Ferienhaus in den Alpen
Touristische Angebote neu erfunden sind Wege, wie sie die „art-lodge“ auf der Kärntner Nockalm beschreitet.
Foto: art-lodge

Chance für den Neubeginn

Die Schneefallgrenze steigt, der Wintertourismus ist dahin! Und der Klimawandel ist an allem schuld! Aber die Fragen, ob das wirklich die Gründe für einen möglichen Niedergang des kommunalen Tourismus sind und vor allem, ob die Gemeinden wirklich so gar nichts dagegen tun können, sind noch wenig diskutiert.

Leerstände sind ein bekanntes Thema, das den Gemeinden zu schaffen macht. Wenn nicht nur die Wohnhäuser, sondern auch Pensionen und Gasthäuser veröden, gilt für die Gemeinden Alarmstufe Rot. Denn wenn es erst soweit ist, wurden meist auch die ersten Anzeichen oder frühen Warnsignale dieser Entwicklung übersehen – um nicht zu sagen, verschlafen. Dann stellt sich nicht nur die Frage, wie man „in letzter Sekunde" noch was ändern kann. Und wenn man sich eingestehen muss, dass die letzte Sekunde schon verstrichen ist, stellt sich nur mehr die Frage, was zu retten ist.



Die 5. Leerstandskonferenz Mitte Oktober widmete sich dieser Frage unter dem Motto „Tourismus und Leerstand". Allein die Formulierung „sich widmen" bedeutet auch das Überprüfen liebgewonnener (Selbst-)Zuschreibungen und Klischees wie „Tourismusland Österreich mit traumhafter Landschaft, weißen Pisten, wunderschönen und gepflegten Kleinstädten und Dörfern, vollen Gasthäusern, ausgebuchten Pensionen und Hotels und so weiter."

Identifikation der Bevölkerung mit der Gemeinde schwindet



Die Konferenz hatte sich Gemeinden, die Tourismusorte heißen, sich aber jenseits der städtischen Hochkultur und der alpinen – aber nicht nur diesen – Tourismus-Hotspots befinden, im Fokus. Die Landschaft ist ja nach wie vor traumhaft – auch wenn viel zu viel davon täglich zubetoniert und versiegelt wird. Aber vielen kleinen Tourismusgemeinden und -betrieben machen die ansteigenden Schneefallgrenzen, billige Pauschal(fern)reisen, aber auch das Wegziehen der vor allem jüngeren Bevölkerung zu schaffen. Nicht nur die Nächtigungszahlen nehmen an vielen Orten ab, auch die Identifikation der eigenen Bevölkerung mit der Gemeinde schwindet. Ländliche Kommunen müssen sich etwas einfallen lassen, um über die Nachbargemeinden hinaus für mehr bekannt zu sein als für leerstehende Gasthäuser, stillstehende Lifte und eine verödete Ortsmitte.



Was können sie tun? Wie können in die Jahre gekommene oder nicht mehr genutzte Liftanlagen, Skipisten, Bäder und Thermen (kreativ) nachgenutzt werden? Wie kann die Identität von Ortskernen und Ortsplätzen für die Wohnbevölkerung wieder attraktiv gemacht werden? Welche Projekte jenseits der Routine (Wanderroute, Gaststube, Pensionsbett) locken Menschen in totgesagte Tourismusgemeinden?

Lösungen können nur individuell sein



Sehr rasch war klar, dass man bei dieser Thematik nicht alle über einen Kamm scheren kann. Das ist im Übrigen etwas, was man bei den 2100 Gemeinden Österreichs generell nicht machen sollte. Zu groß sind die – nicht nur regional bedingten – Unterschiede zwischen den Kommunen. Was für eine Bregenzerwälder-Gemeinde passt, lässt sich nicht ohne weiteres für eine Gemeinde des oberen Mürztales oder einer Grenzgemeinde an der Thaya umlegen. Das betrifft ganz besonders den Tourismus. Aber dennoch gab es einige allgemeingültige Punkte, an denen sich ein Handlungsstrang aufbauen ließe.


  • Leerstände stehen meist am Ende des Lebenszyklus eines Tourismusbetriebs – oder gar eines ganzen Ortes.

  • Mit Leerständen müssen nicht nur negative Assoziationen verknüpft sein, sie können als Chance betrachtet werden, als günstige Gelegenheit, um mit dem Alten abzuschließen und sich dem Neuen zuzuwenden. In diesem Sinn wären Leerstände ungenutzte Potenziale.

  • Nach einer Analyse (der Ursachen und des Umfeldes) der Leerstände kann es zu dem Schluss kommen, dass ein Rückbau der touristischen Nutzung Sinn macht. Eine Umnutzung oder ein Auflassen des Standorts könnte möglicherweise zielführender sein als

    das krampfhafte Festhalten am einmal Gewesenen.

  • Bei länger dauernden Leerständen bieten Zwischennutzungen wie Kunstprojekte oder Non-Profit-Initiativen einen bewährten Ansatz, um die Zeitspanne bis zur definitiven Entscheidung über die Nachnutzung auszufüllen.

  • Damit Leitinvestitionen ihre Wirkung entfalten und Folgeinvestitionen nach sich ziehen können, müssen Voraussetzungen wie der Mut und die Bereitschaft der Menschen vor Ort, den Ball aufzunehmen, Projekte zu entwickeln und Folgeinvestitionen zu tätigen, gegeben sein.

  • Eine Gestaltung öffentlicher Räume mit dem Ziel, das innerörtliche Leben zu fördern, leistet einen wertvollen Beitrag zur Verhinderung von Leerständen bzw. zu ihrer Wiederbesiedlung. Infolge dessen ist davon auszugehen, dass attraktive öffentliche Räume interessierte und kontaktfreudige Menschen –insbesondere die Jugend! – in das Ortszentrum „zurückholen"

  • Rechtliche Rahmenbedingungen (Baurecht, Gewerberecht etc.) sind bei Altbauten häufig eine große, mitunter sogar unüberwindliche Hürde für die touristische Nutzungen von Leerständen.






  •  

  •  



Was die Leerstandskonferenz darüber hinaus wertvoll machte, sind die Praxisbeispiele, anhand derer diskutiert wurde. Zur Sprache kamen u. a. die Grätzlhotels in Wien, Urlaub am Bahnhof in Wienerbruck, der Mesnerhof in Steinberg am Rofan, die Art Lodge in Verditz und Amavido, eine Initiative zur touristischen Belebung süditalienischer Dörfer. In Kürze wird auch eine Zusammenfassung der Leerstandskonferenz in Buchform erscheinen.

Am Beispiel des modernen Konzerthauses in Blaibach wird ersichtlich, wie sehr Architektur zum Publikumsmagneten werden kann.
Foto: NAARO

Therapie für leere Betten?



Was die „Kehrseite" betrifft, reicht es, den Kommentar „Therapie für leere Betten" von Leonhard Müller auf der Website „Architektur Steiermark" zu zitieren: „Doch muss man frisches Blut in totes Gewebe pumpen? Sind Abwanderung und Dorfsterben nicht auch Ausdruck einer am Land unterforderten Gesellschaft, die sich von Provinzialität und Autoabhängigkeit lösen wollen?" Der niederösterreichische Regionenentwickler Wolfgang Alfons betont, dass die Finanzierung des zweiten, dritten Pkw pro Haushalt nicht nur die Atmosphäre vergiftet, sondern auch nach Jahrzehnten die Ersparnisse billiger Grundstückskäufe relativiert. Zu viel Tourismus wie in Dürnstein vertreibt und verärgert die BewohnerInnen. Der Fließer Bürgermeister Hans-Peter Bock sekundiert dem niederösterreichischen Beispiel mit der „Ischgler Dystopie" (eine Dystopie entwirft ein zukunftspessimistisches Szenario von einer Gesellschaft, Anm. d. Red.), in der 1500 Gemeindemitglieder 15.000 Betten richten. Und dann kommt da noch die Bauwut dazu.



Der deutsche Autor Daniel Fuhrhop betont, dass es einen Konkurrenzkampf zwischen Bestand und Neubau gäbe. In seinem Buch „Verbietet das Bauen" führt er an, dass alle Bestrebungen, Leerstand und Altbestand wieder beleben zu wollen, unfruchtbar bleiben werden, wenn man nicht aufhöre, neu zu bauen, wie wir das bisher getan haben. Er zitiert den Rat der Gemeinde Hiddenhausen im Westfälischen Kreis Herford, der mit dem Projekt "Jung kauft Alt" Förderzuschüsse und Informationskampagnen lostrat und somit als Leuchtturmprojekt für 50 andere Gemeinen diente, die wieder erblühen durften.

Der Erfolg gibt oft Recht, wie das Beispiel Waidhofen an der Ybbs aufzeigt. Foto: Stixenberger

An die positiven Aspekte des „sich neu Erfindens" denken



Wenn sich alle Rahmenbedingungen ändern, ist es also nicht wirklich zielführend, an alten Strategien festzuhalten, wie ein Interview mit Michael Gruber, Bürgermeister von St. Corona, zeigt. Auf die Frage, was St. Corona mit Tourismus zu tun hat, antwortete Gruber: „ Entstanden ist St. Corona aus ein paar Bauernhöfen. Die Ursprünge des Fremdenverkehrs liegen im Wallfahrtstourismus, der sich ab Anfang des 20. Jahrhunderts stark etabliert hatte. Jeder Bauernhof hat Zimmer an Gäste vermietet. Später entwickelten sich aus diesen Höfen oftmals Gastwirtschaften oder Hotels. So ist St. Corona gewachsen, vor allem zu Zeiten der Sommerfrische. Parallel mit ihrem Niedergang folgte für einige Jahrzehnte ein sehr umsatzstarker Wintertourismus."



Angesprochen darauf, dass er vom Wintertourismus in der Vergangenheit sprach, entgegnete er: „Die Einstellung der Sessellifte hat nur etwas gezeigt, was wir eigentlich hätten vorher wissen müssen: Mit den Klimaveränderungen verändert sich der Tourismus in St. Corona. Inzwischen ist der Anteil des Wintertourismus am Jahresumsatz nur mehr 30 bis 40 Prozent."



Wirklich spannend ist Grubers Antwort auf die Frage, welche Alternativen St. Corona gefunden hat und wie sich der Ort nach dem „Niedergang" des Wintertourismus präsentiert. Gruber: „Ich bezeichne uns noch immer als Tourismusort. Die Übernachtungszahlen haben sich zwar deutlich reduziert, aber die Gründe, warum unsere Gäste zu uns kommen, werden noch lange bestehen: besondere Landschaft, Natur, Ruhe. Sich allein darauf zu verlassen wäre naiv, aber es ist eine prima Grundlage, die ich auch persönlich genieße. Wir setzen seit zwei Jahren ein Gesamtkonzept für Familienurlaube um: die „Familienarena" mit Sommerrodelbahn, Motorikpark und vielen liebevollen Entdeckungsmöglichkeiten. In Kürze eröffnet die Wechsel Lounge, die das Zentrum des Ganzen sein wird. Die Angebote werden immer wieder adaptiert und kleine Events durchgeführt. Wir müssen am Ball bleiben, um im Gespräch zu bleiben. Bei alledem dürfen wir unsere Bewohner auch nicht vergessen. Wenn die sich nicht mehr mit St. Corona identifizieren, ziehen sie weg. In der Ortsmitte stehen viele Häuser leer, vor allem Gasthäuser! Hier muss sich auch etwas verändern. St. Corona für die Bewohner weiter zu entwickeln ist ebenso wichtig wie die Angebote für unsere Gäste."



Das Gespräch mit Michael Gruber führte Anne Krämer, Projektleiterin der Leerstandskonferenz, auf der Konferenz Mitte September. Ihr Fazit: „Die Rahmenbedingungen für Tourismusregionen haben sich geändert. Für viele Gemeinden ist Leerstand eine Aufgabe für die nächsten Jahrzehnte. Das Gespür für Gastlichkeit geht aber nicht von heute auf morgen verloren. Viele Projekte, die in St. Corona vorgestellt werden, zeigen, wie dieses Gespür mit Grips und der Bereitschaft zu Neuem wieder geweckt wird."