Gemeindearzt
Die Gemeinden versuchen viel, um jungen Medizinern das Leben als Landarzt schmackhaft zu machen, stoßen aber an ihre Grenzen.
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Österreich, Land ohne Ärzte?

Seit Jahren wird in Österreich – und nicht nur hier – darüber geredet, dass „uns die Landärzte ausgehen“. Die Rahmenbedingungen passen nicht, die Belastung ist zu groß, die Anreize sind zu gering. Lösungsansätze gäbe es, aber oft genug heißt es, „die anderen müssten was tun“. Fehlt wirklich nur ein gemeinsamer Wille?

Vielleicht sollten wir es in Austria so machen wie die Australier. Als Österreicher ist man die Verwechslung mit dem kleinsten Kontinent sowieso schon gewohnt, also was soll‘s: Gründen wir den „Flugärztlichen Dienst der Republik Österreich“, kurz FluDRÖ! So schön wie der australische „Royal Flying Doctor Service of Australia“ klingt‘s nicht, aber wenn die Situation mit der ärztlichen Versorgung auf dem Land überall wirklich so schlimm wird wie prognostiziert, bleibt uns vielleicht nichts anderes übrig. Aufgrund der viel geringeren Entfernungen in Österreich kommen wir vermutlich auch mit viel weniger Flugzeugen aus.

Mehr Flugrettungseinsätze wegen Ärztemangel

FluDRÖ ist nicht wirklich wörtlich zu nehmen, aber Tatsache ist, dass Einsätze der Flugrettung in Österreich wegen des Mangels an niedergelassenen Ärzten gestiegen sind. Die Situation der medizinischen Versorgung der ländlichen Gemeinden in Österreich ist also offenbar dramatisch. Der Blick auf die durchschnittliche Altersstruktur zeigt auf, wie drängend das Problem ist. Immerhin kommt von so manchem geplagten Orts-Chef oder der Chefin mitunter sogar die Aufforderung, im benachbarten Ausland nach „Ärzten zu fahnden“.

Auch noch so großzügige Lockangebote helfen nicht, junge Mediziner zum Dienst als Landarzt oder Gemeindearzt zu bewegen. Frauen wären damit auch gemeint, aber die sind, wie Artur Wechselberger, Allgemeinmediziner und Präsident der Österreichischen Ärztekammer, bei den Sommergesprächen 2018 in Bad Aussee berichtete, noch weniger bereit, so einen Job anzunehmen.

Wechselberger ist als Arzt auch Kenner der Gemeinden. Sein Vater war 25 Jahre Bürgermeister von Axams, er selbst acht Jahre Sprengelarzt im oberen Lechtal und in dieser Zeit auch Mitglied des Gemeinderates. Bei seinem Vortrag bei den Sommergesprächen stellt er eine umfangreiche Diagnose:

  • Pensionsbezogener Engpass: Auf Tirol bezogen, steht die Hälfte der Landärzte kurz vor der Pension (diese Zahl ist auf Österreich übertragbar). In Gemeinden, wo es nur einen Arzt gibt, ist die Auswirkung dieser Pensionierungswelle jetzt schon dramatisch.

    Altersstruktur der Ärzte
  • Geschlechterbezogener Engpass. Die in Pension gehenden Ärzte sind zu 70 Prozent Männer und der Nachwuchs an Allgemeinmedizinern besteht zu 60 Prozent aus Frauen. Die haben nach Wechselberger andere Bedürfnisse und einen anderen Zugang zur Rundum-Verfügbarkeit und zur Risikoübernahme bei Gründung einer Praxis. Hier ist dem geänderten Anspruch einer modernen Work-Life-Balance der Frauen oder generell der Jungmediziner entgegenzukommen.
  • Knackpunkt Nachbesetzung: In den kommenden zehn Jahren wird die Mehrheit der in Pension gehenden Landärzte also durch Frauen zu ersetzen sein. Wechselberger glaubt zwar nicht, dass Frauen das nicht machen würden, aber man müsste die Rahmenbedingungen ändern. Die „Rund-um-die-Uhr“-Verfügbarkeit, die es früher gab, ist – so Wechselberger – heute nicht mehr realisierbar. Daher müssten für die Landärzte Dinge wie Kinderbetreuung und ärztliche Vertretung geregelt werden. Aber dass die Arbeitsbelastung eines Landarztes groß ist, streitet Wechselberger nicht ab. „Damit lässt es sich aber auch leben“, so sein Credo.
  • Problem Honorierung und wirtschaftliches Risiko: Josef Bauer, Bürgermeister von Aspangberg-St.Peter, derzeit auf der Suche nach einem Gemeindearzt: „Ein Landarzt benötigt eine angemessene Honorierung. Die Kassenverträge gehören angehoben.“

Das Problem einer „sozialen Patientenbetreuung“ im Rahmen eines Kassenvertrags ist laut Wechselberger auch eine Mengenfrage. Aus wirtschaftlichen Gründen und auch, „weil die Leute da sind“, muss der Landarzt oder Kassenarzt sehr viele Menschen in kurzer Zeit „durchschleusen“. O-Ton Wechselberger: „Bei einem anständigen Tarif kann der Arzt mit viel weniger Patienten wirtschaftlich überleben.“ Er spielt damit auf den Unterschied zwischen Kassenarzt und Wahlarzt an.  Der Unterschied liegt also im Arbeitseinsatz, daher braucht es leistungsgerechte Vergütungsysteme.

Aber das wirtschaftliche Risiko als Unternehmer – und ein solcher ist ein Landarzt – „ist eben so, nämlich ein Risiko“, resümiert Wechselberger.

  • Hausapotheke und Mobilität: Hausapotheken seien zwar nicht DER Punkt, aber ein durchaus wichtiger. Erstens von der Einnahmenseite des Arztes aus gesehen und zweitens von seiner Arbeitszufriedenheit. „Wenn ich weiß, dass der Patient versorgt bei der Tür hinausgeht, geht es mir als Arzt auch gleich viel besser, als wenn ich weiß, dass er noch 15 Kilometer zur nächsten verfügbaren Apotheke hat.“ Die Entfernung der Apotheke zum Arzt spielt daher eine große Rolle. Mobilität ist aber wieder so ein Punkt, wo die Gemeinde ins Spiel kommt. Daher „sollte man den Ärzten die Möglichkeit geben, die Arzneimittel auch selbst ausgeben zu können. Dabei geht es in keiner Weise darum, gegen die Apotheken zu agieren. Man muss aber einen Weg finden, damit der Kunde beziehungsweise Patient zufrieden ist, oder zumindest nicht gezwungen ist, mit Fieber umständliche Strecken auf sich zu nehmen, um an die benötigten Medikamente zu kommen. Da muss man Abhilfe schaffen“, meint beispielsweise Gerald Matzinger, Bürgermeister von Groß-Siegharts.
  • Ausbildung und Anerkennung: Massive Diskussionen gab es nach dem Aufruf Wechselbergers, dass die „Gemeinden auf ‚ihre‘ Krankenhäuser einwirken sollten, um mehr Ausbildungsplätze für Allgemeinmediziner zu generieren. „Die Krankenhäuser neigen dazu, Fachärzte auszubilden, die dann in ihrem Haus arbeiten können. Allgemeinmediziner, die in die Gemeinden gehen wollen, bekommen dagegen kaum Ausbildungsplätze.“

    Zudem sollte die Ausbildung so geändert werden, dass zumindest ein Teil in einer Praxis auf dem Land stattfindet, einfach, damit künftige Ärzte wissen, was an dieser Aufgabe hängt und was auf sie zukommt.

    Auch die Anerkennung des Allgemeinmediziners kommt zu kurz, so Wechselberger. „Es würde reichen, eine Zeile in einem Bundesgesetz zu ändern und die Allgemeinmediziner zu ‚Fachärzten für Allgemeinmedizin‘ zu machen. Damit würde man ohne einen Cent Mehrkosten das Problem lösen.“
  • Zuviel Bürokratie: Dass es zu viel Bürokratie gibt, unterschreibt wohl jeder. „Den Ärzten zufolge benötigen sie rund die Hälfte der Zeit nur für die Dokumentation“, berichtet Josef Bauer.

Anreize schaffen – leicht gesagt, schwer gemacht

Hilfe bei der Raumbeschaffung, Familienunterstützung und Hilfe bei der Kinderbetreuung, Abfederung des wirtschaftlichen Risikos, Beibehaltung der Hausapotheken, geänderte Ausbildung und Steigerung des Images des Landarztes, Unterstützung durch nicht-ärztliche Gesundheitsberufe und bessere Honorierung durch die Krankenkassen. Darüber hinaus, so meinen sowohl Wechselberger als auch Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein im KOMMUNAL-Interview, liege es an der Kreativität der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, sich „Zuckerl“ zu überlegen, mit denen sie Ärzte in die Gemeinde locken.

Raumbeschaffung für Ärzte ist nicht Aufgabe der Gemeinde

Da gibt es gleich ein paar Punkte, die ausreichen, um die „Gemeinden auf die Barrikaden“ zu bringen. Meist gibt es zwar alte Praxen, die nach einer Pensionierung leer stehen und die auch genutzt werden können. Aber Raumbeschaffung für Ärzte ist nicht Aufgabe der Gemeinde!

Abfederung des wirtschaftlichen Risikos  kann auch die Gemeinde nicht übernehmen. Da müsste der Arzt schon weisungsgebundener Angestellter der Gemeinde sein.

Was die Krankenkassen betrifft: Laut Wechselberger haben die „Krankenkassen 30 Jahre nichts anderes getan, als ihre Partner zu vergraulen – jetzt ist der Scherbenhaufen da“. Aber die Verträge anzuheben, ist Verhandlungssache zwischen Ärztekammer und Krankenkassen. Und schon wieder nicht Aufgabe der Gemeinde.

Angebote zur Familienunterstützung und Hilfe bei der Kinderbetreuung bietet praktisch jede Gemeinde heute schon, da sind kaum mehr zusätzliche Angebote notwendig.

Thema Hausapotheken

Konkret sieht die Hausapotheken-Regelung von 2016 vor, dass in flächenmäßig großen Gemeinden, in denen jetzt schon eine Apotheke vorhanden ist, in Zukunft ein Arzt auch dann eine Hausapotheke betreiben darf, wenn die Apotheke mehr als sechs Kilometer entfernt ist. Eine zweite Neuerung betraf 2016 die sogenannte Nachfolgeregelung. Für bestehende Hausapotheken von Ärzten gilt seitdem, dass sie in einem Abstand von vier Kilometern zu einer öffentlichen Apotheke bestehen bleiben können. Vorher lag die Entfernung bei sechs Kilometern. Das klingt zwar nicht nach viel, aber für eine 80-jährige Oma oder einen Opa, die ein fiebersenkendes Mittel oder etwas gegen Bluthochdruck brauchen, ist das sehr weit. Hier wird wieder das Problem der Mobilität vor allem älterer Patienten schlagend.

Gemeinden können nicht auf "ihre" Krankenhäuser einwirken

Den größten „kommunalen Aufschrei“ gibt es bei der Forderung, die Gemeinden mögen wegen der Ausbildungsplätze doch auf „ihre Krankenhäuser“ einwirken. Das ist nun wirklich eine Kernaufgabe der Ärztekammer als Interessenvertretung. Diese Aufgabe auf die Gemeinden abzuwälzen, wird nicht funktionieren! Im Grunde ist es auch nicht Aufgabe der Gemeinden, sich „Zuckerl“ zu überlegen, mit denen Ärzte in die Gemeinde gelockt werden sollen. Wenn Bundesministerin Beate Hartinger-Klein meint, sie hätte schon gehört, dass Gemeinden Schipässe anbieten, wirft das ein ganz eigenes Licht auf die Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung eigentlich alles ist, nur nicht Gemeindesache (siehe auch Beitrag „Verkennung der Kompetenzlage“ rechts).

Hilft das Internet?

Die Frage nach der Umsetzbarkeit von „e-Health“ wäre noch zu besprechen. Mit der Schaffung der elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) wurde eine wesentliche Grundlage geschaffen.

Telemedizinische Verfahren werden in größerem Umfang seit den 1980er-Jahren erprobt. Ausgangspunkt einer Telemedizin ist eine räumliche Trennung von Arzt und Patient oder Arzt und Facharzt. Großflächige Länder mit einer geringen Einwohnerzahl in entlegenen Gebieten haben früh einen Bedarf an telemedizinischen Anwendungen gesehen. Gerade was die Versorgungsqualität angeht, bietet die telemedizinische Rehabilitation enorme Vorteile.

Der Patient übt zu Hause unter Überwachung durch Therapeuten, die er bereits von seinem Aufenthalt in der Fachklinik kennt. Mit der Telerehabilitation ist auch außerhalb von Ballungsgebieten eine flächendeckende Reha-Nachsorge möglich. Fahrten zur Therapieeinrichtung entfallen. Patienten, die nach ihrer stationären Rehabilitationsmaßnahme bereits wieder berufstätig sind, können ihre Übungen bei freier Zeiteinteilung berufsbegleitend absolvieren.

In medizinisch gut versorgten Gebieten wird die Telemedizin mit dem Ziel der Qualitätsverbesserung zum Beispiel durch Einholung einer Zweitmeinung verwendet, außerdem zur Verbesserung der Lebensqualität der Patienten durch eingesparte Wege zum Arzt oder zur Vorbeugung von Notfällen durch apparative Beobachtung. Die Telemedizin kann damit eine Antwort auf die medizinischen Herausforderungen unserer Zeit geben, die durch Alterung der Gesellschaft und chronische Krankheiten geprägt ist.

Im Mai 2018 beschloss der Deutsche Ärztetag eine Änderung der Musterberufsordnung für Ärzte, damit eine ausschließliche Fernbehandlung durch in Deutschland ansässige Mediziner über digitale Medien ermöglicht wird. Die ärztliche Sorgfalt bei Diagnostik, Beratung, Therapie und Dokumentation muss dabei gewährleistet sein, und Patienten müssen über die Online-Behandlung aufgeklärt werden.

Die Frage ist, was sich ändern muss. Oder wer. Richtig ist, dass die Gemeinden viel Geld für die Krankenhäuser beisteuern. Richtig ist auch, dass sich die Gemeinden schon sehr viele Zuckerl überlegt und Kosten übernommen haben. Viele wären auch bereit, noch viel mehr zu machen, wenn nur endlich wieder ein Arzt im Ort wäre. Aber eigentlich ist es – schon wieder – nicht Aufgabe der Gemeinde, das zu tun.

Diskussion dreht sich im Kreis

Davon abgesehen verläuft die Diskussion so wie bei vielem in Österreich, dass sich nämlich alles im Kreis dreht und „der andere gefälligst was tun sollen“. Die Ärztekammer schlägt vor, dass sich Apothekerkammer und Krankenkassen bewegen und Bund, Länder und Gemeinden handeln sollen. Die Krankenkassen schlagen auch vor, dass sich die anderen ändern sollen und gegebenenfalls höhere Beiträge zu kassieren seien. Die Apothekerkammer würde auch am liebsten alle Hausapotheken abdrehen – müssen halt die Ärzte und Patienten schauen, wie sie zu den Apotheken kommen. Die Länder sagen, das ist Bundessache und der Bund, das ist ein Problem der Länder.

Vermutlich wird es doch wohl besser sein, wir gründen einen FluDRÖ, der auch mit Autos kommt und wie der fahrende Greißler an bestimmten Tagen im oder vor dem Gemeindeamt Ordination hält. Aber ambulante Krankenhäuser will die Ärztekammer ja auch nicht.