medizinische Notversorgung aufrechterhalten werden kann oder dass eine Lebensmittelnotversorgung vorbereitet ist.
Bereits ein vierstündiger Stromausfall kann zu erheblichen Problemen führen, wenn wie zu erwarten in Supermärkten die Kühlvitrinen zum Wartungsfall werden und nicht mehr in Betrieb genommen werden können.
Gelingt es nicht, die verderblichen Lebensmittel rechtzeitig abzugeben, entsteht sehr schnell ein großes Entsorgungsproblem, auf das es derzeit kaum Antworten gibt. Oder was passiert in den Kindergärten und Schulen und anderen systemrelevanten Bereichen? Welche Auswirkungen hätte das auf die Verfügbarkeit von Eltern in wichtigen Einrichtungen wie der organisierten Pflege oder bei Einsatzorganisationen? Wie man sieht, ist man hier schnell wieder beim Themen Blackout-Vorsorge.
Daher kann an dieser Stelle nur noch einmal betont werden: Eine fundierte Blackout-Vorsorge hilft auch bei vielen anderen möglichen Szenarien und wir sollten uns besser vorbereiten, als böse überrascht zu werden. Denn sollte es, wie derzeit gewarnt wird, ab 2025 zu massiven Engpässen in der Gasversorgung kommen, werden wir sehr schnell in eine ähnliche Situation geraten. Die Krisenaussichten werden also nicht besser. Wir können also weiter auf Glück hoffen oder rechtzeitig Verantwortung übernehmen und uns auf weitere Überraschungen vorbereiten.
Dazu gehört auch, entsprechende Informationen auf dem Dienstweg einzufordern, und nicht zu warten, bis jemand von „oben“ zum Handeln auffordert. Denn dann ist es in vielen Fällen schon zu spät. Es ist zu befürchten, dass mit der Information so lange gewartet wird, bis es gar nicht mehr anders geht und dass dann mit Sicherheit zu wenig Zeit für eigene Überlegungen bleibt.
Wie wir aus jüngsten Ereignissen wissen, wird mit der Risikokommunikation häufig so lange zugewartet, bis eine nicht vorbereitete Krisenkommunikation notwendig ist. Dies gilt in der Kommune genauso wie in den Betrieben. In der Bevölkerung wird nicht ein besonnenes Handeln gefördert, sondern man belässt es eher bei Überreaktionen und Hamsterkäufen, was wiederum die Chaosgefahr erhöht. Wollen wir es so weit kommen lassen?
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