Besuch in der Kommission
Immer wieder beeindruckend ist ein Besuch in der Europäischen Kommission. Den Hintergrund dominiert der tolle Blick aus dem Berlaymont-Gebäude, dem Sitz der Kommission.

Belgien, ein Land der Kompromisse

Die traditionelle Fach- und Bildungsreise führte eine Abordnung des Präsidiums gemeinsam mit dem Europaausschuss des Gemeindebundes vom 15. bis 17. Mai nach Belgien mitten ins Herz Europas. Am Programm standen zahlreiche Gespräche in Europas Hauptstadt Brüssel und in den Städten Mechelen und Leuven.

Belgien mit seinen 30.000 km² und rund 12 Millionen Einwohnern ist nicht nur für seine „Moules frites“ (Muscheln mit Pommes) oder Waffeln, sondern auch für ein durchaus kompliziertes politisches System bekannt. Der Kompromiss, das ständige Austarieren zwischen den Regionen und den Volksgruppen, hat in der Vergangenheit nicht nur viel Geld gekostet, sondern auch die letzte Regierungsbildung massiv erschwert.

Eineinhalb Jahre lang wurde über eine Regierung verhandelt. Es gibt heute noch tiefe Gräben zwischen Wallonen (französischsprachig) und Flamen (Flämisch, Niederländisch). Daneben steht die deutschsprachige Gemeinschaft mit ihren neun Gemeinden und rund 70.000 Einwohnern. Insgesamt gibt es in Belgien sieben Regierungen, eine auf Bundesebene und sechs auf Ebene der Regionen bzw. in der Hauptstadt-Region. 

Und um es etwas verwirrender zu machen: Das, was wir als „Hauptstadt Brüssel“ verstehen, ist eigentlich die Region Brüssel, die aus 19 eigenständigen Gemeinden mit eigenen Bürgermeistern und Gemeinderäten besteht. Und diese Gemeinden in der „Hauptstadt“ leben ihre Autonomie. So werden Baustellen etwa selten akkordiert, weswegen es sich an allen Ecken und Enden staut.     

Gemeinden sind hier Großgrundbesitzer

Eine Besonderheit der Gemeinden in Belgien ist der – im Vergleich zu Österreich – große Grundbesitz an Wald, Wiesen und Äckern. So sind die Verpachtung dieser Flächen und auch die aktive Holzbewirtschaftung eine wichtige Einnahmequelle für die Gemeinden. Aufgrund der Nähe zu Luxemburg und zu Deutschland haben die neun deutschsprachigen Kommunen mit Personalmangel zu kämpfen. 

Wenn man ins Herz Europas reist, muss man natürlich auch der EU einen Besuch abstatten. So trafen wir Österreichs EU-Kommissar Johannes Hahn. Mit ihm haben wir lange über die aktuellen politischen Herausforderungen – vom Ukraine-Krieg über das Handelsabkommen Mercosur, die Erweiterung der EU und Europas Rolle in der Welt bis hin zur Forderung des Gemeindebundes nach einem EU-Kommissar für Gemeinden und Städte – gesprochen. 

Empfang in Brüssel
In der österreichischen Botschaft gab es einen kleinen Empfang für die Gemeindebund-Delegation.

Auch ein Treffen mit dem flämischen Gemeindeverband stand auf dem Programm. Aktuell gibt es in der Region Flandern 300 Gemeinden. Mit der nächsten Wahl sind es dann nur mehr 285. Die durchschnittliche Gemeindegröße liegt zwischen 10.000 und 20.000 Einwohnern. Der Bürgermeister wird vom Gemeinderat gewählt, ist aber in den meisten Fällen nicht Vorsitzender des Gemeinderates. Entscheidendes Gremium in jeder Kommune ist der Gemeindevorstand bzw. der Stadtrat. Interessant ist, dass es in Belgien noch eine Wahlpflicht gibt. Nur auf kommunaler Ebene wird diese demnächst abgeschafft. Es gibt auch in vielen Gemeinden die Option einer digitalen Stimmabgabe, aber nur in flandrischen Gemeinden. Die Kommunen im Süden, in der Wallonie, wollen das nicht. 

138 Nationen im Schmelztiegel Mechelen

Björn Siffer und Hannes Pressl
Mechelen beherbergt Menschen aus 138 Nationen – und wurde zu einer Vorzeigestadt in Sachen Integration. Stadtrat Björn Siffer (links) berichtet Gemeindebund-Chef Hannes Pressl von den Entwicklungen der letzten Jahre. Die Koalition um Bürgermeister Bart Somers hat drei Prioritäten definiert: Sicherheit, Sauberkeit und Verantwortung. 

Von Brüssel ging es ins etwa 30 Kilometer entfernte Mechelen. Die Stadt mit rund 87.000 Einwohnern ist mittlerweile weltbekannt, weil ihr Bürgermeister Bart Somers nicht nur Weltbürgermeister des Jahres 2016 war, sondern seine Stadt mit Menschen aus 138 Nationen und großem Migrationsdruck zu einer Vorzeigestadt in Sachen Integration gemacht hat. Stadtrat Björn Siffer berichtete uns von den Entwicklungen der letzten Jahre. Die Koalition um Somers hat drei Prioritäten definiert: Sicherheit, Sauberkeit und Verantwortung. 

Rechtsextreme Parteien hatten vor 20 Jahren großen Zulauf. Man hat aber gemeinsam mit den Migranten viele Projekte umsetzen können. Motto der Stadtregierung: „Wo du herkommst, interessiert mich nicht. Die Zukunft, die wir gemeinsam machen, interessiert mich!“

Wichtig war, dass der Bürgermeister die Probleme direkt angesprochen hat. Er suchte das Gespräch mit den Jugendlichen, mit den Familien. Er warnte vor Konsequenzen und lud ein zur Zusammenarbeit. Gleichzeitig wurden die Viertel umgestaltet: mehr Grünflächen, Ruhezonen und Entwicklung von Ortskernen. Und ein solches Projekt konnten wir im Rahmen unserer Reise auch besichtigen. Die Stadt hat ein ehemaliges Dominikanerkloster renoviert und zur öffentlichen Bibliothek mit Restaurant und Veranstaltungsräumen umgebaut. Stets mit Unterstützung vieler Bürger und vieler Freiwilliger. 

Präsident Johannes Pressl, Kommissar Johannes Hahn, Vizepräsident Erwin Dirnberger und Generalsekretär Walter Leiss
Präsident Johannes Pressl, Kommissar Johannes Hahn, Vizepräsident Erwin Dirnberger und Generalsekretär Walter Leiss. Eine aktuelle Studie zeige, so Hahn, dass die EU-Osterweiterung vor zehn Jahren 26 Millionen neue Arbeitsplätze gebracht hat, wobei 20 Millionen Jobs in der „alten EU“ entstanden sind und sechs Millionen in den neuen Ländern. Für Hahn bergen Beitrittsverhandlungen daher auch große Chancen. 

Die gefürchtete Brüsseler Bürokratie hält auch er für überbordend. Bei den Verhandlungen zwischen Kommission, Rat und Parlament werden leider allzu oft Regeln und Berichtspflichten eingebaut, die es nicht immer einfach machen. 
Hahn verwies in diesem Zusammenhang aber auch auf das „Gold Plating“ der EU-Staaten. So habe die EU etwa bei der Allergenverordnung nicht so strenge Regeln wie in Österreich oder Deutschland vorgegeben. Allein der nationale Gesetzgeber hat hier die Regeln verschärft, während es etwa in Italien reicht, den Kellner nach Inhaltsstoffen zu fragen.