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Die Mutige mit Lust auf Veränderung
Man muss schon lange suchen, um einen Ortschef in Österreich zu finden, der einen derartig abwechslungsreichen und illustren Lebenslauf vorzuweisen hat, wie Evi Huber. Ihr Wahlkampf-Slogan „Mut zur Veränderung“ ist keine leere Worthülle, sondern ein höchstpersönlicher Aufruf dazu, Neues zu wagen – so wie sie es selbst in ihrem Leben schon x-fach getan hat.
Seit 4. April ist die 53-jährige Mutter von zwei Kindern neue Bürgermeisterin von St. Johann im Pongau und hat damit gleich mehrere Zeitenwenden eingeläutet. Nach 174 Jahren wird die Stadt nun zum ersten Mal von einer Frau regiert. Huber ist die erste Bürgermeisterin überhaupt, die in Salzburg eine Bezirkshauptstadt leitet. Und seit 79 Jahren ist es erstmals wieder eine „Rote“, noch dazu in einer „schwarzen“ Gemeinde.
St. Johann hat schon lange nicht mehr so viel Veränderung erfahren. Evi Huber hingegen schon: „Für mich ist es normal, immer wieder etwas Neues zu beginnen. Man lernt einfach so viel dazu,“ erzählt die 1,80 Meter große Blondine, die ursprünglich Frisörin gelernt hat.
Der Beruf war ihr Kindheitswunsch, seit sie ihren Puppen die Haare geschnitten hat. Die ersten elf Lebensjahre wuchs die kleine Evi in einer Großfamilie am Bauernhof auf. Die Oma vermietete ein paar Gästezimmer und Evi lief gerne zwischen den Gästen umher und half beim Servieren. Fasziniert davon, woher die weitgereisten Fremden kamen, entwickelte sie die Sehnsucht, auch die weite Welt zu sehen.
Nach Abschluss der Frisörlehre begann sie bald an der Bar eines Fünf-Sterne-Hotels in St. Johann zu arbeiten, das hauptsächlich amerikanische Time-Share-Touristen beherbergte. So lernte die Teenagerin richtig gut Englisch, und mit 20 Jahren ging sie in die USA. Zuerst als Au-Pair nach New York, später zur Unterstützung einer Familie nach Chicago. Bis heute pflegt sie innige Kontakte zu den Menschen, die sie damals kennenlernte, insbesondere zu ihrer „American Mom,“ die mittlerweile 80 Jahre alt ist.
Eineinhalb Jahre nach ihrer Rückkehr, packte Huber erneut das Fernweh. Diesmal ging sie als Reiseleiterin nach Griechenland. Kreta, Santorin und Ios waren ihre Destinationen und phasenweise musste sie dabei bis zu 500 Jugendliche auf deren Maturareise in Zaum halten. Wieder zurück in heimatlichen Gefilden plante Huber 1995 neuerlich ins Ausland zu gehen, doch just zu diesem Zeitpunkt traf sie auf ihren zukünftigen Mann. „Ich bin geblieben, und es war eine gute Entscheidung, denn er war der Richtige“, strahlt Huber. Mittlerweile sind Evi und Christian seit 29 Jahren zusammen und haben zwei Söhne, die mittlerweile 26 und 17 Jahre alt sind.
Die Kinder waren es auch, die Huber zur Politik gebracht haben. Als der Erstgeborene aus dem Ganztagskindergarten in die Schule wechselte, gab es für ihn plötzlich keine Nachmittagsbetreuung mehr. Ein Problem für die berufstätige Mutter, die sich damit an den damaligen Bürgermeister wandte, der jedoch meinte, Nachmittagsbetreuung bräuchte man nicht. „Das habe ich mir nicht gefallen lassen und eine Bedarfserhebung gemacht, um zu sehen. ob ich die Einzige bin, die so komisch ist, oder ob es andere auch noch gibt“, erinnert sich Huber zurück ans Jahr 2003. Mindestens zwölf Interessenten hätten sich für eine Gruppe finden müssen. Ganze 55 hat Huber schließlich zusammenbekommen.
Mit dem Ergebnis ist Huber zu allen Parteien gegangen. „Die SPÖ hat mich dann aufgenommen und mein Anliegen in der Gemeindevertretung unterstützt. Mein Amtsvorgänger hatte das gar nicht gern. Aus heutiger Sicht des Bürgermeisters verstehe ich das schon, denn es kostet viel Geld. Aber es ist nun mal einfach die Zeit dafür gewesen“, erinnert sich Huber zurück.
Auch dank des medialen Drucks eröffnete 2004 die erste Nachmittagsbetreuung und mit den Gemeinderatswahlen im gleichen Jahr stieg Huber in die Politik ein. Seit damals ist sie durchgehend in der Gemeindevertretung. Veränderung blieb dennoch Hubers Konstante. Auch um sich ihr Englisch zu erhalten, arbeitete sie jahrelang an Wochenenden in Schischulen. 2010 begann sie die Berufsreifeprüfung. Zwar brauchte die zweifache Mutter wegen ihrer zahlreichen anderen Verpflichtungen dafür ein wenig länger, aber auch dieses Vorhaben brachte sie zu einem guten Abschluss. Wichtig für die vielseitige Bürgermeisterin, denn eine ihrer Maximen lautet: „Was du anfängst, schließt du auch ordentlich ab!“ Darum hat Huber im Jahr 2020 nach drei Jahren Studium auch ihren Bachelorabschluss in Sozialer Arbeit an der Fachhochschule gemacht.
„Und jetzt bin ich gerade dabei, über das BFI die Ausbildung für Mediation und Konfliktmanagement zu machen. Die geht noch bis November“, verrät die frischgebackene Ortschefin, die mit ihrem Team bereits im ersten Durchgang am 10. März das Wahlziel von mindestens drei zusätzlichen Mandaten erreichte und sich in der folgenden Stichwahl gegen den ÖVP-Kandidaten durchsetzte, nachdem ihr Vorgänger nach 21 Jahren im Amt nicht mehr antrat.
Immer mit Menschen
So unterschiedlich Hubers Jobs, Unternehmungen und Ausbildungen auch sein mögen, eines haben sie alle gemeinsam: Sie haben immer direkt mit den Menschen zu tun.
„Ich bin definitiv keine Buchhalterin. Das wäre nicht meines“, bekennt sie. Ihre Stärken liegen in der Kommunikation und die sind mit ein Grund, weshalb sie gewählt wurde. So sitzt Huber beispielsweise mit den Männern am Stammtisch und kann mit ihnen über Emanzipation und Gleichberechtigung diskutieren – und zwar pragmatisch, nicht dogmatisch. Die Frage, wie Gleichberechtigung wirklich gelingen kann, beschäftigt die Frau, die für die Nachmittagsbetreuung ihres Kindes vehement kämpfen musste, sehr. Konservative Rollenbilder seien noch immer stark verankert.
„Und hat man wirklich einmal ein emanzipiertes Pärchen, dann gilt sie als Rabenmutter und er als Softie“, erklärt Huber. Doch nicht nur am Stammtisch ist Huber präsent. Spätestens seit sie Vizebürgermeisterin wurde, war sie praktisch überall dabei, von Jahreshauptversammlungen bis zu Bällen. „Das haben die Leute honoriert. Oft sind es aber auch nur die kleinen Dinge, wie wenn man wo für jemanden anruft, und dem dadurch schon geholfen ist“, weiß Huber.
Für ein ein aktiveres, lebendigeres St. Johann
„Die Menschen haben gespürt, dass die Kommunikation in St. Johann in der Vergangenheit abgeflaut ist. Die Leute beschreiben die Situation als graue Wolke über dem Ort, wo nichts mehr passiert“, erklärt Huber. „Wir wollen ein aktiveres, lebendigeres St. Johann haben und mit Frische die Kommunikation dort wieder aufleben lassen, wo sie schon erloschen ist.“
Zum Beispiel mit einem Seniorentreff, denn „es gibt so viele Senioren, die alleine zu Hause sitzen, alleine essen, und einsam sind“, weiß Huber aus zahlreichen Gesprächen. „Meine soziale Arbeit kommt mir da zugute, denn ich habe keine Scheu vor den Leuten. Wenn‘s passt, setz ich mich im Kaffeehaus einfach auf einen Kaffee dazu. Das kannten sie von meinem Vorgänger nicht.“
Evi Huber konnte auch die jungen Leute ansprechen: „Viele Erstwähler haben mich unterstützt. Es ist schön, Leute dazu zu motivieren wieder an etwas Gutes zu glauben. Ich möchte, dass diese Wolke über St. Johann weg ist und wir gemeinsam an einem Strang ziehen, um die Sonne wieder scheinen zu lassen“, greift Huber die Metapher nochmals auf und weiß: „Das geht nur mit der Bevölkerung und den Unternehmen, die die finanziellen Mitteln haben. Als Bürgermeisterin alleine kann ich nichts verändern. Da braucht es die Menschen dazu.“
Solide finanzielle Basis
Die Chancen dafür stehen gut. Huber weiß zahlreiche Bauern und Unternehmen hinter sich, außerdem ist St. Johann ist eine der finanziell solidesten Gemeinde Österreichs. Die elfeinhalbtausend Einwohner zählende Stadt hat Potenzial, einen guten Mix aus Handel, Industrie und Tourismus. Auch florierende Familienbetriebe gibt es hier noch. Die Gemeinde arbeitet gut mit dem Tourismusverband und den Bergbahnen zusammen. Bei zahlreichen Projekten, wie z.B. Spielplätzen dritteln sie sich die Kosten.
„Auch in St. Johann hat Corona vieles kaputt gemacht, insbesondere in der Gastronomie.“ Nun soll es wieder ein bisschen bunter und lebendiger werden, eine Bar oder Diskothek aufmachen. Ideen sind vorhanden und Huber ist nur allzu bereit ihnen Gehör zu schenken, denn „die Jungen wollen Leben!“
Auch dem Postareal, einem Platz im Zentrum, der derzeit wahrlich kein schöner Anblick ist, soll mit einem Bürgerbeteiligungsprozess neues Leben eingehaucht werden. „Wir wollen St. Johann auch grüner machen. Dazu müssen Parkplätze weg und Öffis her“, so Huber. Letztere sind schon jetzt in St. Johann durchgehend gratis und sollen künftig weiterhin ausgebaut werden, denn der Sommertourismus ist stark in Wachsen:
„Sehr beliebt ist unser Geisterberg. Fährt man mit der Gondel auf den Berg, trifft man womöglich Gspensti und Spuki und kann den ganzen Tag dort verbringen“, verrät Huber lächelnd. Sie ist zuversichtlich, dass die Vorhaben gelingen: „Für die Veränderungen brauche ich die Gemeindevertretung und die ist der Spiegel der Gesellschaft. Wir haben im Wahlkampf alle die Jugend angesprochen. Wir haben alle die Generationen angesprochen. Wir wollen alle St. Johann attraktiver machen und setzten uns alle für Bars und das Nachtleben ein. Das sollte sich also auch in den Beschlüssen widerspiegeln.“
Evi Huber freut sich jedenfalls auf die neuen Aufgaben: „Aufs Tun, genauso wie aufs Fehler machen – um daraus zu lernen. Das ist menschlich und sollte, wenn man offen und ehrlich miteinander umgeht, auch vertretbar sein. Es ist schließlich noch kein Bürgermeister vom Himmel gefallen.“
Zur Person
Eveline Huber
Alter: 53
Gemeinde: St. Johann im Pongau
Einwohnerzahl: 11.452 (1. 1. 2023)
Bürgermeister seit: 4. April 2024
Partei: SPÖ