Rollstuhlfahrer
Aktuell befasste sich der Monitoringausschuss intensiv mit dem Thema Familie und Partnerschaft. Andere wichtige Themen sind beispielsweise inklusive Bildung, der Abbau von Heimen, politische und gesellschaftliche Partizipation, barrierefreies Wohnen oder Gesundheitsversorgung.
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Barrierefreiheit sorgt für mehr Mobilität und Teilhabe

8. März 2020
Vor mehr als elf Jahren erklärte Österreich das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention, UN-BRK) für gültig. Damit verpflichtete sich die Republik, die dort festgeschriebenen Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten.

Die Verpflichtung zur UN-BRK bedeutet besonders auch die Schaffung von barrierefreien Lebenswelten, damit Menschen mit Behinderungen ein unabhängiges und gleichberechtigtes Leben führen können.

Für Österreich heißt das, dass die geltenden Gesetze diesen Menschenrechten angepasst werden müssen. Auch die Bundesländer bekamen damit Aufgaben: Sie müssen die Gesetze auf die Landesebene umlegen.

Uneinheitliche Standards erschweren die Situation

Trotzdem bestehen für Menschen mit Behinderungen in den Bundesländern ganz uneinheitliche Standards. Unterschiedliche politische Zuständigkeiten, getrennte Finanzierung und eine Vielzahl an länderspezifischen Regelungen erschweren die Situation und sorgen für Rechtsunsicherheit und ungleiche Behandlung von Menschen mit Behinderungen.

Das kritisiert auch Monitoringausschuss-Vorsitzende Christine Steger: „Menschen mit Behinderungen steht Rechtssicherheit zu. Die Postleitzahl darf nicht über die Lebensqualität entscheiden oder darüber, wie gut der Zugang zu Menschenrechten ist. Überall in Österreich sind Voraussetzungen zu schaffen, unter denen Menschen mit Behinderungen ein selbstbestimmtes Leben führen können.“

Die Umsetzung der Konvention kann nur gelingen, wenn Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam Anstrengungen unternehmen: allen – auch dem föderalen System geschuldeten – Herausforderungen zum Trotz.

Wie die Gemeinden profitieren können

Die Kommunen sind bei der Umsetzung der UN-BRK wesentlich. Denn in den Gemeinden wird die Lebensrealität von Menschen mit Behinderungen gestaltet.

Die Ziele der Konvention – ein selbstbestimmtes Leben, gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft, kurz gesagt Inklusion – betreffen alle: den Bund, die Länder, die Gemeinden. Inklusion ist eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft.

Um dem Ziel näher zu kommen, müssen alle Gebietskörperschaften ihre Zuständigkeit sehen und sich mit der Umsetzung der UN-BRK beschäftigen.

Von einer Umsetzung der UN-BRK profitieren auch die Gemeinden: Viele Gemeinden schrumpfen zunehmend, während die Hauptstadt massiv wächst. Die Gründe dafür sind vielfältig. Inklusiven Lebensraum – also Lebensraum für alle – zu schaffen, bedeutet für die Einwohnerinnen und Einwohner einen großen Anstieg der Lebensqualität. Das wird deutlich, wenn man sich zum Beispiel dem Thema der baulichen Barrierefreiheit widmet. Barrierefreie Wohnungen, Geschäfte, Kultureinrichtungen, ärztliche Praxen, öffentliche Verkehrsmittel, Ämter und Wahllokale sorgen für mehr Mobilität und Teilhabe.

Chrstine Steger
Christine Steger, Vorsitzende des Monitoringausschusses: „Inklusiven Lebensraum zu schaffen, bedeutet für alle Einwohner/innen einen großen Anstieg der Lebensqualität.“

Barrierefreiheit muss nicht mehr kosten

Eine Studie des Deutschen Städte- und Gemeindebundes belegt zudem, dass Barrierefreiheit im Wohnbau nicht mehr kostet, wenn eine durchdachte Planung und Konzeption erfolgt. Profiteure sind alle: Menschen mit Behinderungen, aber auch ältere Menschen oder Personen mit Kinder­wägen und so weiter. 

Das Altern ist besonders oft mit Mobilitätseinschränkungen, also Behinderungen verbunden.

Ein Aufzug mit ausreichend viel Platz, keine Stufen und Schwellen vor und in der Wohnung sowie barrierefreie Sanitäranlagen machen es auch dieser Personengruppen einfacher, möglichst lange in ihren eigenen Wohnungen zu bleiben. Auch Pflegehandlungen zu Hause werden dadurch erleichtert.

Die Gruppe der Menschen mit Behinderungen

Laut UN-BRK sind Menschen mit Behinderungen „Menschen, die langfristige körperliche, psychische, intellektuelle oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen und wirksamen Teilhabe, gleichberechtigt mit anderen, an der Gesellschaft hindern können“.

Diese sehr offene Definition von Behinderung zeigt auch, dass Behinderung kein statisches Konzept, sondern eng mit der gesellschaftlichen Entwicklung verflochten ist: Man ist nicht behindert, man wird behindert. Behinderung kann zudem eine langfristige, aber temporäre Einschränkung sein oder überhaupt unsichtbar (zum Beispiel psychosoziale Behinderungen, Demenz und so weiter).

Mehr als  1,4 Millionen Menschen der österreichischen Gesamtbevölkerung haben demnach Behinderungen. „Themen, die Menschen mit Behinderungen beschäftigen, sind also keine Randgruppenthemen. Dennoch werden sie kaum öffentlich wahrgenommen“, stellt Christine Steger fest.

Staatenprüfung

Mit der Ratifizierung der UN-BRK hat Österreich auch zugestimmt, regelmäßig von den Vereinten Nationen gefragt zu werden, welche Maßnahmen zur Umsetzung getroffen werden. Die letzte Staatenprüfung fand 2013 statt. Schon damals stellte der Fachausschuss gravierende Mängel fest, die bis heute nicht umfassend behoben sind. So übte der Fachausschuss der UN massive Kritik daran, dass Österreich zu wenig für den Abbau von Heimen und anderen Strukturen tue.

Das betrifft beispielsweise rund 24.000 Menschen mit Behinderungen, die in Werkstätten beschäftigt sind. Die dort Arbeitenden bekommen für ihre Tätigkeit nur ein Taschengeld und sind nicht pensionsversichert.

Außerdem gibt es immer noch große Heime, die den Kontakt zur „Außenwelt“ unmöglich machen: „Das ,Prinzip der Verwahrung‘ von Menschen mit Behinderungen bedingt strukturelle Gewalt und entspricht keinesfalls ihren Rechten auf ein selbstbestimmtes Leben“, so Christine Steger. Österreich wurde zudem aufgefordert das Schulsystem inklusiv zu gestalten und gemeinsame Schulen für alle Kinder zu schaffen.

Beide Beispiele machen deutlich, dass Österreich seinen Aufgaben nicht genügend nachgekommen ist. Das wird auch die kommende Staatenprüfung (voraussichtlich im Herbst 2020) zeigen.

Die Rolle des Monitoring­ausschusses

Der Monitoringausschuss ist unabhängiger Ausschuss, der die Einhaltung der Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen überwacht und überprüft. Dabei bezieht er sich auf die seit 2008 geltende UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK).

Der Monitoringausschuss gibt in seiner Funktion als Überwachungsorgan Stellungnahmen zu wichtigen Themen und geplanten Gesetzen ab und erstellt Berichte und Anfragen an behinderungsrelevante Stellen. Zentraler Punkt der Arbeit sind dabei die regelmäßigen öffentlichen Sitzungen des Monitoringausschusses.

Die letzte öffentliche Sitzung fand am 24. September 2019 zum Thema „Barrierefreiheit in Krankenanstalten“ statt. Das besondere an den öffentlichen Sitzungen ist, dass die Zivilgesellschaft miteingebunden wird und Erfahrungen, Meinungen und Einschätzungen zum jeweiligen Thema abgeben kann. Die Ergebnisse der öffentlichen Sitzungen bilden – ganz nach dem Prinzip der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung „Nichts über uns – ohne uns“ die Grundlage weiterer Stellungnahmen des Monitoringausschusses.