Verkehrsberuhigung in der Praxis
Es gibt eine Anzahl von Produkten, die erheblich zur Verbesserung der Verkehrssicherheit beitragen können. Neben einer effektiven Überwachung der Tempolimits – die rechtlichen Voraussetzungen für Gemeinden wären ja da, es scheitert aber praktisch überall an der Kompetenzübertragung durch die Länder – gibt es auch andere Möglichkeiten:
- Fahrbahn- oder Temposchwellen: Diese Elemente verlangsamen den Verkehr effektiv, indem sie die Fahrer zwingen, ihre Geschwindigkeit zu reduzieren. Sie sind besonders nützlich in Wohngebieten und vor Schulen.
- Fahrbahnkissen oder Aufpflasterungen: Aufpflasterungen sind so konzipiert, dass sie bei langsamer Fahrt kaum bemerkbar sind, aber bei höheren Geschwindigkeiten einen deutlichen Effekt auf die Fahrzeugdynamik haben.
- Radwegbegrenzungen: Diese Produkte helfen, den Radverkehr sicherer zu gestalten, indem sie klare Abgrenzungen zwischen Fahrbahn und Radweg schaffen.
- Markierungen und Signalisierungen: Deutliche Straßenmarkierungen und Signalisierungen tragen dazu bei, den Verkehr zu ordnen und Unfälle zu vermeiden.
Durch den gezielten Einsatz dieser Produkte können Gemeinden nicht nur die Verkehrssicherheit erhöhen, sondern auch die Lebensqualität ihrer Bewohner verbessern.
Verkehrsberuhigende Maßnahmen schaffen sicherere und ruhigere Wohngebiete und tragen zur allgemeinen Zufriedenheit der Einwohner bei. KOMMUNAL hat mit dem Verkehrsexperten Nikolaus Vogt gesprochen, um die Bedeutung und die Effektivität dieser und anderer Produkte zur Verkehrsberuhigung besser zu verstehen und deren Nutzen für die Gemeinden zu bewerten.
Herr Vogt, wie bewerten Sie die Wirksamkeit von Fahrbahnschwellen und -kissen in der Reduzierung der Verkehrsgeschwindigkeit und der Verbesserung der Verkehrssicherheit?
Nikolaus Vogt: In verkehrsberuhigten Zonen kommt es leider häufig zu unangemessenen Geschwindigkeiten der Fahrzeuge. Besonders in Bereichen, in denen auch Fußgänger die Fahrbahn nutzen, kann dies zu gefährlichen Situationen führen. Fahrbahnschwellen und Fahrbahnkissen, auch als „Aufpflasterungen“ bekannt, können hier effektive Lösungen bieten.
Diese „Aufpflasterungen“ müssen nicht ausschließlich gepflasterte oder betonierte Verkehrsberuhigungselemente sein. Wir bieten flexible Systeme aus Kautschuk und recyceltem Kunststoff an, die sich einfach planen und vor Ort schnell montieren lassen. Auch ein einfaches Entfernen und Versetzen an einen anderen Standort ist problemlos möglich.
Welche Rolle spielen Radwegbegrenzungen und andere physische Barrieren bei der Trennung von Fahr- und Radwegen hinsichtlich der Sicherheit von Radfahrern?
Besonders in Verkehrssituationen, in denen Radfahrer und Fahrzeuge nah beieinander fahren, ist eine zusätzliche bauliche Trennung empfehlenswert. Eine einfache Sperrlinie reicht in solchen Fällen häufig nicht aus. Hier empfiehlt sich der Einsatz von beweglichen Kunststoffpfosten oder am Boden montierten Trennelementen und Fahrbahnteilern aus Gummi oder Kunststoff. Diese Elemente dienen sowohl der optischen als auch der räumlichen Trennung der Fahrspuren. Dies ist insbesondere heute von großer Bedeutung, da der Boom von E-Bikes den Ausbau von Radwegen stark vorantreibt und immer mehr Radschnellwege geplant werden.
Inwiefern können Markierungen und Signalisierungen die Sicherheit in stark befahrenen oder unübersichtlichen Verkehrszonen erhöhen?
Klare Markierungen und Verkehrszeichen können die Sicherheit und den Verkehrsfluss erheblich verbessern. Besonders bei unerwarteten Straßensituationen wie Fahrbahnverengungen oder scharfen Kurven ist eine rechtzeitige und deutliche Ankündigung durch Verkehrszeichen und Bodenmarkierungen entscheidend für die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer und einen reibungslosen Verkehrsfluss.
Allerdings kann eine Überfrachtung mit zu vielen Verkehrszeichen oder Informationen kontraproduktiv sein, da sie übersehen werden könnten. Reflexive Markierungen und beleuchtete Signale erhöhen die Sichtbarkeit bei Nacht und schlechten Wetterbedingungen. Eine regelmäßige Auffrischung dieser Markierungen stellt sicher, dass sie immer gut sichtbar und wirksam bleiben.
Welche weiteren innovativen Produkte oder Technologien sehen Sie als vielversprechend für die zukünftige Verkehrsberuhigung in städtischen Gebieten?
Wir sehen für die Zukunft unserer Städte und unserer Straßen eine Verschiebung der Nutzungsfläche weg von Pkw/Lkw hin zu Fahrrad, Scooter und Fußgängern. Ein Blick auf Städte wie Paris und Barcelona zeigt, wohin die Reise geht. Paris hat durch massiven Ausbau der Fahrradwege und verkehrsberuhigte Zonen die Sicherheit für Radfahrer stark verbessert, während Barcelona mit „Superblocks“ den Raum für Fußgänger und Radfahrer erweitert hat. Die dadurch bedingte Nähe aller Verkehrsteilnehmer verlangt an bestimmten Stellen klar abgegrenzte Verkehrswege!
Grundsätzlich ist anzumerken, dass sehr viele österreichische Gemeinden heute schon gute Arbeit im Bereich der Verkehrsberuhigung leisten. Wichtig ist zunächst, Problemstellen und Gefahrenpotenziale zu erkennen und zu bewerten. Hier kann eine Risikomatrix aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenhöhe/Auswirkung hilfreich sein.
Ein Blick auf Unfallstatistiken hilft, Bereiche mit hohen Unfallraten zu identifizieren. Besonders gefährdete Gebiete wie Schulzonen, Wohngebiete und öffentliche Verkehrsknotenpunkte sollten dabei im Fokus stehen. Über Pilotprojekte in diesen kritischen Bereichen kann die Wirksamkeit der Maßnahmen getestet werden. Bei komplexen Problemen ist es ratsam, Experten hinzuzuziehen. Zudem ist die Einbindung der Anwohner hilfreich, um lokale Probleme und Bedürfnisse zu erkennen. Oftmals kommen auch aus der Bevölkerung wertvolle Ideen, die sich möglicherweise einfach und kostengünstig umsetzen lassen.
Wie sollten Kommunen die Implementierung von Verkehrsberuhigungsmaßnahmen priorisieren, um eine maximale Wirkung auf die Verkehrssicherheit zu erzielen?
Dazu bieten sich verschiedene Möglichkeiten, die in Kombination ein gutes Bild der Lage ergeben. Zuerst müssen die Problembereiche identifiziert werden. Das kann durch die Analyse von Unfallstatistiken, Verkehrszählungen und Geschwindigkeitsmessungen erfolgen. So können gefährliche Bereiche, Bereiche mit hohem Verkehrsaufkommen sowie häufigen Geschwindigkeitsübertretungen erkannt werden. Auch Bürgerbeteiligung ist hilfreich, denn Anwohner kennen die gefährlichsten Stellen in ihrem Umfeld oft am besten.
Danach erfolgt die Priorisierung der Gebiete in der Nähe von Schulen, Kindergärten, Spielplätzen und Wohngebieten sowie, besonders wichtig, der Unfall-Hotspots. Die Ergebnisse dieser Analysen beeinflussen dann die Auswahl der Maßnahmen. Pilotprojekte in ausgewählten Gebieten testen anschließend ihre Wirksamkeit. Daraus ergibt sich ein Maßnahmenmix, der optimal zur Reduzierung der Geschwindigkeit und zur Verbesserung der Verkehrssicherheit beiträgt.
Würde eine Kombination aus verschiedenen Maßnahmen nicht eine noch größere Verbesserung mit sich bringen?
Ja, absolut! Eine Kombination aus verschiedenen verkehrsberuhigenden Maßnahmen würde definitiv eine noch größere Verbesserung mit sich bringen.
Durch die komplementäre Anwendung von baulichen Maßnahmen wie Fahrbahnschwellen, flexiblen Geländersystemen oder Fahrbahnteilern mit gut sichtbarer Information dank Fahrbahnmarkierungen oder Verkehrsschildern können wir eine sicherere und angenehmere Umgebung für alle Verkehrsteilnehmer schaffen. Diese multifunktionale Herangehensweise ermöglicht es, die Stärken der einzelnen Maßnahmen zu nutzen und ihre Schwächen zu minimieren, was letztendlich zu einem effizienteren und sichereren städtischen Verkehrsnetz führt.
Zur Person
Nikolaus Vogt, geboren am 25. März 1980, erlangte im Jahr 2002 seinen Bachelor in Betriebswirtschaft an der Hanzehogeschool Groningen (Niederlande) sowie der ESSEC Business School Paris (Frankreich). Ein Jahr später schloss er erfolgreich seinen MBA an der EADA Business School in Spanien ab. Neben betriebswirtschaftlichen Aufgaben leitet Nikolaus Vogt seit über 15 Jahren Produktentwicklungsprojekte in der Automobilindustrie im eigenen Familienunternehmen. Seit 2008 ist Nikolaus Vogt Geschäftsführer der Moravia Verkehrssicherung GmbH.