Skepsis gegen TTIP hängt auch mit Negativkampagnen zusammen

30. März 2015
Um auch wirklich alle Seite abzuklopfen, hat KOMMUNAL auch mit einer Spitzenvertreterin des verhandlungsführenden Wirtschaftsministeriums gesprochen. Lesen im Folgenden, was Dr. Gabriela Habermayer, Abteilungsleiterin für Multilaterale und EU-Handelspolitik im Wirtschaftsministerium, über das Handelsabkommen sagt.

Gabriela Habermayer





KOMMUNAL: Selten ist ein Abkommen so zwiespältig diskutiert worden wie TTIP. Gerade diese Geheimnistuerei hat da viel dazu beigetragen, wie auch Kommissarin Malmström vor kurzem in einem Standard-Interview zugegeben hat. Wann wird das Ergebnis der Verhandlungen öffentlich gemacht?      



Dr. Gabriela Habermayer: Die Verhandlungen zwischen der EU und den USA sind noch in vollem Gange, daher gibt es auch noch kein Ergebnis und kein vollständiges Abkommen. Damit sich die Öffentlichkeit stärker informieren kann, hat die EU-Kommission inzwischen sowohl das Verhandlungsmandat als auch eigene Positionspapiere und sogar Verhandlungsvorschläge veröffentlicht. Es ist also bereits möglich, sich umfangreich mit TTIP auseinanderzusetzen. Österreich setzt sich aber weiterhin für mehr Transparenz ein.



 



Wo sehen Sie die Bedeutung von TTIP für Österreichs Wirtschaft? Welche Bereiche der Wirtschaft werden profitieren?



Ein Land wie Österreich, das sechs von zehn Euro im Export erwirtschaftet, kann von einem gut gemachten Abkommen überproportional profitieren. Die USA sind unser drittgrößter Exportpartner. Volkswirtschaftliche Studien gehen davon aus, dass TTIP für Österreich mehr Wachstum und Beschäftigung und auch Reallohnsteigerungen bringen könnte. Von deutlichen Exportsteigerungen würden etwa der KFZ- und Bausektor, der Elektromaschinenbau und die Metallindustrie profitieren. Zum Beispiel durch den Wegfall von Zöllen und den Abbau von Handelshemmnissen.



 



Die Prognosen im Vorfeld von TTIP versprechen tausende Arbeitsplätze. Wo werden die sein? Oder konzentrieren sie sich auf einige wenige Ballungsräume innerhalb der EU?



Laut Studien kann Österreich neben den genannten Branchen auch in der Landwirtschaft und im Lebensmittelhandel mit Vorteilen rechnen. Das nützt auch dem ländlichen Raum.



 



Damit der ländliche Raum weiter Top-Arbeitsplätze anbieten kann, braucht es zuerst eine massive Verbesserung der Breitbandanbindung. Wenn die nicht kommt, werden die TTIP-Arbeitsplätze nicht in den ländlichen Raum gehen, wie viele befürchten. Ihre Meinung?



Unabhängig von TTIP zählt der Breitbandausbau schon jetzt zu den Prioritäten der Bundesregierung.



 



Wo sehen Sie Gefahren für europäische oder österreichische Sozialstandards? Gibt es die überhaupt, so wie sie von den Gegnern befürchtet werden?



Für diese Befürchtungen sehe ich keinen Anlass. Bisher hat kein Freihandelsabkommen dazu geführt, dass unsere Standards abgesenkt wurden. Vielmehr wollen die Verhandlungspartner, Verpflichtungen für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung mit einem hohen Niveau erreichen. TTIP ist eine Möglichkeit, unsere hohen europäischen Standards auch auf globaler Ebene fest zu verankern. Jeder Vertragspartner wird weiterhin das Schutzniveau insbesondere für Gesundheit, Sicherheit, Konsumenten-, Arbeits- und Umweltschutz nach eigenem Ermessen festlegen können, somit bleiben diese Standards gesichert.



 



Große Ängste gibt es wegen der Möglichkeit, dass Konzerne Staaten vor sozusagen „privaten“ oder „nicht staatlichen“ Gerichten klagen können. Beklagte Staaten müssen dann Gesetze im Gesundheitsbereich zurücknehmen – wie im Fall Philip Morris gegen Australien. Ist das wirklich möglich? Kann es sein, dass aus Profitdenken Gesetze von gewählten Körperschaften zurückgenommen werden müssen oder Unsummen an Entschädigungen bezahlt werden müssen? Ist das denkbar?



Schiedsverfahren laufen auf Basis von Regeln internationaler Übereinkommen im Rahmen der UNO und der Weltbankgruppe ab. In solchen Verfahren kann nie über die Rücknahme eines Gesetzes entschieden werden - und auch im Fall Philip Morris gegen Australien war dies nicht der Fall; im Gegenteil, nach Einbringen der Klage wurde die australische Regelung zum Nichtraucherschutz von anderen Ländern zum Vorbild genommen. Wenn in  Schiedsverfahren in der Vergangenheit auf Schadensersatz zugunsten des Investors erkannt wurde, richtete sich die Entschädigung jeweils nach der Höhe der entzogenen Vermögenswerte bzw. der Enteignung.



Für die neuen Handelsabkommen wie jene mit Kanada und den USA will die EU-Kommission den Investitionsschutz weiterentwickeln und zum Beispiel die Transparenz der Verfahren erhöhen oder die missbräuchliche Anrufung von Schiedsgerichten verhindern. Zudem soll das staatliche Regulierungsrecht stärker abgesichert werden. Daher warten wir jetzt bei TTIP auf qualitativ verbesserte Kommissionsvorschläge, die es dann genau zu bewerten gilt.



 



Können eigentlich laut den Bestimmungen des Abkommens auch Staaten Konzern klagen? Das wäre doch das Mindeste, dass der eine darf, was dem anderen erlaubt ist, etwa wenn Konzerne gegen soziale Standards verstoßen?



In dieser Form stellt sich diese Frage aus Sicht der Nationalstaaten nicht, weil sie ja die gültigen Rahmenbedingungen im Gegensatz zu den internationalen Unternehmen selbst gestalten und sich daher auf ihr eigenes System verlassen. Unabhängig davon gilt: Die Absicherung von Sozial- und Umweltstandards ist fixer Bestandteil moderner EU-Freihandelsabkommen und Österreich gehört zu jenen Ländern, die das von Anfang an gefordert haben.



 



Worauf führen Sie zurück, dass gerade in Österreich die Skepsis so hoch ist?



Sorgen muss man immer ernst nehmen, aber die Skepsis hängt auch mit Negativkampagnen zusammen. Daher sind wir für eine differenzierte und faktenbasierte Diskussion. Das Wirtschaftsministerium informiert laufend über die Verhandlungen, ist zusätzlich mit NGOs in Kontakt und lädt zu öffentlichen Diskussionsveranstaltungen ein, auch unter Beteiligung der zuständigen EU-Kommissarin sowie der Chefverhandler auf EK- und US-Seite.



 



Wie ist eigentlich Ihre persönliche Einstellung zu TTIP? Wo sehen Sie die Chancen für Europas Menschen? Und wo liegen die Gefahren?



Ein gut verhandeltes Abkommen, das die österreichischen und europäischen Interessen berücksichtigt und unsere Wirtschaftsbeziehungen mit den USA auf eine neue Basis stellt, sehe ich als große Chance. Daher wollen wir sicherstellen, dass TTIP ein gut gemachtes und qualitativ hochwertiges Abkommen wird, das auch den österreichischen Interessen entspricht. Uns ist es ein Anliegen, dass vor allem kleine und mittelständische Unternehmen die Chancen gut nützen können. Viele Handelshürden belasten KMU überproportional, weil sie über weniger Ressourcen als große Unternehmen verfügen. Als Gefahr sehe ich nicht TTIP, sondern eher "kein TTIP"; wenn kein positiver Abschluss mit den USA gelingen sollte, würde Europa das Feld anderen aufstrebenden Wirtschaftsräumen überlassen.



 



Letzte Frage: Ab wann können die Bürger Europas über das Verhandlungsergebnis abstimmen?



Die Verhandlungen laufen noch, aber derzeit ist davon auszugehen, dass TTIP ein "gemischtes Abkommen" sein wird. In diesem Fall müssen nicht nur das Europäische Parlament als direkt gewählte Bürgerkammer, sondern auch die nationalen Parlamente aller 28 EU-Mitgliedsstaaten dem Abkommen zustimmen.

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