Integration funktioniert, weil sich Gemeinden engagieren
„Ohne den Einsatz der Zivilgesellschaft, den tausenden freiwilligen Helferinnen und Helfern, wäre es nicht möglich gewesen, die geflüchteten Menschen 2015 zu versorgen. Ohne die tatkräftige Unterstützung von BürgermeisterInnen würden Unterbringung und Integration bis heute nicht funktionieren“, so die früheren Flüchtlingskoordinatoren Christian Konrad und Ferry Maier. Und sie stellen fest. „Dieses Engagement hält an und ist notwendiger denn je.“
Die Allianz „Menschen.Würde.Österreich“ hat SORA beauftragt, in einer Befragung Eckpunkte im Umgang mit dem Thema „Asyl, Flucht, Integration“ aus der Expertise von BürgermeisterInnen zu erheben. Die früheren Flüchtlingskoordinatoren haben im Frühjahr diese Allianz für das zivilgesellschaftliche Engagement initiiert.
Viele positive Erfahrungen
Bei der Präsentation der Umfrageergebnisse betonte Gemeindebundpräsident Alfred Riedl: „Bürgermeisterinnen und Bürgermeister haben einen Auftrag übernommen und dabei mit ihrer bürgernahen und transparenten Herangehensweise die Herausforderungen gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Initiativen und zahlreichen Ehrenamtlichen gut bewältigt.“
Riedl verweist auf eine erneute Bestätigung durch die Umfrage im Blick auf Ängste und Sorgen der Bevölkerung: „Es zeigt sich, dass auch dort, wo Flüchtlinge aufgenommen wurden, viele positive Erfahrungen gesammelt werden konnten. Ängste und Sorgen aus der Bevölkerung gibt es eher dort, wo keine geflüchteten Menschen leben.“
Wichtig: Keine Zeit verlieren
Thomas Weninger, Generalsekretär des Österreichischen Städtebundes, plädiert auf der Basis der Ergebnisse der Befragung für „Integration vom ersten Tag“. Denn viele bestehende Integrationsprogramme sind für die Geflüchteten adaptiert und geöffnet worden. So geht bei der Integration keine Zeit verloren. Lange Asylverfahren und wechselnde Wohnorte machen Integration schwieriger. Weninger spricht sich auch vehement gegen Großquartiere aus, wie sie von der Bundesregierung immer wieder angedacht werden.
Bürgermeister denken und handeln pragmatisch
Die Befragung zeigt: Bürgermeister wissen um die tatsächlichen Herausforderungen für ihre Gemeinden und sehen bei den Herausforderungen die Themen „Flüchtlinge und Asyl“ nicht im Spitzenfeld. Christian Konrad: „Bei den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern bestimmt ein gelassener Pragmatismus Denken und Tun – nicht aufgeregter Populismus!“
Die Ausgangssituation 2014
Das Versagen der internationalen Staatengemeinschaft bei der Finanzierung von Essen und Bildung hat 2014 zu einer katastrophalen Versorgungslage in den Lagern für syrische Flüchtlinge in der Region – in Jordanien, im Libanon, in der Türkei – geführt.
Hier hat die internationale Staatengemeinschaft bereits ab 2014 zu wenig getan, um die Versorgung mit Essen zu sichern und die Lebensperspektiven der aus Syrien geflüchteten Menschen in den Flüchtlingslagern zu verbessern.
2015 - zuerst Traiskirchen, dann ganz Österreich
Mit der Flüchtlingsbewegung 2015 waren die offiziellen Strukturen der Republik Österreich überfordert. Die Situation um die Erstaufnahmestelle Traiskirchen spitzte sich ab dem Frühsommer dramatisch zu. Tausende obdachlose Menschen im und um das Lager waren die Folge.
Die Bundesregierung beauftragte daher Ende August Christian Konrad und Ferry Maier als Flüchtlingskoordinatoren, zuerst mit dem Ziel der Vermittlung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden.
Nach der Öffnung der Grenzen ab Anfang September war die große Zahl der geflüchteten Menschen nur durch die spontane Hilfsbereitschaft der Zivilgesellschaft zu versorgen.
Hilferuf und Auftrag an Bürgermeister
Der Hilferuf der österreichischen Bundesregierung an die Länder und Bürgermeister war eindeutig. „Wir brauchen Quartiere!“ - Doch während sich die Politik europaweit über Quoten und Grenzkontrollen Gedanken machte, handelten die Gemeinden in Österreich konkret. Christian Konrad: „Da ging es nicht nur um Erstversorgung, sondern auch um Aufnahme und Integration in einem umfassenden Sinn, und das war gut und richtig!“
Bürgermeister sind stolz auf die geleistete Arbeit in den Gemeinden
Die Arbeit für die Flüchtlinge und die Integration vor Ort ist gut gelungen – so das Resümee der Bürgermeister im Rückblick.
Nur durch breite Allianzen der Hilfe zwischen bestehenden (z. B. Pfarren) und neuen zivilgesellschaftlichen Initiativen mit einem starken ehrenamtlichen Engagement konnten die Aufgaben bewältigt werden.
Von der großen Politik zeigen sich die lokalen Verantwortlichen enttäuscht. Die Unterstützung durch EU und Bundesregierung in dieser Phase wird als wenig zufriedenstellend bewertet.
Das Engagement der Menschen in der eigenen Gemeinde, auch das Engagement von geflüchteten Menschen, macht die Bürgermeister aber stolz.
Chancen und Herausforderungen
Die Dauer der Asylverfahren, die fehlende Arbeitserlaubnis während der langen Asylverfahren und die (negativ gefärbte) Berichterstattung in den Medien sehen die BürgermeisterInnen als die größten Schwierigkeiten im Umgang mit Geflüchteten.
Handlungsbedarf besteht daher in Bezug auf Arbeitsplätze für Asylberechtigte, arbeitsmarktintegrative Maßnahmen und passende Kursmaßnahmen. Abschiebungen werden als Verlust von hoffnungsvollem Potenzial für die Gemeinden gewertet.
Insgesamt zeichnen die BürgermeisterInnen durch ihre Antworten ein unaufgeregtes Bild im Umgang mit den Themen Asyl und Integration und betonen zu einem Drittel, dass die Vorteile der Flüchtlingsaufnahme überwiegen. Für ein Fünftel der Bürgermeister überwiegen die Nachteile.
Die Ergebnisse im Detail
Im Auftrag der Allianz „Menschen.Würde.Österreich“ hat das Sozialforschungsinstitut SORA eine Befragung zum Thema „Integration von geflüchteten Menschen in Österreichs Gemeinden – Perspektiven der BürgermeisterInnen“ durchgeführt.
An der Online-Befragung haben sich 340 Bürgermeister, Vize-Bürgermeister oder Amtsleiter zwischen Mai und Juni beteiligt. Die Schwankungsbreite beträgt maximal fünf Prozent. Verantwortlich für die Befragung und Auswertung sind Bernhard Hoser, Julia Simon und Günther Ogris.
Hilfe hat gut funktioniert
Hilfe für Flüchtlinge in den Gemeinden hat gut funktioniert und die Aufnahme von Flüchtlingen in den Gemeinden ist gut gelungen, sind sich die befragten BürgermeisterInnen einig. Auffallend ist, dass zwischen der Bewertung der Situation in der Gemeinde und der gesamtösterreichischen Bewertung eine große Differenz ist.
Mit „sehr gut“ oder „gut“ bewerten 88% der befragten Gemeinden (mit Flüchtlingen) die Situation in der Gemeinde. Die Situation in Österreich wird von allen Gemeinden nur zu 46% mit „sehr gut“ oder „gut“ bewertet.
Verbleib der schutzsuchenden Menschen wird erhofft
Die Vorteile der Aufnahme überwiegen sagen 36%, die Nachteile überwiegen sagen 20% der Gemeinden mit Flüchtlingen. Und gegenüber der Befragung 2016 ist die Hoffnung, dass die geflüchteten Menschen in der Gemeinde bleiben von 34% auf 42% gestiegen.
Interessant ist, dass vor allem BürgermeisterInnen in kleineren Gemeinden auf Verbleib hoffen. Jede zweite Gemeinde der befragten Gemeinden bis 2.500 Einwohner hat diese Hoffnung. Bei den größeren Gemeinden sind es 36%.
Gemeinden mit Flüchtlingen bestätigen, dass sich die Einstellung der Bevölkerung heute verglichen mit dem Zeitpunkt der Aufnahme der ersten Flüchtlinge, deutlich verbessert hat.
Waren bei der Aufnahme nur 30% „sehr positiv“ oder „eher positiv“ eingestellt, so liegt der aktuelle Wert bei 56%.
In den kleinen Gemeinden (bis 2.500 EinwohnerInnen) ist diese Verbesserung mit 62% höher, gegenüber 52% in größeren Gemeinden.
Erfolgsfaktor Ehrenamtliches Engagement
Das ehrenamtliche Engagement wird als wertvoll und sehr große Unterstützung bewertet. Allerdings ist es seit 2015 weniger geworden, sagen vier von zehn befragten Gemeinden. In einem Fünftel der Gemeinden hat die ehrenamtliche Hilfe aber sogar zugenommen.
Die ehrenamtliche Unterstützung fällt bei größeren Gemeinden stärker ins Gewicht.
Insgesamt wird den ehrenamtlichen HelferInnen aber von den BürgermeisterInnen ein ausgezeichnetes Zeugnis ausgestellt. Auf die Frage – „Was die Aufnahme und Betreuung der Flüchtlinge betrifft: Wie bewerten Sie die Arbeit der folgenden Institutionen?“ – antworten die Gemeinden bei den ehrenamtlichen HelferInnen mit 91% „sehr gut“ oder „gut“. Die EU kommt hier deutlich abgeschlagen auf 6%, die österreichische Bundesregierung auf 31% in der positiven Bewertung.