Infrastruktur sichern
Wie sich Gemeinden auf Blackouts vorbereiten
Expertinnen und Experten für die Blackoutvorsorge sind nach wie vor rar gesät. Das erkannte auch Herbert Saurugg, als er noch Berufsoffizier war. Über die Cybersicherheit kam er im Jahr 2012 zum Thema Blackout.
Mittlerweile ist er Präsident der Gesellschaft für Krisenvorsorge und international gefragter Experte. Wenn Saurugg von einem Blackout spricht, meint er nicht eine durchgebrannte Sicherung oder einen defekten FI-Schalter, sondern einen plötzlichen, überregionalen Strom-, Infrastruktur-, und Versorgungsausfall, der weite Teile Europas betrifft. Eine Hilfe von außerhalb ist in so einem Fall nicht möglich.
Wenn keine Hilfe zu erwarten ist ...
„Der Versorgungsausfall würde uns als Gesellschaft nach heutigem Stand binnen weniger Tage das Genick brechen, weil wir darauf nicht vorbereitet sind“, fasst Saurugg den Status quo zusammen. Man müsse mit einem Szenario kalkulieren, bei dem weder mit Hilfe für eine Einzelperson noch für die Gemeinde noch für den Staat zu rechnen sei, da alle selbst betroffen wären. Nicht nur das Verteilnetz wäre betroffen, sondern die Erzeugung des Stroms durch die Großkraftwerke selbst auch. Eine derartige „europäische Großstörung“, so die offizielle Bezeichnung, hätte Hunderte Millionen an Betroffenen.
Ukraine-Krise verschärft die Situation
Wie wahrscheinlich eine derartige Störung ist, ist schwer zu sagen. Es sei aber nicht die Frage ob, sondern wann sie passieren wird. Fachleute nennen einen Zeithorizont von fünf Jahren.
Saurugg meint, es könne sich gar nur um wenige Monate handeln. Tatsächlich treffen zurzeit einige ungünstige Faktoren zusammen. Die Ukraine-Krise verschärft aktuell die Situation insbesondere auf dem Gas-Markt. Deutschland legt Atomkraftwerke still, ohne noch adäquate Kompensationen dafür geschaffen zu haben.
In Österreich ist das Stromnetz zwar prinzipiell gut, doch gibt es auch hier Probleme, wie die weiterhin nicht geschlossene 380kV-Ringleitung. In zahlreichen anderen europäischen Staaten, mit denen sich Österreich stromtechnisch in einem Verbund befindet, sieht die Infrastruktur weit schlechter aus und weist einen hohen Investitionsrückstand auf.
Burgenland hätte als letztes wieder Strom
Egal ob das Blackout durch Extremwetterereignisse, Terroranschläge, Cyber-Angriffe oder technisches Versagen auftritt, die Auswirkungen wären gleichsam verheerend.
Wie lange ein Blackout dauern würde, ist schwer abschätzbar, weil es noch keine Erfahrungswerte gibt. Einschätzungen der Austrian Power Grid gehen von 10 bis 30 Stunden aus, bis der Strom bei einem österreichweiten Blackout wieder da ist.
„Aber nicht überall gleichzeitig. Es wird in Malta und Kaprun begonnen, dann wird der Großraum Wien hochgeschaltet – was bei einer Übung alleine schon vier Stunden gedauert hat – und dann folgen sukzessive die Bundesländer. Das Burgenland wäre das letzte Bundesland, das wieder Strom haben wird“, erklärt Saurugg.
Kein Telefon, auch wenn wieder Strom da ist
Sollte es zu Schäden kommen, würde es aber länger dauern. Bei einem Blackout mit europäischer Dimension dauere es wahrscheinlich zwischen Tagen und Wochen, am ehesten eine Woche. Rückschläge und Netzausfälle seien aber auch nach der Wiederherstellung der Stromversorgung wahrscheinlich.
„Nur weil der Strom wieder da ist, heißt es allerdings nicht, dass auch die Telekommunikation wieder funktioniert. Handy, Festnetz und Internet werden mehrere Tage brauchen, um wieder zu funktionieren“, warnt Saurugg.
Und ohne Telekommunikationsversorgung gibt es keine Produktion, keine Logistik und keine Treibstoffversorgung. Bis das gewohnte Leben wieder funktionieren wird, kann es Monate bis Jahre dauern. Binnen Stunden würden etwa Millionen Tiere für die Lebensmittelversorgung verenden, weiß man aus Untersuchungen. Der Lieferkettenkollaps wäre unvergleichlich schlimmer als bei Corona.
Nur noch lokale Selbsthilfe funktioniert
Für die Gemeinde sei wichtig zu wissen, auf was man sich eigentlich vorzubereiten habe.
„Ohne Telekommunikation zerfällt die Gesellschaft in Kleinstrukturen und es wird nur noch die lokale Selbsthilfe funktionieren“, warnt Saurugg: „In der Familie, in der Nachbarschaft und in der Gemeinde – alle anderen Ebenen werden nicht funktionieren.“ Daher müsse man schon jetzt in der Gemeine Offline-Pläne definieren und festlegen, was zu tun sei, wenn nichts mehr geht. „Welche Maßnahmen sind zu setzen? Wo gehe ich hin? Wo treffe ich mich mit wem? Welche Abläufe sind notwendig?“
Tanks in Tankstellen sollte immer halb voll sein
Die Treibstoffversorgung wäre schnell ein Problem. Daher sei es wichtig zu überprüfen, sofern es eine Tankstelle in der Gemeinde gibt, wie weit der Tank üblicherweise entleert wird, bevor wieder nachgefüllt wird.
„In etlichen Gemeinden wird der Tank komplett geleert, bevor wieder aufgefüllt wird. Er sollte allerdings zumindest immer halb voll sein.“ Der Experte warnt auch vor falschen Vorstellungen.
Was Gemeinden beachten müssen
„In den Gemeinde gibt es oft falsche Erwartungen, dass die Feuerwehren die ganze Ortschaft versorgen werden. Doch die organisierte Hilfe wird nur mehr sehr eingeschränkt handlungsfähig sein.“
Beleuchtungen und selbst Fluchtwegsbeleuchtungen fallen aus. Es wird zu vermehrten Stürzen und Unfällen kommen. Daher sei der Bevölkerung vorab der Aufruf zu vermitteln, zu Hause zu bleiben. Rettung wird keine anrufbar sein und auch keine kommen.
Brandschutz wird ebenso wichtig sein, „weil die Leute kreativ werden, Kerzen und alles mögliche andere beginnen anzuzünden“. Insbesondere in der kalten Jahreszeit. Auch hier gelte: „Wenn es brennt, kann man es nicht melden und es wird auch keine Feuerwehr kommen. Das muss man durch Kommunikation im Vorfeld bewusst machen.“
Radio wird wichtig
Das wichtigste Informationsmedium wird das Radio sein. Der ORF ist in der Lage, 72 Stunden lang zu senden. Und mit ihren Autoradios können die meisten auch noch empfangen. Auch das gehört vermittelt.
Die Gemeinde müsse aber ihre eigenen Aufgaben durchdenken. Vom Wasser über Abwasser bis zu Müll, den Apotheken, den Ärzten und der Pflege.
Sofern ein Bahnhof in der Gemeinde ist, sollte man schon jetzt Kontakt mit den ÖBB aufnehmen. „Sie haben möglicherweise Hunderte Leute, die mit Ach und Krach noch in ihre Station geschleppt werden und dann festsitzen und die zusätzlich versorgt werden müssen. Wenn das im Winter passiert und die Züge nicht beheizbar sind, werden die Leute auch nicht drinnen bleiben“, gibt Saurugg zu bedenken.
„Bitte an die Aufzüge denken, die bleiben alle stecken. Elektronische Zutrittssysteme und Alarmanlagen funktionieren nicht mehr. Man kommt zwar noch raus aus den Objekten, aber man kommt nicht mehr rein. Notschlafstellen werden sicher notwendig sein.“ Auch darum sollte man sich unbedingt jetzt kümmern.
Wasserversorgung ist am wichtigsten
Am allerwichtigsten sei die Wasserversorgung, so Saurugg. „Wenn die zusammenbricht, dann haben Sie verloren und eigentlich keine Chance, Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten.“ Daher sollte das wichtigste Anliegen sein, zumindest die Wasserversorgung großflächig funktionsfähig zu halten.
Eine wichtige Gemeinderolle sei es auch, mit den Supermärkten zu reden, um zu klären, wie man Kühlgüter und verderbliche Waren möglichst zeitnah geordnet verteilt. Pläne gegen Plünderungen sind auszuarbeiten, den die Polizei wird nicht da sein und das Bundesheer auch nicht.
„Werden die Supermärkte zerstört, wird es noch viel länger dauern, bis wieder Versorgung hergestellt werden kann, daher muss man das unbedingt verhindern. Das geht nur auf Gemeindeebene, gemeinsam mit der Bevölkerung, indem man dort Leute hinstellt, die eine Abhaltewirkung aufrechterhalten.“
Nicht auf Hilfe des Staates hoffen
Katastrophenschutz ist zwar eigentlich Ländersache, aber die Gemeinden sind Sauruggs Meinung nach die einzigen Strukturen, die im Blackout-Fall noch funktionieren werden können und müssen.
Tragisch ist, dass das Problem nicht erkannt wird. Drei Viertel der Bevölkerung glauben fälschlicherweise, in so einer Situation würde sie der Staat versorgen.
Tatsächlich kann sich ein Drittel der Bevölkerung nur maximal vier Tage selbst versorgen, ein weiteres Drittel maximal sieben Tage, und nur ein Drittel länger als eine Woche. „Das heißt, nach spätestens einer Woche sind sechs Millionen Menschen im Überlebenskampf. Wenn die eigene Familie im Überlebenskampf ist, dann kommt das Personal nicht in die Arbeit. Auch in Spitäler nicht. Keiner wird da sein, um etwas wieder hochzufahren.“
Saurugg appelliert daher: „Sprechen Sie mit dem Personal. Aktivieren Sie die Bevölkerung zur konstruktiven Unterstützung. Beschäftigen Sie die Leute, damit sie nicht destruktiv werden, zum Beispiel mit Supermarkt-Bewachen, Pflegeunterstützung oder Ähnlichem. Praktisch niemand ist auf ein Blackout-Szenario vorbereitet. Und niemand sollte glauben, dass jemand anderer vorbereitet ist und helfen wird.“
Schulen und Kindergärten?
Saurugg will keine Panik schüren, aber den Ernst der Lage deutlich machen: „Klären Sie, was in Schulen und Kindergärten passieren soll, wenn aus ist. Werden die Kinder auf die Straße gestellt? Glauben das vielleicht die Eltern? Besprechen Sie das Vorgehen mit den Schulleitungen oder geben Sie ein Schreiben an die Schulen heraus. Klären Sie, was zu tun ist, wenn der öffentliche Verkehr nicht funktioniert und die Kinder nicht mehr nach Hause kommen. Der Partner ist vielleicht Pendler und kommt auch nicht mehr nach Hause. All das vorher abzusprechen, nimmt viel Stress heraus! Wenn es Probleme bei der Wasserversorgung geben könnte, dann müssen Sie das den Leuten jetzt sagen – du musst dich selbst versorgen können!“ Auch in der Gemeinde sollten Sie in der Lage sein, 14 Tage Krisenstab und Notversorgung aufrechtzuerhalten.
Gemeinden sollen Selbsthilfebasen festlegen
Saurugg empfiehlt den Gemeinden dringend Selbsthilfebasen im Vorfeld festzulegen und zu kommunizieren, zum Beispiel Volksschulen, Mehrzweckhallen oder Feuerwehrhäuser. Ganz essenziell sei, dass die Hilfe fußläufig in circa zwei Kilometer Umkreis verfügbar sein muss.
Diese Ratschläge stellen nur einen kleinen Ausschnitt aus dem KOMMUNAL-Webinar dar. Wer es verpasst hat, dem sei der „Leitfaden: Blackout“ ans Herz gelegt – und auch die Arbeitsmappe zum Thema Blackout, die speziell auf Gemeinden zugeschnitten ist. Downloadbar unter www.saurugg.net/Arbeitsmappe.
Abschließend gibt Saurugg den Gemeindeverantwortlichen noch eine Bitte mit auf den Weg: „Bei Ihnen wohnen die Menschen und bei Ihnen werden sie auf der Fußmatte stehen. Es wird im Falle eines Blackouts nicht alles funktionieren müssen, aber Sie müssen bitte jetzt kommunizieren, was nicht funktionieren wird.“
Das Webinar mit Herbert Saurugg steht hier zum Herunterladen zur Verfügung.