Die Die zentrale Plaza de la Virgen Blanca im spanischen Vittoria-Gasteiz nach dem Umbau.
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Urban-Future-Konferenz 2023

Kurze Wege, grüne Viertel, saubere Luft

Unter dem Titel „Green and thriving Neighbourhoods: it is all about proximity“ war bei der Urban Future in Stuttgart die 15-Minuten-Stadt Thema – Eine Stadt, in der Einwohnerinnen und Einwohner ihre alltäglichen Erledigungen in einem Radius von 15 Gehminuten um ihre Wohnung erledigen können. Vertreterinnen und Vertreter der Städte Madrid, Rotterdam, Vitoria-Gasteiz, Kopenhaben, Oslo und ein Vertreter der Organisation Habitat for Humanity, stellen ihre Wege dorthin vor.

Madrid startete mit seiner Interpretation der 15-Minuten-Stadt anhand einer Datenanalyse. Sie sollte ermitteln: Was müssen Menschen überhaupt innerhalb von 15 Minuten erreichen können?

In welchen Stadtteilen und auf welchen Gebieten funktioniert das bereits und wo liegen die Defizite? So konnte die Stadt mit einer klaren Priorisierung beginnen: Die Gegenden mit den größten Defiziten benötigen die meiste Aufmerksamkeit.

Die Datenanalyse zeigt, dass die Stadt zum Beispiel im Bereich Parks bereits gut ausgestattet ist, dass dagegen im Bereich Mobilität viele Verbesserungsmöglichkeiten bestehen. Fuß- und Fahrradwege sind zerstückelt und häufig nicht sicher genug. Alles zugunsten der Pkw, die nicht für die 15-Minuten-Stadt, sondern für den Weg vom Stadtrand ins Zentrum genutzt werden.

Hier hat die Stadt Madrid ihren Weg nun begonnen. Ein Bereich, der in vielen Städten, zu denen mit dem höchsten Verbesserungsbedarf gehören, wie Ramón González, Leiter der Abteilung Städtebau der Stadt Madrid, sagt. „Wir müssen hier gemeinsam von unseren Fehlern lernen.“ Und tatsächlich zeigt sich in den folgenden Präsentationen, dass die Mobilität eine wichtige Stellschraube ist, um aktuelle Städte nachhaltiger zu gestalten.

Wie Rotterdam von der Pkw-Zentrierung wegkommen möchte

Wie viele Städte, die im Zweiten Weltkrieg zu großen Teilen zerstört wurden, hat sich auch Rotterdam architektonisch und infrastrukturell zu einer stark Pkw-zentrierten Stadt entwickelt. Außerdem ist Rotterdam schnell gewachsen und musste Raum für viele Menschen schaffen – deshalb ist die Stadt heute sehr dicht besiedelt und von Hochhäusern geprägt.

In den letzten Jahren hat sich in Politik und Gesellschaft eine gemeinsame Idee entwickelt. Man möchte weg von der Pkw-Zentrierung, um andere Ziele verfolgen zu können: Aufenthaltsqualität, Grünflächen und zukunftsfähige Nachbarschaften. In diesen Prozess soll auch die Kreativität der Bürgerinnen und Bürger einbezogen werden, weshalb der Prozess von vielen Bürgerbefragungen begleitet wird.

„Ein gemeinsames Ziel hilft sehr dabei, Zustimmung und Verständnis für die Maßnahmen zu bekommen“, sagt Rotterdams Vize-Bürgermeisterin für Klima, Bauen und Wohnen, Chantal Zeegers.

Zum Veränderungsprozess gehört etwa, dass der Stadtteil Rijnhaven, der in Hochhäusern Wohnraum für 3.000 Menschen bereithält, in Richtung des Hafens einen großen Park bekommt. Die Nähe zum Hafen soll zudem durch noch mehr Wasserflächen hervorgehoben werden.

Der Stadtteil Oosterflank soll durch mehr Brücken stärker zusammenwachsen und erhält ebenfalls mehr Parks. Der Stadtteil Mervehaven liegt direkt an einigen Ausläufern der Maas, die allerdings aufgrund der Wasserverschmutzung nicht genutzt werden können.

Die Stadt möchte das Wasser säubern, damit die Anwohnerinnen und Anwohner dieses „kleine Meer“, wie Chantal Zeegers es nennt, wieder nutzen können. Im Stadtgebiet gibt es darüber hinaus viele soziale Wohnprojekte, die es auch Menschen mit geringeren Einkommen ermöglichen sollen, innerstädtisch zu wohnen. In Rotterdam werden die Veränderungen und Pläne gut angenommen. Doch: „Jede Stadt ist anders und braucht ihr eigenes Konzept und hat ihr eigenes Tempo“, gibt Zeegers zu bedenken. „Wir brauchen ein buntes Bild verschiedener Ansätze.“

Oslo schaffte Parkflächen ab

Oslo hat sich nicht die 15-Minuten-Stadt zum Ziel gesetzt, sondern die 10-Minuten-Stadt. Auch Oslo war bis vor wenigen Jahren um den Pkw zentriert, doch mit der aktiven Einschränkung des motorisierten Verkehrs und multimodalen „Hubs“, die verschiedene Möglichkeiten der Mobilität bündeln, hat sich das grundlegend verändert.

Im Jahr 2015 begann Oslo die Mobilitätspyramide umzudrehen. So wurden etwa die meisten Parkflächen im Stadtraum abgeschafft. Einige Straßen wurden für den motorisierten Verkehr geschlossen. Gleichzeitig wurde das Fuß- und Radwegenetz ausgebaut. Busse und Taxis dürfen nur durch die Innenstadt fahren, wenn sie elektrisch sind. Dafür hagelte es zunächst Kritik aus der Bürgerschaft: Man baue die Berliner Mauer durch Oslo. Die Verantwortlichen ließen sich von der lauten Minderheit jedoch nicht abhalten.

Das Resultat: Die Stadt hat mehr Orte, an denen sich Menschen gerne aufhalten, die Luftverschmutzung hat abgenommen und die freigewordenen Flächen werden begrünt oder geben den angrenzenden Restaurants und Cafés mehr Außenfläche. Nach Abschluss des Konzepts waren die Rückmeldungen nahezu ausschließlich positiv. Seine Fortschritte und die verbleibenden Herausforderungen im Kampf um die Klimaneutralität misst die norwegische Stadt anhand von Klimabudgets. Vertreterinnen und Vertreter aus Kommunen der ganzen Welt kommen nach Oslo, um sich dieses Konzept anzusehen.

Vitoria-Gasteiz - Superblocks, von denen alle profitieren

Im spanischen Vitoria-Gasteiz hat man früh begonnen die Stadt zentriert, um die Menschen und die Natur zu planen, statt um die Autos. Lange bevor das Konzept der 15-Minuten-Stadt in aller Munde war, sagt Juan Carlos Escudero-Achiaga, Leiter der Abteilung Mobilität und Datenwissenschaft der Stadt Vitoria-Gasteiz. Die Stadt arbeitet dabei in sogenannten Superblocks, in die nur noch Anwohnerinnen und Anwohnern einfahren dürfen. Nicht-Anlieger können nur noch außen um die Blocks herumfahren.

Wichtig ist es, laut Escudero-Achiaga, das Konzept der 15-Minuten-Stadt positiv zu vermitteln. Neue Konzepte, die große Veränderungen mit sich bringen, würden häufig zunächst mit Ablehnung quittiert. Im Falle der 15-Minuten-Stadt habe man jedoch ein Konzept, von dem alle profitieren können und damit einen Vorteil für die Vermittlung. „Es ist unsere Aufgabe Enthusiasmus für diese Transformation zu schaffen.“

Kopenhagen schuf ein klimaneutrales 15-Minuten-Quartier

Für diesen Enthusiasmus können unter anderem Leuchtturm-Projekte wie Jernbanebyen sorgen. Mit Jernbanebyen hat die Stadt Kopenhagen ein 15-Minuten-Quartier entwickelt, das sogar klimaneutral ist. Es handelt sich um ein Reaktivierungs-Projekt. Was früher Industriegelände der Eisenbahn war, wird nun zu einem kleinen Stadtviertel. Das 550.000 Quadratmeter umspannende Viertel hat drei Parks und eine Markthalle, die alle als gemeinschaftliche Treffpunkte genutzt werden. An Mobilitäts-Hubs können Besucherinnen und Besucher ihre Autos abstellen und mit dem Fahrrad oder zu Fuß das Viertel erkunden, das nahezu autofrei ist. Die Wohngebäude beherbergen bezahlbare Wohnungen. Die denkmalgeschützten Produktionsgebäude werden in Werkstätten für kreative Unternehmen und Start-ups umgewandelt.

Die Vorteile sozialer Durchmischung

Teil der Diskussion um die 15-Minuten-Stadt ist auch die Frage nach bezahlbarem Wohnraum. Werden wir alle in der 15-Minuten-Stadt leben können oder nur jene, die es sich leisten können?

Wohnraum für alle ist nicht nur ein Menschenrecht, sondern sorgt auch für funktionierende Gesellschaften, so András Szekér von Habitat for Humanity. Doch: In Deutschland sinkt die Zahl der Sozialwohnungen jährlich. In vielen osteuropäischen Ländern liegt die Rate der Sozialwohnungen bei unter einem Prozent. Geflüchtete haben in Europa – auch bei ausreichenden Mitteln – häufig keinen Zugang zum Wohnungsmarkt.

Als Lösung werden in vielen Städten Viertel auf der grünen Wiese geplant, in denen ausschließlich Hochhäuser mit Sozialwohnungen gebaut werden – das genaue Gegenteil der 15-Minuten-Stadt. Szekér wirbt für eine bessere Durchmischung und Sozialwohnungen in allen Vierteln.

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