Kiew während eines Stromausfalls
Kiew während eines Stromausfalls.
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Reportage

Ukraine - Leben im Blackout

Heute 80-Jährige waren 1945 in Österreich gerade mal ein paar Jahre alt. Ihre Elterngeneration würde wissen, was ein echter Blackout über Tage oder Wochen heißt. Aber meist können wir sie nicht mehr fragen. Die Menschen, die es aktuell wissen, sitzen in der Ukraine, die Menschen dort leiden unter mehr als nur einem Blackout.

Knapp 1000 Kilometer östlich der Bundeshauptstadt liegt Odessa in einem der Hotspots russischer Angriffe. Seit Wochen gibt es dort kaum oder nur stundenweise Strom. Die Lehrerin und Journalistin Karina Beigelzimer (einigen vielleicht bekannt aus einem Fernsehbericht von Puls24 Mitte Dezember 2022) berichtet für KOMMUNAL, was es heißt, ohne Strom auszukommen. Die Geschichte, die sie auf den folgenden Seiten beschreibt, sollte auch bei uns die Augen öffnen. Vorbereitungen auf einen Blackout müssen um einiges mehr als nur Stromvorsorge betreffen.

„Seit zehn Monaten führt Russland einen brutalen Krieg gegen mein Heimatland. Wir alle leben in ständiger Ungewissheit.
Die grausame Realität ist geprägt von Existenzängsten, Toten, Flüchtlingen, doch gleichzeitig gibt es viel Hoffnung, Mut und Hilfsbereitschaft. Dieser Krieg erschüttert uns, dieser Krieg verändert die Welt und die Weltordnung. Und ein Ende ist leider nicht in Sicht. 

Besonders schwer wurde die Situation in unserer Region im November und Dezember, als Russland begann, kritische ukrainische Infrastrukturen anzugreifen. Kraftwerke wurden attackiert, was zu weitreichenden Stromausfällen führte. Würde man den Wochen nach diesen Angriffen einen Namen geben, dann würde man sie sicher „Black Weeks“ nennen, weil wir fast die ganze Zeit im Dunklen verbracht haben. 

Von der Fiktion zur Realität

Letztes Jahr habe ich „Blackout“ gesehen. Das ist ein deutscher Thriller in Form einer Miniserie, die auf dem gleichnamigen Roman des österreichischen Autors Marc Elsberg beruht.

Thema ist ein Blackout in Europa. In Deutschland bildet sich ein Krisenstab, der daran arbeitet, die Energieversorgung wiederherzustellen und gleichzeitig die Auswirkungen der Katastrophe so gut wie möglich einzudämmen. 

Damals fand ich die ganze Geschichte zwar ziemlich erschreckend, doch ich dachte nicht, dass dieses Szenario in der heutigen Zeit jemals möglich wäre. Noch im Oktober war ich davon überzeugt, auch wenn wir schon damals manchmal stundenlang ohne Strom waren. Aber dann kam die Apokalypse und fast im ganzen Land gab es nach dem russischen Beschuss einen Blackout. Zudem brach die Wasserversorgung zusammen. Und das hat sich seitdem leider schon oft wiederholt. 

Es gab einen Moment, wo ich sehr große Angst hatte: als das Netz verschwand und ich fast 40 Stunden niemanden anrufen konnte, kein Internet hatte und nicht wusste, was in der Welt passiert. Dieses Gefühl der Isolation, Hilflosigkeit und Ungewissheit macht einen verrückt. Zudem hat man kein Zeitgefühl mehr. Derzeit wird es in Odessa schon gegen 16 Uhr dunkel und da man ohne Licht wenig unternehmen kann, ist die Langeweile erdrückend.

Alltag ohne Strom

Schon die ersten zwei Tage ohne Strom haben uns die Augen geöffnet und gezeigt, wie sehr wir von vielen Dingen abhängig sind. Für meine Arbeit als Lehrerin und Journalistin bin ich auf Strom und ein funktionierendes Internet angewiesen. Ohne diese Dinge sind mir die Hände gebunden und ich kann nichts tun, so sehr ich es möchte. Doch auch im Alltag merkt man schnell, wie abhängig man von der Elektrizität ist. So musste ich nach tagelangen Stromausfällen oft die meisten Lebensmittel, die ich im Kühlschrank hatte, wegwerfen, da sie ohne Kühlung schnell verderben. 

Am Anfang habe ich versucht, Kerzen und Taschenlampe so wenig wie möglich zu benutzen. Nachdem ich mir aber zweimal im Dunklen das Bein angestoßen hatte, sah ich ein, dass das unmöglich war. Der Akku meines Handys war ebenfalls fast leer und auch meine Powerbank hielt nicht ewig. Jetzt sieht mein Zimmer aus wie eine Werkstatt. Ich habe mir eine kleine tragbare Powerstation gekauft, Taschenlampen, ein Radio und noch viele andere Geräte, die mir helfen, diese schwere Zeit zu überstehen und zu arbeiten, obwohl das nicht immer gelingt. 

Frauen in der Ukraine im Luftschutzkeller
Kein Strom, keine Wärme – und dann auch noch die Angst bei Fliegeralarm. Was bei uns höchstens aus Büchern, aber nicht mehr aus Erlebtem bekannt ist, ist 1000 Kilometer (das ist eine rund fünfzehnstündige Fahrt) oft täglicher Horror. Die Gesichter der Frauen, die sich vor den Luftangriffen in Kiev im Keller verstecken, erzählen deutlich von der Angst, die die Menschen ausstehen. Foto: Marina - stock.adobe.com

Wenn wir für ein paar Stunden Strom haben, dann bin ich so glücklich, als hätte ich 100.000 Euro im Lotto gewonnen. Dann lebe ich in einem Beschleunigungsmodus. Ich weiß, dass ich alles sehr schnell erledigen muss, ehe meine Welt wieder in der Dunkelheit versinkt. 

Ich kann mich glücklich schätzen, weil bei mir die Heizung funktioniert – bei vielen meiner Freunde fällt auch diese aus. Das ist bitter, denn mittlerweile ist es sehr kalt geworden. In der Region gibt es aber schon viele Wärmestuben, wo man sich aufwärmen und etwa das Handy aufladen kann. In einigen Supermärkten laufen Notstromaggregate, damit die Kühlschränke nicht ausfallen. Dieselgeneratoren sind momentan das Gut der Stunde. Der Bedarf ist riesig. Die Versorgung mit Lebensmitteln und den Dingen des täglichen Bedarfs funktioniert derzeit ziemlich gut, auch die Post funktioniert.

Der öffentliche Verkehr war in letzter Zeit fast die ganze Zeit lahmgelegt und wegen nicht funktionierender Ampeln sind viele Autounfälle passiert.

Wie sich die Situation weiterentwickelt, ist nicht vorhersehbar. Die Russen hören nicht auf, unser Land zu attackieren. Sie versuchen, uns zu vernichten – aber sie werden keinen Erfolg haben: Je brutaler der Krieg ist, desto entschlossener sind die Ukrainer. Es gibt keine Verhandlungen mit Russland – nicht, bevor wir gewonnen haben.“